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Perspektivwechsel: Die andere Seite der Verehrung

3. Januar 2023

Im Jahr 2005 rieb ich mir nur die Augen über das, was vom Weltjugendtag in Köln in den Medien berichtet wurde. Wie können so viele junge Menschen einem alten Mann huldigen, der eine erzkonservative Sexualmoral vertritt? Papst Benedikt mag ein renommierter Theologe gewesen sein. Er lebte allerdings in einer „Bubble“, eine Blase, die mit dem Leben vieler anderer nichts zu tun hatte.

Kardinal Walter Kaspar sagt zum Tod Joseph Ratzingers: „Wir können stolz sein, einen solchen deutschen Papst gehabt zu haben“. „Ich bin nicht stolz darauf“, möchte ich dem ehemaligen Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart entgegnen. Dieser Papst verkörpert die konservative und klerikale Haltung der katholischen Kirche. Theologisch brillant, in seinen Aussagen und seiner Körperhaltung zeigte er eine andere Botschaft. Diese ist nicht unbedingt befreiend.

Neue Art Kirche zu sein?

In den neunziger Jahren interessiert mich die Integrierte Gemeinde am Walchensee im bayrischen Urfeld und Bad Tölz. Kardinal Joseph Ratzinger förderte als Erzbischof von München-Freising dieses Projekt bis hin zur kirchlichen Anerkennung. Es war eine neue Bewegung, eine neue Art Kirche zu sein. Ein Besuch dort und in der Beschäftigung mit der theologischen Ausrichtung dieser „ursprünglichen“ Gemeinde, kamen mir immer wieder Zweifel. Die Art der elitären Ausrichtung, die gebetsmühlenartige Betonung der wirklichen  und wahren Lehre, ließen mich kritisch sein. Heute ist der Integrierten Gemeinde die kirchliche Erlaubnis durch Kardinal Reinhard Marx des Erzbistums München-Freising entzogen worden. Zu sehr wurde auf das private Leben der einzelnen MitgliederInnen massiv Einfluss genommen.

In System intensiviert

Joseph Ratzinger hatte als Präfekt der Glaubenskongregation klare Antworten. Seine Klarheit hat allerdings Menschen verletzt, negativ beeinflusst und angstbesetzt im kirchlichen Dienst leben lassen. In den 1980 er Jahren sorgte er dafür, dass die Anhänger der Befreiungstheologie in Südamerika nicht mehr lehren durften. Sie gefährdeten zu stark das System der politischen wie kirchlichen Herrscher. Das hat sich bis heute nicht, oder nur annähernd, geändert. Dieser grauhaarige Mann hat ein System intensiviert, das, ich mag es kaum sagen, sektiererische Tendenzen hat. Frage ich mein Patenkind, die 16 Jahre alt ist, nach Papst Benedikt, dann weiß sie nicht, von wem ich rede. Gott sei Dank, denke ich, hat sie kein solch einen Kontakt (mehr) zu den römischen Strukturen der katholischen Kirche.

Introvertierter Ratzinger

Schaue ich auf die Beiträge in Facebook, entdecke ich immer wieder private Bilder (vor allem von Klerikern), die Audienzen mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI zeigen. Einige kramen diese Bilder hervor, um zu zeigen, wie schön die Begegnung mit dem Mann war, der rote Schuhe trug. Ein einseitig verklärtes Bild auf ihn. Manche denken jetzt schon über seine Seligsprechung nach. Warum, um Gottes willen, wird nicht über die Menschen gesprochen, die im Kleinen und  unscheinbaren weitaus mehr bewirkten als dieser emeritierte Papst? Es nutzt alles nichts, diejenigen, die meinen, sie müssten nun besonders beten, sollen dies tun. Die weitaus größere Mehrheit der Menschen tangiert den Tod Joseph Ratzinger, nicht. Das System läuft weiter wie jahrhundertelang. Der feinfühlige und introvertierte Ratzinger war ein Teil davon.

Andere Seite der Verehrung

„Deus caritas est“ begann die erste Enzyklika von Benedikt XVI., Gott ist die Liebe, aber in der Folge ist das Kondom verboten, Homosexualität verteufelt, und die Frauen haben weiter nichts am Altar verloren. Die alte lateinische Messe wurde wieder eingeführt, die für Menschen wie den Pius-Brüdern als unumgänglich ansehen wird. Mit dem Rücken zum Volk wird gefeiert wie vor dem II. Vatikanischen Konzil. Schlimmer kann es nicht kommen. Papst Franziskus hat dies wieder zurückgenommen. Dem Emeritus Benedikt schmerzte dies sehr, offenbart der Privatsekretär Georg Gänsewein. Mich schmerzt es sehr, dass kaum ein Perspektivwechsel vorgenommen wird. Einigen mag mein Kommentar brüskieren. Man sollte nichts Schlechtes über Verstorbene sagen. Als mündiger und wacher Christ, möchte ich die andere Seite der Verehrung ansprechen. Es geht nicht nur um die Person Papst Benedikts, sondern um die Macht-Strukturen der Amtskirche, die weiter aufrecht erhalten werden.

Michael King

Interview mit Michael Seewald über Größe und Grenzen des Gelehrten und Papstes Joseph Ratzinger

 

1 Rückmeldung

  1. Petrus Ceelen sagt:

    Schlechtes gut achten

    Missbrauchsgutachten, ob in Köln, München-Freising, Münster, Berlin, Mainz, Trier: Überall die gleichen Vorwürfe: Verbrechen vertuschen. Täter versetzen. Strafvereitelung. Aktenvernichtung. Machtmissbrauch. Der Münsteraner Studie zufolge haben sich drei Bischöfe im Umgang mit sexualisierter Gewalt an mindestens 610 Jungen und Mädchen durch fast 200 Kleriker schwerer Versäumnisse schuldig gemacht. Deshalb hat der jetzige Bischof Felix Genn in Münster die Bischofsgruft geschossen, in der seine drei Vorgänger begraben liegen: Keller, Tenhumberg, Lettmann.

    Kardinal Joachim Meissner kann unten im Kölner Dom wohl auch nicht in Frieden ruhen, nachdem er schwer belastet wird. Er, „der Wachhund“ der Kirche ist allzu gnädig mit den „Brüdern im Nebel“ umgegangen und hat angeblich von dem ganzen „Mist“ nichts geahnt. Auch die bis heute sehr populären Mainzer Bischöfe Lehmann und Volk waren Teil der „Täterorganisation“ und haben eine Leiche im Keller. Schließt die Bischofskrypta, so dass dort niemand mehr vor ihnen niederkniet.

    Kardinal Woelki, Wetter, Marx… Die hochwürdigsten Herren sind auch nicht sauber. Sie alle gehören nach ihrem Tod auf dem Gottesacker, auf einer Ebene mit ihren Opfern begraben. Ex-Papst Benedikt XVI hat es auch nicht verdient, in der Krypta des Peterdoms zu ruhen. Das Gutachten achtet schlecht über den damaligen Bischof von München-Freising. „Cooperatores Veritatis“, Mitarbeiter der Wahrheit, war dort sein Wahlspruch. Benedikts Wahrhaftigkeit hat stark gelitten, nachdem er nachweislich die Unwahrheit gesagt hat.

    Ich wurde missbraucht, weil ich katholisch war.
    Ein Münsteraner Betroffener

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