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Schock des Kreuzes im Knast: Emotionen und Reaktionen

6. April 2023

In der Gefängnisseelsorge werden wir mit einer Vielzahl menschlicher Erfahrungen des Leids bzw. „des Kreuzes“ konfrontiert. Als Gefängnisseelsorger habe ich über die Jahre in den Justizvollzugsanstalten Hünfeld und Fulda Momente und Phasen beobachtet, die ein inhaftierter Mensch durchläuft, wenn er im Gefängnis leidet und trauert: Schock, Verleugnung, Wut, Traurigkeit, Bedeutungslosigkeit, Reorganisation und Anpassung.

 

Schock

Menschen, die im Gefängnis trauern und mit dem Kreuz des eigenen Lebens – mit Tod und Leid – zu tun haben, können durch die Haft einen neuen Schock erfahren. Dies führt zu Verwirrung, Unklarheit und Erstarrung. Ein einsetzendes Gefühl der Desorganisation, mit Gefühlen von Hilf- und Machtlosigkeit. Für die meisten ist die Gefängniserfahrung geprägt von vielen „Kreuzen“. Von einem überwältigenden Gefühl des Verlusts von Familie und Freunden, von Ehepartnern und/oder Kindern, von Arbeit und einem gelebten Leben, das jetzt abrupt endet.

Verleugnung und Wut

Auf den Schock des Leids und Kummers im Gefängnis, folgen manches Mal Verleugnung und Gefühle von Unglauben. Der Gefangene bemerkt eine starke Protestreaktion in sich. Er protestiert gegen die Ernüchterung und Verletzlichkeit, ein inhaftierter Mensch zu sein, auf so viele Arten eingeschränkt und eingesperrt zu sein. Die Erfahrungen dieser Verleugnung können Wut hervorrufen. Eine Wut, die oft mit Vorwürfen und Schuldgefühlen verbunden sind. Man zeigt mit dem Finger auf jemanden oder etwas, beispielsweise das System, die Institution oder die Politik. Bin ich schuld, dass die Dinge so sind, wie sie sind? Nein, es muss jemand anderes verantwortlich sein. Schuld zu sein, für das Leid und die Trauer, die mir geschehen ist, ist nicht leicht auszuhalten.

Traurigkeit und Bedeutungslosigkeit

Wenn die Wut nach außen hin, den Mitmenschen oder sich selbst nachlässt und der Schuldsturm sich legt, fühlen sich Menschen hinter Gittern allein in ihrer Verzweiflung. Das Gefühl der Trauer tritt ein. Depressionen von innen können eine Folge sein. Ein sehr harter Moment in der Zelle. Die Bewältigung der Depression ist das Schwierigste in diesem Prozess. „Es ist doch eh alles so sinnlos“. Die Bedeutungslosigkeit und Ungleichheit, die anhält, bis zu dem Punkt, an dem der Gefangene sich fragt, ob es sich überhaupt noch lohnt weiterzuleben.

Reorganisation und Anpassung

Kann ein Oster-Sinn für Realismus auftauchen? Kommt da noch etwas? Der Mensch hat trotz allem die Fähigkeit und die Ressourcen, sich selbst zu stärken und das Leben zu meistern. Wieder Hoffnung zu schöpfen hinter den Mauern. Mit den „Federn der Hoffnung“, um es poetisch zu sagen, kann der Mensch wieder ein Stück Versöhnung, Erlösung und Frieden mit seinem Leben suchen und finden. In der schrittweisen Auseinandersetzung mit den Umständen, mit der Umgebung und den Herausforderungen können sich Möglichkeiten entwickeln, Trauer und Leid auszudrücken und neue Pläne für die Zukunft zu entdecken.

Meins G.S. Coetsier | JVA Hünfeld + Fulda


Hintergrund

Die schweizerisch US-amerikanische Psychiaterin und Sterbeforscherin, Elisabeth Kübler-Ross, die später zur esoterischen Geistheilerin wurde, schuf ein weltweit beachtetes Fünf-Phasen-Modell, welches den Umgang sterbenskranker Menschen mit ihrer Situation beschreibt. Durch ihr Engagement erfuhren Sterbeforschung und Sterbebegleitung eine große Aufwertung. Die 5 Stufen der Trauer sind bei Kübler-Ross Verleugnung, Ärger, Feilschen, Depression und Annahme. Die Phasen beschreiben die geistige Verarbeitung des Abschieds bei Menschen, die gesundheitliche Verschlechterungen erleiden bzw. mit einer Diagnose und deren Prognose konfrontiert sind. Die Stufen folgen oft nicht nacheinander, sondern gehen ineinander über oder man steht wieder am Anfang. Kritiker erheben gegen Kübler-Ross Plagiatsvorwürfe und bezweifeln die wissenschaftliche Qualität ihrer Arbeiten. 

 

1 Rückmeldung

  1. Meins G.S. Coetsier sagt:

    Ostern findet nicht nur in der Kirche oder zu Hause in der Familie statt, sondern auch im Gefängnis. Auch Gefangene wollen etwas Osterstimmung aufkommen lassen. Wie jedes Jahr hat der Papst Häftlingen eines italienischen Gefängnisses die Füße gewaschen und mit ihnen die Messe vom letzten Abendmahl gefeiert. Er feierte den Gottesdienst am Gründonnerstag mit rund 100 Insassen und Wärtern der Justizvollzugsanstalt von Casal del Marmo. Aber warum macht er das? Warum wäscht der Papst Häftlingen die Füße? Warum gehen wir als Kirche, als Seelsorger und Ehrenamtliche in eine JVA?

    Angst, Leid und Tod – nicht das letzte Wort
    Papst Franziskus erinnert uns bei seinen öffentlichen Auftritten an Menschen am Rande der Gesellschaft. Es geht ihm um die „Ausgegrenzten“, diejenigen, die „als Probleme katalogisiert werden.“ Auch wir Seelsorger und Ehrenamtliche in den Justizvollzugsanstalten in Hünfeld und Fulda möchten daran glauben, dass ausgegrenzt zu sein und unsere existenziellen und menschlichen Probleme, ja dass Angst, Leid und Tod nicht das letzte Wort haben. Dies zeigt uns die bewegende Ostergeschichte vom Kreuz bis hin zur Auferstehung und alles weitere danach. Unter dem Motto: „Da kommt noch was!“ feieren wir mit den Inhaftierten des Hünfelder und Fuldaer Gefängnisses Ostern. Für die Gefangenen war klar, „da muss noch was kommen!“ Eine kleine süße Osterüberraschung nach den Gottesdiensten für die Inhaftierten als Ermutigung…

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