Während in Deutschland die beiden großen christlichen Kirchen über eine lange Tradition der Gefängnisseelsorge verfügen, ist die muslimische Seelsorge in Gefängnissen noch die Ausnahme. In einer Pilotstudie untersuchen WissenschaftlerInnen des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück die Situation von Muslimen im niedersächsischen Justizvollzug. Startschuss für das Forschungsprojekt gab Dr. Stefan von der Beck, Staatssekretär im Niedersächsischen Justizministerium.
„Damit leistet das Institut für Islamische Theologie nicht nur in Niedersachsen Pionierarbeit. Es gibt vermutlich keine oder wenige vergleichbare Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der muslimischen Gefängnisseelsorge“, lobte von der Beck das Vorhaben. „Muslimische Seelsorge trifft im Justizvollzug ebenso wie die christliche Seelsorge auf Menschen in Krisen. Sie kann Wendepunkte im Leben von Inhaftierten einleiten und die Wiedereingliederung in unsere Gesellschaft fördern“, so der Staatssekretär. „Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Seelsorge nicht dafür gedacht ist, eine Radikalisierung zu verhindern und sie kann entsprechende Projekte auch nicht ersetzen. Wir nehmen vielmehr religiöse Bedürfnisse ernst und wollen eine mit unseren demokratischen Werten in Einklang stehende religiöse Betreuung ermöglichen.“
Religiöse Fragen zu Sünde, Schuld, Prüfung, Bestrafung, Vergebung oder Sühne nehmen häufig eine zentrale Bedeutung in diesen außerordentlichen Lebenssituationen der Betroffenen ein, erläuterte Prof. Dr. Bülent Ucar, Direktor des Instituts für Islamische Theologie. „Deshalb ist es für die Betroffenen sehr wichtig und stabilisierend, aus dem Glauben Antworten zu erhalten beziehungsweise ihre Fragen innerhalb ihres vertrauten Glaubenssystems deuten zu können und damit die eigene Lebensgewissheit nicht nur zu erklären, sondern auch zu stärken.“
Das einjährige, vom niedersächsischen Justizministerium mit 341.000 Euro finanzierte Forschungsprojekt, hat sowohl einen theoretischen wie auch praktischen Teil. Zunächst geht es darum, den Bedarf von Gefangenen muslimischer Religionszugehörigkeit in Niedersachsen zu erheben. Dann werden professionelle Standards der muslimischen Seelsorge entwickelt. Schließlich geht es auch um die Positionierung islamischer Seelsorge in Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern, Psychologen, Pädagogen und ärztlichen Diensten. Vier wissenschaftlichen Mitarbeitern wird die Möglichkeit einer Weiterqualifizierung geboten.
„Es wird von den Mitarbeitern erwartet, dass das von ihnen gewählte Forschungsthema verknüpft ist mit Erhebungen aus dem Gefängnisalltag, damit die Erkenntnisse der Forschungsvorhaben für eine Qualifizierung der muslimischen Gefängnisseelsorge nutzbar gemacht werden können. Damit wird ein Beitrag zur Generierung von Qualitätsstandards für die muslimische seelsorgliche Arbeit geleistet“, ergänzte Prof. Ucar.
In einer Praxisphase werden die vier wissenschaftlichen Mitarbeiter zu qualifizierten Gefängnisseelsorgern ausgebildet. Die Ausbildung soll in erster Linie den Inhaftierten zugutekommen und damit auf den Mangel an muslimischen Gefängnisseelsorgern in Niedersachsen reagieren. Die Gesamtlänge des Kurses beträgt 200 bis 250 Stunden und entspricht den Kurszeiten entsprechender christlicher Seelsorgekurse für Hauptamtliche. Die wissenschaftliche Projektleitung liegt in den Händen von Prof. Dr. Bülent Ucar. Die Beratung erfolgt durch Dr. Esnaf Begic (IIT) und Dr. Christina Kayales aus dem christlichen Seelsorgebereich. Eingebunden sind auch die christlichen Seelsorgeausbilder Andreas Kunze Harper und Lothar Schaefer. Für die Studierenden ist regelmäßig alle sechs Wochen eine Supervision geplant.
Dr. Utz Lederbogen | Stabsstelle Kommunikation und Marketing der Universität Osnabrück
Wissenschaftlicher Ansprechpartner
Prof. Dr. Bülent Ucar, Universität Osnabrück
Direktor des Instituts für Islamische Theologie (IIT)
Kamp 46/47, D 49074 Osnabrück | +49 541 969 6032
bucar(at)uni-osnabrueck.de