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Zum Schuldausgleich ist Bestrafung nicht geboten

16. November 2020

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist im Gesetz bei Mord zwingend vorgeschrieben (§ 211 Abs. 1 StGB), bei zahlreichen anderen Tatbeständen, wie Totschlag im besonders schweren Fall (§ 212 Abs. 2 StGB) oder Erfolgsqualifikationen anderer Verbrechen, bei denen eine Todesfolge durch Raub (§ 251 StGB), Vergewaltigung (§ 178 StGB) und andere Verbrechen zusätzlich mindestens fahrlässig herbeigeführt wird, fakultativ im Gesetz vorgesehen. In der Praxis wird die lebenslange Freiheitsstrafe allerdings fast ausschließlich bei Verurteilungen wegen Mordes verhängt. Daraus ist zu erkennen, dass Tatrichter vor der Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe zurückschrecken, wenn sie eine Möglichkeit haben, davon ohne Verletzung des Gesetzes abzusehen.


Die Rechtsprechung versucht, diesem Dilemma dadurch zu entgehen, dass die Voraussetzungen eines Schuldspruchs wegen Mordes, also die Mordmerkmale (§ 211 Abs. 2 StGB), differenzierend ausgelegt wer-den. Ferner wird der Versuch unternommen, mithilfe vertypter Milderungsgründe, besonders bei einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Täters zur Tatzeit (§ 21 StGB), zur Ersetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe durch einen Strafrahmen (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu gelangen. Schließlich ist sogar in besonderen Konstellationen des Heimtückemordes eine außerordentliche Strafmilderung jenseits des Gesetzes angedacht (BGHSt 30, 105, 118 ff.), die freilich in der Rechtsprechungspraxis kaum jemals tatsächlich zur Anwendung gelangt. Auch die immer wieder propagierte einschränkende Auslegung der Mordmerkmale zur Vermeidung von Verurteilungen wegen Mordes und Anwendung des Tatbestands des Totschlags, der grundsätzlich einen Strafrahmen mit Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren vorsieht (§ 212 Abs. 1 StGB) und nur ausnahmsweise fakultativ in besonders schweren Fällen die Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe zulässt (§ 212 Abs. 2 StGB), wird in der Rechtsprechung meist wieder vernachlässigt. Es besteht eine Tendenz zu einer innerhalb des Rahmens des Wortlauts der Norm relativ weiten Auslegung des Mordtatbestands. Die Gründe für diese Tendenz zu einer härteren Bestrafung sind vielfältig. Dahinter steht unter anderem ein auf-geheiztes Klima in der Öffentlichkeit, die über Mordfälle in der Presse zunehmend in reißerische Form informiert wird.

Lebenslange Freiheitsstrafe als Mittel zur Tatschuldvergeltung

Traditionell wird Mord als das schwerste Verbrechen im Strafrecht behandelt und grundsätzlich mit der Höchststrafe bestraft, die das Gesetz überhaupt vorsieht. Dies war bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland über Jahrhunderte hinweg immer die Todesstrafe. Auch das im Kern heute noch geltende Strafgesetzbuch sah für Mord zunächst grundsätzlich die Todesstrafe vor und nur in minder schweren Fällen lebenslängliches Zuchthaus. Geändert wurde dies erst dadurch, dass zuerst die Todesstrafe in Deutschland nach Art. 102 GG abgeschafft wurde, dann auch das Zuchthaus als verschärfte Form der Freiheitsstrafe.

Als Strafe verblieben ist neben der Geldstrafe nur die Freiheitsstrafe als Strafart. Die Freiheitsstrafe kommt als zeitige Freiheitsstrafe oder lebenslange Freiheitsstrafe daher. Die lebenslange Freiheitsstrafe ist heute die Höchststrafe und gilt insoweit als Flaggschiff der strafrechtlichen Rechtsfolgen. In der Diskussion um ihre Abschaffung muss berücksichtigt werden, dass sie einerseits ein Bollwerk gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe bildet und andererseits im Prinzip eine Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich machen müsste. Würde die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft, würde in spektakulären Fällen, namentlich bei Verdeckungsmorden nach sexuellem Missbrauch von Kindern, in der Öffentlichkeit wieder der Ruf nach Einführung der Todesstrafe erschallen.

