Dass ich in meinem Alter immer noch Kinder in die Welt setze, gefällt meiner Frau ganz und gar nicht. „Du schreibst immer nur und sitzt immer nur vor deinem Ding.“ Dabei habe ich lange Zeit kein Ding gehabt. Mindestens zehn Bücher habe ich geschrieben ohne dieses Teufels-Ding, mit Tipp-Ex, tacktack, tippex, tacktacktack. Bis ich dann meinem Knastbruder Josef über die Schulter schaute und fasziniert war, wie er ohne Tipp-Ex seine Fehler korrigierte. Einfach klick. Und weg ist, was du weghaben willst. Ich war weg von dem Ding, das Dinge kopiert, verlagert, speichert, die du unbedingt noch brauchst. Es dauerte nicht lange, bis Josef mir seinen alten Laptop andrehen konnte.
Inzwischen ist mein Ding ein angebissener Apfel. Schon Adam und Eva konnten nicht widerstehen und natürlich war keiner der beiden selbst schuld: Ich doch nicht! Das Ding an sich ist nicht schlecht; die Sache ist nur die, dass der Mensch immer mehr zum Ding wird. Im Zug sitzen alle vor ihrem Ding. Das Menschliche, das Zwischenmenschliche bleibt immer mehr auf der Strecke. Ich nehme mein Ding überall mit, nur nicht ins Schlaf-gemach. „Dann sind wir geschiedene Leute“, sagt meine bessere Hälfte. Während der Schwangerschaft schlafe ich schlecht, mein Baby liegt mir quer im Bauch und boxt und pocht. Da schleiche ich mich nachts aus dem Bett und lasse meine Gemahlin links liegen. Und wenn sie mich dann erwischt, reagiert sie so heftig, als wäre ich fremdgegangen. Dabei war ich doch nur bei meinem Ding. Warum diese Eifersucht? Ich suche ja nur mit Eifer das rechte Wort, die richtige Überschrift, die passende Pointe. Und wenn ich dann das Gesuchte gefunden habe, bin ich selig und mache es gleich mit meinem Ding dingfest.
Gut, dass meine Frau nicht mitbekommt, wenn eine geliebte Leserin mir sagt: „Ihr Buch liegt bei mir auf dem Nachttisch. Jeden Abend schlafe ich mit Ihnen ein.“ Aber es gibt auch andere Stimmen: „Petrus, dir kann ich es sagen. Du liegst bei uns auf dem Klo.“ Fünf Minuten Stille: Die Lieblingslektüre für das stille Örtchen. Auf einen Espresso liegt bei einigen neben der Kaffeemaschine. Plappergeil liest sich am besten beim Papageienkäfig, aber nicht jeder Leser hat so einen Vogel.
Ich muss wohl eine Meise haben, dass ich meine, immer noch weiter schreiben zu müssen. Und wenn ich das Schreiben schon nicht lassen kann, könnte ich doch auch für mich schreiben – Tagebuch auf Recycling-Papier. Aber nein, ich möchte, dass andere meine Texte lesen, mich toll finden. Für mein Bücher schreiben mag es viele Gründe geben, auch wenn ich sie selbst nicht genau ergründen kann. Ich schreibe wohl auch gegen meine Angst an, abgeschrieben zu sein. Gegen die Angst, nach meinem Tod in die völlige Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dabei ist der Versuch, sich durch seine Texte selbst zu überleben, doch lächerlich. Gut, ein Goethe oder Schiller haben sich durch ihre Werke in gewisser Weise schon unsterblich gemacht.
Aber wenn ich, kleiner Schreiberling verblichen bin, wird auch mein Name bald verblasst sein. Und auch meine Erzeugnisse werden schnell in Vergessenheit geraten, was sie ja zum größten Teil jetzt schon sind. Schreibe ich, um mich zu therapieren? Dann müsste ich schon längst geheilt sein. Oder ich bin ein heilloser Profilneurotiker, ein unersättlicher Narzisst, der von sich selbst nicht genug kriegen kann? Ist es die krankhafte Sucht nach Anerkennung und Bestätigung, die mich schreibsüchtig macht? Auf jeden Fall habe ich verdächtig viel Verständnis für Drogensüchtige. Und wenn ich merke, dass ich keinen Bleistift oder Kugelschreiber bei mir habe, werde ich ganz kribblig, wie der Fixer, der verzweifelt nach seiner Pumpe sucht. Sucht kommt von Sehnsucht. Ich sehne mich immer Noch nach dem einen Wort, das alles sagt.
Aber dieser Text hat inzwischen auch schon wieder 624 Wörter. Mein Ding zählt gleich jedes Wort – und jedes Wort zählt gleich. Ein Unding!
Petrus Ceelen