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Corona-Quarantäne: Gefahr von Rückfall in Alkoholsucht

17. April 2020

Die Ausgangsbeschränkungen treffen manche härter als andere: Suchtkranke können derzeit keine ambulanten Behandlungen wahrnehmen. Die Beratungsstellen arbeiten nur noch online oder per Telefon. Gespräche im Büro beim Blauen Kreuz in Ottobrunn sind gerade nicht möglich. Auch Therapie- und Selbsthilfegruppen fallen aus. Suchtberater schlagen Alarm: Sie stellen eine steigende Zahl von Rückfällen fest.

Die Telefonleitung von Suchtberaterin Linda Barth steht momentan selten still. Die 32-jährige Sozialpädagogin kann derzeit nur telefonisch und per E-Mail beraten. Gespräche in ihrem Büro beim Blauen Kreuz in Ottobrunn bei München sind gerade nicht möglich. Auch Therapie- und Selbsthilfegruppen fallen aus – und das hat Folgen, sagt die Beraterin.

„Der Alkohol schleicht sich von hinten an und das ist so ein bisschen die Gefahr. Und dann wird es eben mal mehr. Also man trinkt dann vielleicht nicht nur ein Feierabendbier, sondern dann sind es auf einmal drei.

Und dann lässt man auch die alkoholfreien Tage weg. Irgendwann merkt man dann, dass man Alkohol vielleicht von der Psyche her nicht mehr so einfach weglassen kann.“

Gerade telefoniert die Beraterin mit Melanie F., die in Wirklichkeit anders heißt. Die Münchnerin ist Mitte 40, Industriekauffrau und seit mehr als einem Jahr trocken. Vor ihrer sechswöchigen Entziehungskur trank sie jeden Abend bis zu zwei Flaschen Wein. Seitdem ist Melanie F. in einer ambulanten Reha. Sie kann sich gut vorstellen, was manche Alkoholsüchtigen gerade durchmachen: „Gerade bei Corona macht man sich Gedanken, man macht sich Sorgen. Man fühlt sich einsam, die Decke fällt einem auf den Kopf. Das stelle ich mir sehr schwierig vor.“

Die aktuellen Corona-Einschränkungen haben auch ihr zugesetzt. Rückfällig sei sie zwar nicht geworden, trotzdem habe sie am Anfang „öfter mal an Alkohol gedacht.“ Freunde treffen, Hobbys nachgehen, Routine im Job haben – all das geht gerade aufgrund der Kontaktverbote nicht. Langeweile und Einsamkeit gepaart mit der Sorge um die Liebsten und einem leichten Zugang zu Alkohol, das kann bei instabilen Menschen zu einem gefährlichen Mix werden, sagt Sozialpädagogin Linda Barth.

Beratungsstelle: Mehr Rückfälle in Sucht wegen Corona

Auch Daniel Elsässer von der Caritas-Suchtberatungsstelle in Aschaffenburg berichtet über mehr Rückfälle in die Sucht wegen Corona: „Sportvereine, Tanzvereine, Musikvereine – nichts findet mehr statt. Und genau das ist eigentlich der Kern der Arbeit mit Suchtkranken: Sie dazu zu kriegen, auch wieder am sozialen Leben teilzunehmen. Und das ist jetzt genau das Problem, dass eben diese ganzen Dinge nicht mehr vorhanden sind.“ Ein weiteres Problem: Viele Kliniken haben wegen Corona die Zahl der Plätze auf ihren Entgiftungsstationen reduziert oder gar einen Aufnahmestopp verhängt. Dadurch könnten sich stationäre Behandlungen verzögern, so der Suchtberater. Auf diese Gefahr weist auch der Gesamtverband für Suchthilfe der Diakonie Deutschland hin. Konkrete Zahlen gibt es nicht, mehrere Beratungsstellen berichten aber von einer Zunahme an Anfragen.

Nicht nur Alkohol und Tabletten – auch Computerspiele bergen Gefahr

Dabei sind es nicht nur Alkohol oder Tabletten, die süchtig machen können. Auch Computerspiele könnten gerade junge Leute derzeit in die Abhängigkeit bringen, sagt der Kriminologe Christian Pfeiffer aus Hannover. Die Spiele hätten eine Sogwirkung: „Das Problem könnte sein, dass vor allem männliche Jugendliche unter 14 angesichts der Tatsache, dass es keine Schule mehr gibt, umso mehr Zeit mit Computerspielen verbringen und dann sich die Gefahr erhöht, dass sie in eine veritable Spielsucht hineingeraten“, so Pfeiffer. Auch wenn es nicht leicht sei: Nun seien die Eltern gefragt, zu Hause für Abwechslung zu sorgen, so der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens – mit Sport, Musik oder Gemeinschaftsspielen.

Eltern müssen für Abwechslung sorgen

„Je mehr sie erleichtert registrieren: ‚Ach, Gott sei Dank. Unser Junge ist mit Computerspielen beschäftigt und geht uns nicht auf die Nerven‘, umso höher ist das Risiko, dass wenn die Schule wieder anfängt, das Spielen einen noch größeren Platz im Leben der männlichen Jugendlichen einnimmt“, sagt Christian Pfeiffer. Melanie F. aus München will nach der Corona-Zwangspause bei einer Selbsthilfegruppe mitmachen. Sie rät anderen Suchtkranken, über ihre Probleme mit vertrauten Menschen zu sprechen und nicht zu zögern, auch einmal bei der Suchtberatung anzurufen.

Johannes Reichart | Mit freundlicher Genehmigung: BR 24

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