Diese populistische Attitüde ist nicht zu unterschätzen. Auch wenn die Todesstrafe abgeschafft bleibt und die lebenslange Freiheitsstrafe abgeschafft werden würde, müsste zudem damit gerechnet werden, dass vermehrt neben die Verhängung zeitige Freiheitsstrafen die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung treten würde.

Differenzierungen beim Maß der Schuld

Der im Einzelfall ungerechten Gleichbehandlung unterschiedlicher Mordsachverhalte durch undifferenzierte Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wirkt tendenziell die Option entgegen, dass die Mindestverbüßungsdauer wegen besonderer Schwere der Schuld angehoben werden kann (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). Ohne eine Feststellung dieser besonderen Schwere der Schuld ist die Mindestverbüßungsdauer im Hinblick auf das Minimum des Schuldausgleichs durch tatsächliche Strafvollstreckung auf fünfzehn Jahre begrenzt (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB). Wird im Einzelfall im Strafurteil die besondere Schwere der Schuld festgestellt, wird diese Mindestverbüßungsdauer erhöht. Insoweit besteht dann aber nur Gewissheit darüber, dass eine bedingte Entlassung frühestens zu einem ferneren Zeitpunkt als nach fünfzehn Jahren zu erwarten ist, während der späteste Zeitpunkt weiter im Ungewissen bleibt.

Die Frage, wann die Schuld eines Mörders besonders schwer wiegt, ist auch schwierig zu beantworten. Dafür gibt es keinen festen Maßstab anhand einer durchschnittlichen Schuldschwere von Morddelikten. Vielmehr zieht sich die Rechtsprechung auf eine diffuse Gesamtwürdigung zurück, bei der unterschiedliche Gesichtspunkte ins Gewicht fallen können und das Bewertungsergebnis ebenso wie bei der Strafzumessung für eine zeitige Freiheitsstrafe auf einer stufenlosen Skala gefunden werden muss. Namentlich dann, wenn durch eine Tat mehrerer Opfer betroffen werden, mehrere Tatbestände erfüllt werden oder mehrere Taten zur Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe führen, ist es nahe liegend, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Andere Fälle erscheinen in dieser Hinsicht wesentlich unsicherer. Was unter der Schuld im strafrechtlichen Sinne genau zu verstehen ist und wann sie besonders schwer wiegt, bleibt hinter einer diffusen Gesamtwürdigung verborgen. Die Praxis handhabt diesen Gesichtspunkt ebenso wie die Strafzumessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens. Eine rechnerische Genauigkeit der nach dem Gesetz gerechten Strafe ist nicht zu erzielen und wird nicht gefordert. Die strafrechtliche Gerechtigkeit bleibt danach eine relative Größe.

Möglichkeit der Strafrestaussetzung zur Bewährung

Wäre die lebenslange Freiheitsstrafe grundsätzlich eine Freiheitsentziehung für den Rest des Lebens, so wäre sie mit der Menschenwürdegarantie unvereinbar. Der endgültige Ausschluss des Verurteilten aus der Gemeinschaft und seine bis zum Tod in der Haft vollstreckte Freiheitsentziehung würden den Betroffenen zum Objekt des Staates machen. Dies wäre mit der Anerkennung seiner Subjektqualität nach der gemäß Art. 79 Abs. 3 GG auch für den Gesetzgeber unbeschränkbaren Gewährleistung des Achtungsanspruchs aus der Menschenwürde im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Für den Verurteilten muss die Möglichkeit erhalten bleiben, die Freiheit wieder zu erlangen und wieder zum Teil der sozialen Gemeinschaft zu werden. Deshalb ist im Gesetz die Möglichkeit der Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen (57a StGB), nachdem früher allein auf das Gnadenrecht verwiesen worden war. Liegen die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht vor, ist eine bedingte Entlassung nicht möglich.

