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Religion und Glaube sollen befreien und nicht einengen

12. April 2025

Sie war die einzige Tochter und lernte in ihrem katholischen Elternhaus zu dienen. Christliche Nächstenliebe bedeutet für andere da sein, das wurde ihr mit hohem moralischem Druck in Familie, im Religionsunterricht und in den Gottesdiensten immer wieder deutlich gemacht. Als Erwachsene pflegte sie ihre Eltern zuhause – sie in ein Heim zu bringen, wäre ihr nicht übers Herz gekommen. Sie blieb unverheiratet, lebt heute allein und ist eine regelmäßige Kirchgängerin.

Die Oberammergauer Holzbildhauerin Marion Jochner hat sich getraut, eine Menschentochter am Kreuz zu gestalten, offenbarend, dass Passion menschlich ist und in ihr doch Mitgefühl sein kann.

Vor wenigen Tagen erzählte sie mir: „Glaube soll doch befreien – ich merke davon nichts! Immer wieder heißt es, Gott hat seinen Sohn geopfert für unsere Sünden. Ich bleibe aber doch sündig und kann das nie wieder gutmachen. Gott hat so viel geopfert für mich, ich schaffe es nicht, ihm gerecht zu werden. An Gott glauben ist für mich eher eine Belastung als eine Befreiung.“

Als guter Hirte gemalt

Mit dem Widerspruch zum Glauben an einen von Gott ans Kreuz geopferten Sohn ist diese Frau nicht allein. Manche Christinnen und Christen meiden deshalb die Gottesdienste der Karwoche, besonders die Karfreitagsliturgie. Andere sind aus der Kirche ausgetreten, in der ihnen gelehrt wurde, sich selbst zuallererst als Sünderin und Sünder zu verurteilen, um womöglich – je nach Gehorsamsleistung – ein wenig abzubekommen aus dem übermächtigen Opfer Gottes. Das Kreuz führt in den Widerspruch, schon Paulus schrieb an die Gemeinde in Korinth: „Wir verkünden einen gekreuzigten Messias; den Juden ein Ärgernis; den Völkern ein Aberwitz“. Die Gewalt des Kreuzes und das Bild eines den eigenen Sohn opfernden Gottes stehen in krassem Widerspruch zu Jesu Botschaft eines nahen und liebenden Gottes. In den Katakomben der ersten Christengemeinden in Rom wurde Jesus nicht als Gekreuzigter, sondern zur Ermutigung in Zeiten der Verfolgung als der gute Hirte gemalt.

Kraft seiner Schwachheit

„Das Kreuz offenbart die ganze Gewalttätigkeit, die ganze Macht des Bösen, zu dem Menschen fähig sind“, schreibt der franziskanische Theologe Richard Rohr in den USA, „aber nicht nur das. Es offenbart die Gewaltlosigkeit Gottes. Das ist der Weg, den Gott zu unserem Heil gegangen ist. Wir sind nicht durch Gewalt erlöst.“ Bis in den Tod am Kreuz ist Jesus den Weg der Gewaltlosigkeit im Verzicht auf Rache und mit der Kraft der Versöhnung gegangen. Diese Haltung prägte schon sein ganzes Leben, konsequent blieb er ihr treu bis zum Ende. Dietrich Bonhoeffer schrieb 1944 aus dem Gefängnis: „Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Christus hilft uns nicht kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens.“

Passion menschlich (er)tragbar

Der Widerspruch am Kreuz bleibt, und in ihm sind all unsere widersprüchlichenu und schmerzhaften Erfahrungen zwischen Angst und Hoffnung, Unglück und Glück, Gewalt und Liebe aufgehoben. Wir müssen uns nicht dem Teufelskreislauf von „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ ergeben, wir können im Leid dieses mit unserem Mitgefühl und der Kraft der Versöhnung tragen. „Am Kreuz erklären wir uns damit einverstanden, die Last des Bösen im Menschen zu tragen, dessen Opfer und Komplizen wir alle sind“ (Richard Rohr). In einer Welt, die wie in unseren Tagen den ganzen Schrecken von Gewalt und Gegengewalt offenbart, tut es Not, sich unser aller Verbundenheit auf der Erde bewusst zu sein und immer wieder neu zurückzufinden zu Mitgefühl und Verantwortung. So wird Passion menschlich (er)tragbar. Wir können uns darin dem Geheimnis des Lebens öffnen, das über alles hinausgeht – wir nennen es Gott. Gibt es eigentlich auch eine Menschentochter? Ja, denn was in Jesus geschehen ist, die bedingungslose liebevolle Hinwendung Gottes in den Menschen, ist nicht gebunden an ein Geschlecht…

Christoph Kunz

 

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