Das gibt es bislang nur in der Schweiz an der Universität Bern: Eine interreligiöse Qualifikation für seelsorgliche Begleitung im Justizvollzug von Gefangenen, deren Angehörigen und an den in den JVAen arbeitenden Bediensteten. Die Evangelische Hochschule Freiburg im Breisgau bietet bundesweit eine erste interreligiöse Weiterbildung an, die Seelsorgende unterschiedlicher Religionszugehörigkeit qualifiziert. Die Konzeption basiert auf den Anforderungen an professionelles seelsorgliches Handeln im Justizvollzug.
Die Gefängnisseelsorge ist seit Jahrzehnten Bestandteil des Strafvollzugs. Die “Geistlichen” der evangelischen und katholischen Kirche waren die ersten SozialarbeiterInnen in der Fürsorge für die Gefangenen. Es ist das älteste pastorale Feld der Kirchen. Heute steht die Gefängnisseelsorge allen offen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer Weltanschauung. In den Gesprächen mit GefängnisseelsorgerInnen geht es vor allem um Sinn- und um Glaubensfragen und um die Bewältigung von persönlichen Krisen. Die Gefängnisseelsorge nimmt das gesamte Gefängnissystem in den Blick und arbeitet neben den Inhaftierten mit den Bediensteten und Angehörigen.
Religionssensibles Arbeiten
Gefängnisse sind ein Abbild der Gesellschaft: multiethnisch, multikulturell sowie multireligiös bzw. bekenntnisfrei. Globale ökonomische Prozesse, transnationale Wanderungsbewegungen und eine inter- und transnationale Kriminalität machen aus dem Gefängnis ein globales Dorf – mit allen Schwierigkeiten und Chancen, die das beinhaltet. Gefängnisseelsorge wirkt integrativ im System Vollzug. Die Evangelische Hochschule Freiburg startet die Aufgabe, eine Qualifizierung für Seelsorgende unterschiedlicher Religionszugehörigkeit zu entwickeln: trotz oder gerade weil die rechtlichen Rahmenbedingungen für christliche und muslimische Seelsorge unterschiedlich sind. Eine Sensibilität für verschiedene religiöse Zugänge zur Wirklichkeit und die eigene Haltung der Seelsorgenden gegenüber anderen Kulturen und Religionen und Menschen, die bekenntnisfrei sind, stehen im Mittelpunkt. Es geht um ein interkulturelles und interreligiöses Verständnis sowie um ein religionssenisblens Arbeiten in der staatlichen Einrichtung.
Ausbildungsformate der Gefängnisseelsorge bleiben
Die Evangelische Hochschule Freiburg hat an den evangelischen und an den katholischen Vorstand der Gefängnisseelsorge in Deutschland um die Mitarbeit in deren Beirat für die die konzeptionelle Entwicklung angefragt. Die Katholische Gefängnisseelsorge entsandte kein/e VertreterIn. Es gibt Stimmen, die den Versuch einer gemeinsamen Qualifizierung aufgrund der unterschiedlichen Seelsorgeverständnisses kritisch sehen. Es wird befürchtet, dass die Justizministerien auf die SeelsorgerInnen zurückgreifen, die künftig für alle ansprechbar sind und sie sich nicht mit den jeweiligen Kirchen auseinandersetzen müssen. Nachwievor sind die beiden großen Kirchen für die Entsendung des pastoralen Personals in die Justizvollzugsanstalten zuständig. Es gibt in den zwei konfessionell-kooperativen Gefängnisseelsorge-Konferenzen auf Bundesebene je eigene Ausbildungsformate. Die Deutsche Bischofskonferenz (dbk) hat mit dem Kurs “Kirche und Justizvollzug” in ökumenischer Weise die Katholische Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. beauftragt, die Ausbildung zu gestalten. Daneben gibt seitens der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland einen Kurs der Klinischen Seelsorge Ausbildung (KSA).
Angebot ist eine Zusatzqualifizierung
Die geplante Weiterbildung “Interreligiöse Seelsorge im Justizvollzug” setzt den erfolgreichen Abschluss eines einschlägigen Bachelor- Studiengangs (BA), beispielsweise der Religions- und Gemeindepädagogik, der christlichen und muslimischen Theologie sowie Judaistik, voraus. Katholische und Evangelische SeelsorgerInnen, Imame sowie jüdische Geistliche, die bereits ihren Dienst in einer JVA angetreten haben oder sich darauf vorbereiten, können die Weiterbildung als Zusatzqualifizierung (Certificate of Advanced Studies, kurz CAS) für ihren Dienst nutzen. Der berufsbegleitende Kurs über 18 Monate ist kein pastoraler Ausbildungsgang. Die Kosten der Weiterbildung liegen bei etewa 3000 Euro. Über den Einsatz in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) entscheiden im Fall der christlichen Kirchen zum einen die Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland bzw. die katholischen (Erz)Bistümer und Diözesen. Über den Einsatz der muslimischen und jüdischen SeelsorgerInnen entscheidet das zuständige Justizministerium.
Michael King
Inhalte
Der Inhalt der Weiterbildung umfasst Kontext und Praxis der Gefängnisseelsorge in drei Modulen. Das Modul A vermittelt Grundlagen der Strafjustiz, des Aufbaus und der Organisation des Gefängnisses, die rechtlichen Grundlagen des Strafvollzuges sowie der Seelsorge im Strafvollzug. Die Praxis, die Methoden und die Arbeitsweisen der Gefängnisseelsorge stehen in Modul B im Vordergrund. Neben einer Einführung in personenzentrierte Gesprächstechniken wird die Haltung und Rolle von GefängnisseelsorgerInnen reflektiert. Der Umgang mit Distanz und Nähe im Beziehungsaufbau und die Arbeit mit der eigenen Person werden eingeübt.
Im Fokus stehen das Einzelgespräch, die Gruppenarbeit, kultische Handlungen wie Gottesdienste und Freitagsgebete, sowie die Arbeit mit Angehörigen von Gefangenen und mit Bediensteten des Justizvollzuges. Seelsorge als spirituelle Praxis und der Umgang mit Schuld, Strafe und Versöhnung in den verschiedenen Religionen werden reflektiert. Alternativen zum Strafvollzug und die Methode der „Restorative Justice“, die das Opfer, den Täter und die Gemeinschaft in die Suche nach Lösungen einbezieht, werden vorgestellt. In Modul C werden spezifische Fragen wie psychiatrische Auffälligkeiten oder der Umgang mit Suchterkrankungen behandelt. Die Rolle von Religionen in sozialen Konflikten und der Umgang mit religiös motiviertem Terrorismus ist ein weiterer Schwerpunkt in diesem Modulbereich.
Quelle: Evangelische Hochschule Freiburg