Die tatsächliche Vollstreckung der Freiheitsstrafe bis zum Lebensende ist deshalb möglich und kommt praktisch vor. Sie bedarf aber vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Freiheitsrechten einer besonderen Legitimation. Diese Legitimation ist nur gegeben, wenn die tatsächlich lebenslange Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Art und Umfang der Strafe mit anerkannten Strafzwecken vereinbar ist. Als Zwecke des staatlichen Strafens anerkannt sind der Schuldausgleich, die Spezialprävention und die positive oder negative Generalprävention. Es geht also entweder darum, die Schuld im strafrechtlichen Sinne durch eine staatliche Reaktion so zu kompensieren, dass der Verurteilte als resozialisiert gelten kann, oder darum, den Täter oder potentielle andere Täter innerhalb der Gemeinschaft von einer Begehung von Straftaten abzuschrecken, schließlich auch darum, das Vertrauen der Allgemeinheit die Unverbrüchlichkeit des Rechts aufrecht zu erhalten.


Prognoseinstrumente

Die rechtliche Bedeutung dieses Befundes ist bisher in der Gesetzgebung und Rechtsprechung kaum beachtet worden. Stattdessen wird der Versuch unternommen, durch formale Anforderungen an die Methodik der Gutachtenerstellung zu einer scheinbaren Verbesserung der Genauigkeit der gerichtlichen Überprüfung der Gutachteninhalte und ihrer Ergebnisse zu gelangen. Inhaltliche Kriterien werden hingegen weniger standardisiert und, soweit es um Prognoseinstrumente geht, die auf statistischen Auswertungen beruhen, mangels Kenntnis der Gegebenheiten von den letztverantwortlichen Juristen kaum nachvollzogen. Tatsächlich stammen die mehrheitlich in der US-amerikanischen Praxis entwickelten Prognoseinstrumente aus einer anderen gesellschaftlichen und rechtlichen Umgebung. Sie passen allenfalls bedingt auf die Gegebenheiten in Deutschland und ihre Kriterien sind stark deutungsabhängig.

Zu den methodischen Schwächen der Praxis der Prognosebegutachtung kommt verfahrenspsychologisch der bedeutsame Faktor hinzu, dass alle Beurteiler zur Vermeidung von schwer kalkulierbaren Restrisiken im Zweifel für das aus der Sicht der Gemeinschaft sichere Ergebnis votieren. Statt einer Beweislastverteilung, die im Zweifel zugunsten des Verurteilten den Ausschlag geben müsste, wird umgekehrt entschieden. Auch dies ist eine Erklärung für die hohe Zahl der „falschen Positiven“, für die keine Möglichkeit besteht, die Unrichtigkeit des Ergebnisses der Begutachtung und der darauf beruhenden Gerichtsentscheidung konkret nachzuweisen.

Besonders fatal wird dies in Fällen der Tatverleugnung, da die Sachverständigen und Gerichte von der sachlichen Richtigkeit des rechtskräftigen Strafurteils ausgehen und dessen Tatsachenfeststellungen als Teil des Prognosesachverhalts zu Grunde legen, obwohl gerade die Tatsachenfeststellungen oft weniger eine materielle Wahrheit als vielmehr eine forensische Wahrheit widerspiegeln. Praktiker des Erkenntnisverfahrens und solche des Vollstreckungsverfahrens gehen von unterschiedlichen Vorstellungsbildern aus. Gemeint ist, dass die Sachverhaltsfeststellungen nur die subjektive Deutung der Wahrnehmungen der erkennenden Richter vom Inbegriff der nirgends authentisch aufgezeichneten Hauptverhandlung darstellen, die durch vorherige Auswertung des Akteninhalts vorgeprägt war und in der Hauptverhandlung kaum noch korrigiert wird, obwohl das Gesetz von einer Loslösung der erkennenden Richter vom Vorstellungsbild nach der Aktenlage ausgeht (§ 261 StPO). Das ist aber verfahrenspsychologisch falsch (Kierzkowski, Die Unparteilichkeit des Richters im Strafverfahren unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, 2016, S. 130 ff.).

