Normalerweise starten in diesen Tagen in vielen Städten die Weihnachtsmärkte, auf denen sich viele Menschen Jahr für Jahr auf die bevorstehende Advents- und Weihnachtszeiteinstimmen, sich begegnen, in den Kirchen Ruhe finden, Geschenke bummeln, zusammen Glühwein trinken. Doch dieses Jahr müssen sie – wie so viele andere Sachen auch – ausfallen. Das Coronavirus entzaubert regelrecht alle unsere liebgewonnenen Rituale in dieser geprägten Zeit. Was aber bleibt dann für diese Zeit, und was bleibt für das eigentliche Weihnachtsfest, für Heiligabend?
Können bzw. sollen wir in der Pandemie überhaupt Weihnachten feiern, oder können wir das Fest getrost auch ausfallen lassen, frei nach dem Motto: Vorfreude weg, Fest weg? Diese Fragen erinnern mich unweigerlich an die Situation vieler Inhaftierter in unseren Gefängnissen. Freiheitsentzug bedeutet im Prinzip nichts anderes, als dass Sinneswahrnehmungen eingeschränkt werden. Und gerade das Hören von Liedern, das Lauschen in die Stille, das besondere Essen und Trinken, die verschiedenen Düfte und vor allen Dingen die gegenseitige Begegnung, das sich Nahe-Kommen, spielen in der Advents-und Weihnachtszeit ja eine besondere Rolle. Im offenen Strafvollzug kommt die Ungewissheit hinzu, ob jemand rechtzeitig die notwendigen Lockerungen erreicht, um nach Hause zu fahren. Ansonsten gibt es meist nur einen zeitlich beschränkten Besuch der Kernfamilie. Die Situation der Haft entzaubert für viele Inhaftierte ebenfalls ihre je eigenen Bräuche und Rituale.
So mancher lässt das Weihnachtsfest deshalb einfach ausfallen. In der Advents- und Weihnachtszeit suchen wir untereinander Nähe und Begegnung, worin sich auch der ursprüngliche Inhalt des Weihnachtsfestes wiederfindet: Es ist das Fest der Nähe Gottes, der im kleinen Jesuskind die Begegnung mit der Menschheit findet. Sozusagen ein Stück Himmel, das sich in auf der Erde wiederfindet. Und damit ist wohl auch klar: Advent und Weihnachten mit Haft passen genauso wenig zusammen wie Advent und Weihnachten mit Corona. Also doch Weihnachten dieses Jahr einfach ausfallen lassen, sowie die Weihnachtsmärkte?
Ein Gefangener erzählte mir vor einigen Jahren im Advent, dass ihm so gar nicht nach Weihnachten sei. Die Inhaftierung, eine schwere Krankheit seines Vaters, Sorgen um seine Zukunft und Partnerschaft, all dies stand für ihn dagegen. Und zugleich hat er nie die Hoffnung aufgegeben, dass Weihnachten ihn dieses Jahr finden und ergreifen wird. Das hieß für ihn: es wird nicht alles gut, aber zumindest lichtvoll und erträglich. Ein wunderbarer Gedanke, der mir für dieses Jahr Kraft schenkt: Mich von Weihnachten finden lassen.
Mirko Wiedeking | JVA Bielefeld-Senne