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Eine berührende Geste eines jungen Syrers

15. Juli 2024

Es ist wieder Montag, und weil heute Montag ist, ist das Wochenende leider auch schon wieder vorbei. Wir sind mit Sack und Pack im Westerwald, nur eine Stunde von Köln entfernt. Mit Hund und Pferd. Spazierengehen, Wandern – mit und ohne Pferd, Lesen, dem Hund neue Tricks beibringen, Beeren pflücken, Kochen, die Beine hochlegen und die Stille genießen. Wenn ich mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon sitze, nicht weit von der Wied entfernt, der Hund unter dem Tisch und das Pferd dösend auf der Weide – dann bin ich Gott echt dankbar. Ich habe unfassbar viel Glück in meinem Leben gehabt.

Ich habe eine Geschichte mit in den Urlaub genommen. Die begleitet mich die ganze Zeit. In der Kölner Agnespfarrei kümmern wir uns gerade um drei junge Syrer. Zwei von ihnen fast noch Kinder. Wir haben ihnen zuerst notdürftig ein Zimmer eingerichtet. Inzwischen sind sie vorübergehend in eine leerstehende Wohnung eingezogen. Bernd, einer aus der Gemeinde, kümmert sich besonders um sie. Er gibt ihnen Deutschunterricht, organisiert mit ihnen Freizeitaktivitäten und steht mit Rat und Tat zur Verfügung. Einmal in der Woche nimmt er sie mit zur Lebensmittelausgabe. Da helfen die drei ein bisschen mit und nehmen nachher einen Beutel mit Lebensmitteln mit nach Hause.

Eine berührende Geste

Neulich ist eine Frau zu spät gekommen, hat Bernd erzählt. Alle Lebensmittel waren schon verteilt. Und während alle noch grübelten, wie man der Frau helfen kann, da hat Mahmut, einer der drei Syrer einfach seine Tüte aufgemacht und leichthin das Beste in die Tasche der Frau gelegt. Hähnchenschenkel nämlich, auf die er sich selbst sehr gefreut hat. Bernd hat mir gesagt, wie sehr ihn diese Geste berührt und auch beschämt hat. Einer, der auf seiner Flucht nach Europa selbst unglaubliche Gewalt, Erniedrigung und Not erlebt hat teilt ganz selbstverständlich das Wenige, was er bekommt, noch mit einem anderen ihm völlig fremden Menschen, der selbst gerade in großer Not ist. Mich berührt das deswegen, weil die kleine Geschichte mir wieder etwas deutlich macht. Alles hat seine Zeit, sagt die Bibel.

Zeit, wo das teilen wichtiger wird

Ich habe das Gefühl, jetzt ist eine Zeit, wo das Teilen wieder wichtiger wird. Vieles wird enger und weniger. Geld, Wohnraum und Schulplätze. Vieles, was selbstverständlich war wird prekär. Demokratie, Frieden, die Gesundheitsvorsorge oder auch die Situation in der Pflege. Anderes wird bedrohlicher und düsterer. Einsamkeitserfahrungen, Ausgrenzung, die Möglichkeit, am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. Tiere und Pflanzen, die aussterben. Ich sitze hier auf dem Balkon, schaue ins saftige Grün der Bäume und lausche dem Morgenwind hinterher. Ich habe wirklich unfassbar viel Glück in meinem Leben. Ich habe alles, was ich brauche. Auf nichts habe ich einen Anspruch. Alles sind wunderbare Geschenke. Meine Frau, unsere Tiere, der warme Schluck Morgenkaffee. „Hände, die schenken, erzählen von Gott“. So geht ein Lied, was wir in der Agneskirche im Gottesdienst singen. Ich finde, Mahmut, der junge Syrer, ist ein kleiner Prophet, der mich daran erinnert, dass das stimmt. Im Urlaub. Und auch an diesem Montagmorgen.

Peter Otten | Kirche im wdr

 

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