Im Jugendvollzug sind die Großeltern wichtige Bezugspersonen. Sie genießen beim “verlorenen Sohn” der Familie große Achtung. Oma oder Opa haben oft die Elternrolle übernommen. Durch ihre Lebenserfahrungen nehmen sie die Enkel wie sie sind ob straffällig oder nicht. “Mein Großvater ist gestorben”, berichtet der 17-jährige Alfred. “Ich habe ihn abgöttisch geliebt. Er hat mit mir immer eine Zigarette geraucht, auch mal gemosert, aber er war herzensgut”, sagt Alfred mit leuchtenden Augen.
Jetzt steht er in der Anstaltskirche am Altar und zündet eine Kerze für seinen Großvater an. Alfred kann nicht an der Beerdigung teilnehmen. Es wird ihm keine ” begleitete Ausführung” genehmigt. Zu groß ist die Angst der Bediensteten, dass sie eine unsichere Lage in der Trauergemeinde vorfinden. Und doch ist es wichtig, dass sich der Enkel verabschieden kann. Er möchte begreifen, dass sein Großvater tot ist. Die Planung, sich noch in der Trauerhalle beim Bestattungsinstitut von Opa verabschieden zu können, scheitert. Mit viel Überzeugungsarbeit und seelsorgerlicher Unterstützung kann Alfred zwei Tage später am geschlossenen Grab Abschied nehmen. “Nehmen Sie zwei Zigaretten mit”, sagt Alfred dem Seelsorger. “Ich will mit Opa an seinem Grab eine rauchen…”, sagt er.
Mit Hand- und Fußfesseln in Begleitung von zwei bewaffneten Bediensteten geht es mit dem Gefangentransportwagen (GTW) zum Friedhof. “Was der Vollzug nicht alles möglich macht”, sagt ein Bediensteter. Der 17 jährige Alfred ist aufgrund von Autodiebstahl und das Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Die Mutter des Minderjährigen kann nicht nachvollziehen, warum “ihr Junge” nicht bei der Beerdigung des Großvaters teilnehmen darf. “Immerhin kann er jetzt Abschied nehmen am Grab”, sagt sie schluchzend. Abschied nehmen am Grab, das vollzieht Alfred mit wenigen Familienangehörigen am Grab. Er spricht den Großvater an: “Warum habe ich nur nicht auf Dich gehört”, sagt er und die Tränen rollen ihm ins Gesicht.
Die Familienangehörigen zücken eine Zigarettenschachtel heraus. “Eine richtige Zigarette mit Filter…”, die Augen den Jugendlichen schöpfen Hoffnung. Fragend, ob der Gefängnisseelsorger auch eine will, zünden sie sich die Zigaretten. Eine Zigarette ist für den Großvater. Diese wird angezündet und in die Erde gesteckt. Schweigend rauchen sie in dieser Gemeinschaft. Sie erinnern sich am Grab an die vielen Geschichten um den Großvater. Ein wahrlich tiefes Ritual. “Tschüss Adi”, sagt Enkel Alfred anschließend auf das Grab gerichtet. Mit den Fußfesseln geht´s in kleinen Schritten zu den wartenden Beamten am Gefangenentransportwagen. Die Fahrt mit dem blau-gestreiften Bully führt zurück in die Haftanstalt.
Michael King | Krippenfiguren von Rudi Bannwarth, Ettlingen
1 Rückmeldung
Der Artikel „noch-eine-Zigarette-mit-Großvater“ hat mich sehr berührt! Ich habe öfter mit meiner Mutter an ihrem Grab einen Piccolo getrunken und mit ihr angestoßen, so wie wir es bei unseren alljährlichen Besuchen immer zelebrierten! So wird etwas Alltägliches wie eine Zigarette oder eine kleine Flasche zum Versprechen, in Ritualen die LIEBE zu geliebten Verstorbenen weiter lebendig zu halten! Wie gut es doch ist, dass Seelsorger mit sensiblen Herzen und weitem Horizont solches ermöglichen, begleiten und unterstützen!