Als ChristInnen freuen wir uns, in diesem Jahr wieder an vielen Orten teilhaben zu dürfen an der Freude, die Ihnen der Fastenmonat Ramadan bereitet. Ihre vielen Einladungen zum Fastenbrechen, sei es in den Familien oder den größeren und kleineren Moscheegemeinden vor Ort, sind wertvolle Momente der Begegnung und des Austausches über die Grenzen der Religionen hinweg. Sowohl der Islam als auch das Christentum vermitteln uns diese besondere und wertvolle Fähigkeit: Grenzen zu überwinden. Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit, Respekt und Empathie sind Haltungen, die wir allen Menschen schulden – allen Menschen, nicht etwa nur den Mitgliedern unserer eigenen Glaubensgemeinschaften.
Wenn wir jedoch ehrlich sind – und religiöse Zeiten der Besinnung laden uns immer wieder ein, unser Handeln zu hinterfragen – dann stellen wir fest: Als Menschen ziehen wir immer wieder Grenzen. Wir bleiben gerne unter uns und richten uns ein in den Grenzen unserer eigenen sozialen Schicht, unserer religiösen Ausrichtung, unserer politischen Auffassung, unserer ethnischen Herkunft oder unserer Nation. Wir informieren uns zu gleich zu oberflächlich. Unzureichende Fakten sind jedoch stets ein Einfallstor für Gefahren. Filterblasen und Fake News vertiefen die Gräben, die entstanden sind, und ratlos blicken viele von uns auf die gesellschaftlichen Folgen: Es herrschen eine Polarisierung, die niemandem dient und die eigentlich niemand will, und ein Stillstand, der übersieht, dass Wandel wesentlich zu jeder Existenz gehört.
Die heiligen Schriften unserer beiden Religionen bieten ein anderes Bild der Welt an. So nimmt der Koran auf die Vielfalt der Menschen in positiver Weise Bezug und versteht sie als Auftrag:
Wetteifert nun nach den guten Dingen! (Sure 5,48)
Die Bibel fordert Menschen dazu auf:
Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden! (Römerbrief 12,18).
In diesem Jahr verfolgen viele Menschen besonders die politischen Entwicklungen innerhalb Europas. Vom 23. bis 26. Mai 2019 wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zum neunten Mal das Europäische Parlament. Nie zuvor hat die Idee Europas so sehr in der Kritik gestanden. Nationalistische Fliehkräfte sind wirksam, und wieder sollen Grenzen markiert und gesichert werden.
Kein Land wird jedoch die Herausforderungen unserer Zeit alleine isoliert bestehen können. Es ist unser Auftrag als Weltreligionen, das Bewusstsein dafür wachzuhalten, dass es immer um mehr geht als nur nationale oder gar lokale Interessen. Es geht um die eine Welt, die uns Menschen anvertraut ist. Deshalb müssen wir immer wieder unsere Erfahrung und unser Potential für Versöhnung und Kooperation in Erinnerung bringen. Polarisierungen sind schnell errichtet, aber verlorenes Vertrauen wiederaufzubauen, braucht Zeit und einen festen Willen.
Viele der gesellschaftlichen Antagonisten unserer Tage können sich noch nicht vorstellen, jemals wieder am selben Tisch zu sitzen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, wie nötig es hier ist, Grenzen zu überwinden, und wie sehr all die leisen Stimmen und helfenden Hände gebraucht werden, die immer wieder erinnern: Es geht um Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit, Respekt und Empathie – in Europa und in der ganzen Welt. Dies wollen wir als ChristInnen in Zusammenarbeit gerne weiter entfalten und stark machen.
Wir wünschen Ihnen allen, Ihren Familien, Gemeinden und Gemeinschaften, einen segensreichen Ramadan. Ramadan Mubarak!