„Wie Schafe unter den Wölfen“ – so mag es sich anfühlen in Unfriedens-Zeiten, in denen die Luft aufgeladen scheint von Aufregung und Aggressionen. Wer versucht, mit etwas Milde, Güte oder gar Demut die Auseinandersetzungen in Politik, Gesellschaft und Kirche anzuschauen und dabei für Geduld wirbt, läuft Gefahr, als MitläuferIn einer als gegnerisch qualifizierten Seite zu gelten.
Friedenspolitik hat sich zu Aufrüstungspropaganda gewandelt, statt um Klimaschutz geht es um Waffenproduktion. Der alte Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ ist verstaut in einer Kiste für unbrauchbare Sprüche. Auch christliche Werte wie Barmherzigkeit und Versöhnung scheinen ausgedient zu haben. Selbst in kirchlichen Auseinandersetzungen wirken stattdessen Empörung und schnelle Verurteilung.
Entweder-oder Prinzip
Dabei können jene, die sich den Einsatz für Respekt, Vielfalt und Klimaschutz auf die Fahne geschrieben haben, selbst überraschend abschätzig und respektlos gegenüber MitbürgerInnen oder auch MitchristInnen wirken. Und auch in einem selbst kann bei mancherlei Ärgernis und in Bedrängung der Herzensgüte schon mal die Luft ausgehen, was innerlich hart werden lässt. Das in all diesen Auseinandersetzungen wirkende Phänomen ist ein altes und sehr menschliches: das Entweder-oder-Prinzip. Wenn es schwierig wird und bedrohlich, neigen wir dazu, die Wirklichkeit aufzuspalten in Gut und Böse, richtig und falsch, Täter und Opfer, so versuchen wir uns abzugrenzen. Erst die Würdigung beider Wirklichkeiten – auch in uns selbst – hilft Verantwortung zu übernehmen und Verbindung zu schaffen.
Den, den ich füttere…
Da gibt es die Geschichte von einer weisen indigenen Cherokee, die ihrer Enkeltochter am Lagerfeuer von einem Kampf erzählt, der in jedem Menschen tobt. Sie sagte: „Meine Tochter, der Kampf wird von zwei Wölfen ausgefochten, die in jedem von uns wohnen. Einer ist böse. Er ist der Zorn, der Neid, die Eifersucht, die Sorgen, der Schmerz, die Gier, die Arroganz, das Selbstmitleid, die Schuld, die Vorurteile, die Minderwertigkeitsgefühle, die Lügen, der falsche Stolz und das Ego. Der andere ist gut. Er ist die Freude, der Friede, die Liebe, die Hoffnung, die Heiterkeit, die Demut, die Güte, das Wohlwollen, die Zuneigung, die Großzügigkeit, die Aufrichtigkeit, das Mitgefühl und der Glaube.“ Die Enkeltochter dachte einige Zeit über die Worte ihrer Großmutter nach, und fragte dann: „Welcher der beiden Wölfe gewinnt?“ Die weise indigene Cherokee antwortete: „Der, den du fütterst.“
Keine Sache des Einzelnen
Das Evangelium von der Aussendung der JüngerInnen Jesu zu zweit, barfuß, ohne Geldbeutel und Vorratstasche mit dem Auftrag, den Frieden zu bringen, erzählt, wie es gelingen kann, wie Schafe mitten unter den Wölfen zu sein. Der Weg des Friedens ist kein Alleingang, nicht Sache eines Alleinherrschenden, sondern das im Miteinander sich aufeinander Einlassen im Bewusstsein der Verbundenheit. Weder Flucht in Ignoranz oder Zynismus noch Kampf gegen alles Fremde helfen, nur ein barfuß Gehen, das auch die wunden Stellen im Mitgefühl würdigen kann, Schritt für Schritt in Güte. Und Frieden wird nicht durch Aufrüstung, im Gegenteil: erst im mühsamen Verhandeln mit der Bereitschaft auch Eigenes loszulassen kann ein Konsens gefunden werden. Die Haltung, die Jesus seinen JüngerInnen empfiehlt, ist die das Gastseins: mit dieser Offenheit, mit der Bereitschaft, Neues zu entdecken und sich beschenken zu lassen, aber auch mit der Unabhängigkeit, den Staub an den Füßen abzuschütteln, auf dem Weg sein. „Denn“, so Jesus, „das Reich Gottes ist euch nah“ – wir müssen nicht alles selbst schaffen. Wenn etwas offenbleibt, ungelöst und unsicher, und das geschieht oft genug, dürfen wir annehmen, dass diese Kraft Gottes uns entgegenkommt, wo immer wir der Güte und dem Mitgefühl Raum lassen.
Christoph Kunz