Im Grunde hat er zwei Leben. Eines hinter Gittern und eines davor. Doch anders als bei den Gefangenen kann Michael Nürnberg zwischen diesen Welten hin- und herwechseln. Er hat den Schlüssel. Im Volksmund wird er darum als “Schließer”, “Schluse” oder “Wärter” bezeichnet. Ausdrücke, die den Justizvollzugsbeamten eher “fuchsig” machen. “In der öffentlichen Wahrnehmung werden wir in eine Ecke gestellt, in die wir eigentlich gar nicht gehören”, stellt er fest und bricht auch schon wieder ab. Das Telefon klingelt, ein Häftling soll zum Besuch geführt werden. Nürnberg muss sich darum kümmern, dass der Gefangene rechtzeitig im Besucherbereich ist.
“Wo waren wir stehen geblieben?”, fragt der kräftig gebaute Mann. “Ach ja, die Vorurteile.” Draußen würde oft nur wahrgenommen, dass er als Vollzugsbeamter hinter den Gefängnismauern die Schlüsselgewalt habe. Alles andere würde ausgeblendet. “Gerade in den Medien. Da werden wir häufig mit den Inhaftierten auf eine Stufe gestellt.” Bestes Beispiel sei die RTL-Serie “Hinter Gittern”: “Die Beamten werden da doch alle als korrupt und machtbesessen dargestellt, dealen, vergewaltigen und gehören eigentlich selbst hinter Gitter.”
Morgendliche “Lebendkontrolle”
Auf welcher Seite des Gesetzes Michael Nürnberg und seine Kollegen stehen, zeigt schon die Uniform. Sie gleicht der der Polizisten, allein das Emblem (ein Schleswig-Holstein-Wappen mit der Überschrift “Justiz”) auf den Ärmeln weist die Beamten als Justizler aus. Es sind keine Schließer oder Wärter, sondern Betreuer. Ihr Dienst auf Station beginnt mit der morgendlichen “Lebendkontrolle”, danach wird das Frühstück ausgegeben, Post und Anträge werden verteilt beziehungsweise bearbeitet und weitergeleitet, Gefangene werden zu ihren Terminen geleitet, zur Freistunde auf den Hof, zum Besuch. Auch wenn es auf die andere Seite der Mauer geht, zum Gericht, ins Krankenhaus oder wenn die Häftlinge sich langsam wieder auf ein Leben außerhalb der Gefängnismauern gewöhnen sollen, muss ein Beamter dabei sein. “Es ist ein sehr anspruchsvoller Beruf, vergleichbar mit dem einer Krankenschwester oder eines Pflegers in einer psychiatrischen Einrichtung”, betont Nürnberg.
Durch einen Zufall ist der 42-Jährige vor 15 Jahren hinter Gittern gelandet. Nach acht Jahren Marine hatte der gelernte Speditionskaufmann ein neues Betätigungsfeld gesucht. Ein Freund machte ihn auf eine Stellenanzeige der Hamburger Justizvollzugsanstalt aufmerksam. “Bis dahin hatte ich im Grunde keine Vorstellung, was mich hier erwarten würde”, räumt Nürnberg ein. Doch die Ausbildung in Gesetzeskunde, Pädagogik, Psychologie, Kriminologie und Sport sagte ihm zu.
50 er Jahre Jugendherbergsduft
Mittlerweile weiß Michael Nürnberg, wie es im Gefängnis zugeht. Vom anderen Geruch – “viele Menschen auf einem Haufen, gepaart mit Reinigungsmittel und so einem 50 er Jahre Jugendherbergsduft” – der anderen Klangwelt – “permanentes Schlüsselklappern und -klingeln, lautes Reden, viele Sprachen” – bis hin zu dieser anderen Mentalität. “Man verroht hier drin.” Es gebe Witze, die seien im Gefängnis “der absolute Brüller”, doch wenn ihm ein solcher auf einer privaten Party raus rutsche, “herrscht in der Regel eisiges Schweigen”.
Beileibe nicht jeder, der im Gefängnis sitze, sei schlecht, unterstreicht Nürnberg: “Da kommt man manchmal schneller zu, als zu einem Paar Turnschuhe.” Und es gebe durchaus Fälle, bei denen er sich frage, ob nicht die Gesellschaft versagt habe, wenn ein solcher Mensch hinter Gittern lande. Aber unterm Strich dürfe das für ihn nicht von Belang sein, sagt der Vollzugsbeamte. Für ihn seien alle Gefangenen gleich und müssten es auch sein. Auch wenn er von jedem die Akte kenne und sich bei so manchem privat seinen Teil dazu denke. “Hier drin muss man sich gerade machen. Jeden ernst nehmen und jedem ein klares Gegenüber sein.”
Und privat? Das versucht Michael Nürnberg von seiner Arbeitswelt fern zu halten. “Das muss man, sonst kann man diese Arbeit nicht aushalten.” Natürlich sei er vorsichtiger, nein: misstrauischer fremden Menschen gegenüber geworden. Jetzt, wo er in so viele Abgründe geblickt habe. Aber man müsse eben klar trennen – zwischen dem Leben hinter Gittern und dem Leben davor.
Kathrin Emse, Mit freundlicher Genehmigung: shz.de | Fotos: Achim Pohl, Bistum Essen
1 Rückmeldung
Sehr geehrte JVA – Leute,
nachdem heute allen möglichen Leuten Dank gesagt wird, in diesen schweren Covit19 – Zeiten, möchte ich Ihnen, die den schweren Dienst in der Anstalt verrichten, meinen herzlichen Dank für ihre Arbeit aussprechen! Sie sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft weiter funktioniert, trotz der schweren Zeiten! Meine Hochachtung.