Tatverleugnung

Anhaltende Dissonanz-Reduktionen finden sich bei jedem Auftreten von kognitiver Dissonanz in der schriftlichen Fassung des Urteils zu dem Sachverhalt, der als die „Wahrheit“ gilt. Selbst wenn das Urteil im Ergebnis, also im Urteilstenor, zutreffend ist, sind die Sachverhaltsfeststellungen aus der Sicht einer empirischen Wissenschaft, wie sie nachträglich bei der Prognosebegutachtung angewendet werden soll, von zweifelhaftem Wert. Eine rechtliche Bindung der Prognosegutachter und Vollstreckungsrechte an Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil gegen den Verurteilten besteht aber streng genommen nicht, weil nach der vorherrschenden Rechtskraftlehre nur der Urteilstenor, nicht die Gründe in Rechtskraft erwachsen. Dies wird in der Praxis ignoriert oder – rechtlich durchaus zu Unrecht – dementiert. Ein „Gutachterstreit“ darum, ob in einem Fall, in dem aus der Sicht des Sachverständigen die Urteilsfeststellungen bei nachträglicher Betrachtung der Persönlichkeit nicht zutreffend sein können, von Rechts wegen einer Bindung an das Urteil besteht oder ob der Sachverständige rechtlich dazu berechtigt ist, selbst von einem anderen Sachverhalt auszugehen, ist nicht entschieden worden (BVerfGE 117, 71, 115 ff.). Richtigerweise darf ein Sachverständiger ebenso wenig wie ein Vollstreckungsorgan ohne weiteres ein Urteil als unrichtig ansehen, er ist andererseits aber bei Vorliegen gravierender Gründe auch nicht an der Annahme gehindert, Urteilsfeststellungen seien für ihn nicht verbindlich, wenn sie aus nachvollziehbaren Gründen nach den Regeln seiner Wissenschaft unrichtig erscheinen (Bock/ Schneider, NStZ 2003, 337 ff.).

Die Ökonomisierungspraxis setzt sich typischerweise darüber hinweg und behandelt besonders die Tatverleugner als Menschen, die ihre Tatschuld nicht aufgearbeitet haben deshalb bei der Rückfallprognose besonders gefährlich erscheinen. Dabei werden die unterschiedlichen Gründe für eine Tatverleugnung zu Unrecht generalisiert und in eine für die Verurteilten nachteilige Richtung gedeutet. Ins-gesamt bleibt die Prognose künftigen Legalverhaltens ein unsicheres Terrain. Auch deshalb wäre die Ersetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe durch eine zeitige Freiheitsstrafe mit konkret absehbarem Ende im Prinzip eine richtige gesetzgeberische Entscheidung. Zwar ist empirisch immer noch nicht gesichert, dass ein besonders langer Strafvollzug zwingend zur Zerstörung der Persönlichkeit eines Gefangenen führt. Bekannt ist aber, dass die Persönlichkeit nach einem oder spätestens zwei Jahrzehnten in der Haft eine andere ist als die Persönlichkeit des Täters zur Tatzeit. Der Strafzweck des Schuldausgleichs wird nach einer Zeitspanne, die darüber hinausgeht, strukturell nicht mehr erreicht.

Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung

Nachdem das Gesetz früher die Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung (SV) nur neben zeitiger Freiheitsstrafe vorgesehen hatte, hat der Gesetzgeber nach einer entsprechenden Forderung aus der Rechtsprechung die Voraussetzungen der Maßregel dahin abgeändert, dass diese neben jeder Freiheitsstrafe, als auch neben der lebenslangen Freiheitsstrafe, angeordnet werden kann. Dies ist im Allgemeinen ein Akt der symbolischen Strafgesetzgebung, wie sie in jüngerer Zeit auf zu registrieren ist. Ist ein Mensch zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, bleibt kein Raum für eine anschließende Vollziehung einer Maßregel. Die zusätzlich angeordnete Maßregel kommt demnach nur theoretisch zum Zuge, wenn die lebenslange Freiheitsstrafe nachträglich, etwa im Fall einer Wiederaufnahme des Verfahrens, in eine zeitige Freiheitsstrafe verwandelt wird und die daneben mögliche Maßregel fehlt. Ein solcher Fall ist bisher – soweit ersichtlich – nie vorgekommen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe bei der zusätzlichen Anordnung der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist rechtlich schon im Urteilszeitpunkt zu bewerten und zwar unabhängig davon, ob im anschließenden Instanzenzug oder aufgrund eines außerordentlichen Rechtsbehelfs eine andere Konstellation im Verhältnis von Strafe und Maßregel geführt werden. Das ist zur Zeit des Urteilsspruchs weder vorhersehbar noch rechtlich zu bewerten.

