Veränderter Ausblick auf eine verschneite Knast-Landschaft.
Hand aufs Herz: Was waren Ihre Lichtblicke in der vergangenen Woche? Konnten Sie die ersten sagenhaften Frühlingstage genießen, also im wahrsten Sinne des Wortes die ersten wirklichen Lichtblicke des Jahres inhalieren? Oder arbeiten Sie in der Schule oder Kindergarten und sind froh, dass Sie bei der Impfreihenfolge jetzt doch vorrangig berücksichtigt werden? Oder freuen Sie sich über die Nachricht, dass das Biontec-Vakzin gegen die Virusübertragung hilft?
All diese Lichtblicke haben eine Gemeinsamkeit: etwas von außen (nämlich der Lichtblick) gelangt in ein System und löst dort eine Reaktion aus, ohne dass das System irgendeinen Einfluss darauf gehabt hätte. Oder anders: der Lichtblick erleuchtet etwas, dass von sich aus nicht leuchten kann, er fällt jemandem oder etwas zu. Dies erinnert mich an ein Zitat vom Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Elias Canetti, das mich seit meinem Studium begleitet: „Das Hoffnungsvolle an jedem System: was von ihm ausgeschlossen bleibt“. Gewiss, als Menschen brauchen wir immer wieder Zeichen der Hoffnung, der Zusagen und auch des Trostes, um ein gelingendes Leben zu führen. Und in dieser besonderen Zeit braucht es vermutlich mehr denn je etwas Hoffnungsvolles, dass uns Menschen zufällt.
Als Gefängnisseelsorger pendele ich zwischen zwei großen Systemen, in denen Veränderungen nur sehr langsam geschehen, nämlich Kirche und Knast. Wie gut täte es beiden, wenn ein Lichtblick von außen den Menschen dort mehr und mehr Hoffnungsvolles schenken könnte. Wie gut täte es der Kirche, sich endlich mit allen Konsequenzen der Missbrauchsaufarbeitung zu stellen und dabei auch mit anderen Disziplinen zusammenarbeitet. Ich bin sehr froh, dass Bischof Georg Bätzing als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in diesen Tagen gesagt hat, dass die Kirche dabei Hilfe von außen braucht. Und auch im Strafvollzug täte es gut, wenn die dort lebenden und arbeitenden Personen erfreuliche Aussichten zugesichert werden. Gerade im offenen Vollzug leisten viele Bedienstete auch in dieser Zeit einen wichtigen Dienst und sind durch den nahen Kontakt zu Gefangenen immer wieder dem Risiko ausgesetzt, sich zu infizieren. Und gerade die Inhaftierten im offenen Vollzug haben außer durch streng geregelte Besuche keine Möglichkeit, ihre Familien zu sehen geschweige denn in den Arm zu nehmen. Da wäre ein Lichtblick wie z.B. eine Impfpriorisierung tatsächlich etwas Hoffnungsvolles.
Mirco Wiedeking | JVA Bielefeld-Senne, Hafthaus Ummeln