Die Möglichkeit eines kumulativen Ausspruchs von lebenslanger Freiheitsstrafe und Unterbringung in der Sicherungsverwahrung deutet ein weiteres rechtliches Problem an. Wird die lebenslange Freiheitsstrafe bis zur Mindestverbüßungsdauer zum Ausgleich der Schuld vollstreckt und ist die weitere Vollstreckung zum Schuldausgleich nicht mehr erforderlich, sondern im Kern nur zur Gefahrenabwehr geboten, so ist der restliche Teil dieser lebenslangen Freiheitsstrafe in seiner Zwecksetzung im Wesentlichen identisch mit der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Aus dieser Perspektive erscheint es dann auch geboten, die Art und Weise der Strafvollstreckung und der Vollziehung der Maßregel aneinander anzupassen. Dieses Gebot kollidiert indes mit der verfassungsgerichtlichen Behauptung, es bestehe ein Abstandsgebot (BVerfGE 128, 326, 374 ff.); 131, 268, 289 ff. zur Unterscheidung von Strafe und Maßregel, um letztere nicht als unzulässige Doppelbestrafung in Erscheinung treten zu lassen. Nur dann, wenn im Anschluss an eine zeitige Freiheitsstrafe mit anderen Vollstreckungsbedingungen vollzogene Maßregel mit der Strafe zusammentrifft, lässt sich das Abstandsgebot realisieren. Dies zeigt auch, dass die Kumulation von lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung zu weit geht. Die Tatsache, dass dies vom Gesetzgeber und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gleichwohl bisher gebilligt wird, deutet auf eine fehlerhafte Vorstellung von Bedeutung und Tragweite der weitreichenden Freiheitsentziehung hin.

Fazit

Die lebenslange Freiheitsstrafe ist zum Schuldausgleich nicht geboten und zur Erreichung präventiver Strafzwecke ungeeignet. Ihre zentrale Bedeutung besteht darin, ein Bollwerk gegen die Wiedereinführung der Todesstrafe zu bilden. Soweit sie zumindest nach Ablauf der Mindestverbüßungsdauer zum Schuldausgleich teilweise mit der Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung identisch wirkt, kommt darin zum Ausdruck, dass die Maßregel der Unterbringung des Verurteilten nach der Strafvollstreckung in der Sicherungsverwahrung eine Fehlkonstruktion darstellt. Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe und ihre Ersetzung durch eine langjährige zeitige Freiheitsstrafe würden jedoch zu einem weiteren Aufschwung der Konjunktur des Maßregelrechts führen. Dagegen bestehen erhebliche Bedenken, besonders im Hinblick auf die Unsicherheit der Rückfallprognosen, die über die Vollziehung der Maßregel entscheiden, in gleicher Weise aber auch für die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung im Rahmen der lebenslangen Freiheitsstrafe bestimmend sind. Es besteht zudem ein Dunkelfeld fehlerhafter Tatsachenfeststellungen in rechtskräftigen Strafurteil und ein besonders großes Dunkelfeld fehlerhafter Prognoseentscheidungen zum Nachteil von Verurteilten.

Diese Fragen haben in Rechtspolitik und Rechtsprechung keine Lobby, weshalb sie kaum wahrgenommen werden. Erforderlich ist zunächst die Herstellung eines Bewusstseins dafür, dass Tatsachenfeststellungen in rechtskräftigen Strafurteilen weder rechtlich bindend sind noch die Übereinstimmung mit der materiellen Wahrheit garantieren und uneingeschränkt den Prognosesachverhalt anreichern können. Bewusst gemacht werden muss damit die Tatsache, dass Prognosegutachten einen erheblichen Unsicherheitsfaktor enthalten, der nicht allein durch formale Methodenanforderungen kompensiert werden kann. Zu aktivieren ist die empirische Rückfallforschung. Dazu muss die Angewandte Kriminologie eingeschaltet werden, nachdem die forensische Psychiatrie allenfalls zum Teil über die erforderliche Fachkompetenz, die notwendigen Forschungs-mittel und die angemessenen Erkenntnisse zur Validitätskontrolle verfügt. Auch wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit bedeutsam. Was die für den Entscheidungsprozess als letztverantwortliche Beurteiler zuständigen Justizjuristen angeht, ist mehr Aus-und Fortbildung erforderlich.

Richter Dr. Ralf Eschelbach | Bundesgerichtshof (BGH) Karlsruhe

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