Ulrike Hagemann (links) als Anstaltsleiterin der JVA Burg im Gespräch mit Gefängnisseelsorgern anlässlich der Studientagung in Magdeburg.
Von der Bundesvereinigung der AnstaltsleiterInnen bin ich gebeten worden, als Anstaltsleiterin der hier vor Ort befindlichen JVA Burg bei Ihrer Veranstaltung der Studientagung ein Grußwort zu sprechen. Das ist mir eine Ehre und eine Freude – sind doch in der Vorstellung vieler – Seelsorge und Anstaltsleitung natürliche Gegenspieler.
Da klagt die eine Seite über zu strenges Sicherheitsdenken der Anstaltsleitung. Diese wiederum sieht ihre Anordnungen unterlaufen durch ein zu großes Entgegenkommen der Seelsorge. Jeder von Ihnen wird solche Klagen schon einmal gehört haben. Der Anstaltsleiter steht für Sicherheit, für Ordnung. Natürlich hat er auch das Resozialisierungsgebot zu beachten, aber er ist nun mal der Kopf eines hierarchischen Systems und muss Anordnungen treffen und diese auch durchsetzen. Die Seelsorge kümmert sich um das Seelenheil, begleitet, tröstet, steht zur Seite, ermutigt – und das klingt auch irgendwie viel sympathischer.
Nirgendwo ist das Verhältnis dieser beiden „Gegenspieler“ klar definiert. Wir finden in den Gesetzen von Bund und Ländern ein paar Vorschriften, nämlich, dass in Gefängnissen überhaupt SeelsorgerInnen tätig sind, wie diese verpflichtet werden und dass Gefangene religiöse Betreuung durch einen SeelsorgerIn nicht verwehrt werden darf. Bei uns in Sachsen-Anhalt kommen die SeelsorgerInnen dann noch mal in den Vorschriften über Geheimnisträger und entsprechende Offenbarungspflichten und -befugnissen vor.
Im Großen und Ganzen sind wir aber gehalten, das Verhältnis von Anstaltsleitung und Seelsorge selbst mit Leben zu füllen. Und wenn wir genau hinschauen, erkennen wir, dass wir dabei gar nicht so weit auseinanderliegende Positionen einnehmen. Egal von welcher Seite wir es betrachten, wir haben mit Menschen zu tun, die in der Gesellschaft auf die ein oder andere Art gescheitert sind und die nun unserer Hilfe bedürfen, um wieder auf den rechten Weg zurückzufinden in vielen Fällen auch, um überhaupt erstmal irgendeinen Weg für sich zu finden. Dabei erweist sich die Gesellschaft außerhalb unserer Mauern oftmals als nicht besonders hilfreich. Die Anliegen unserer Gefangenen finden häufig kein Gehör.
Gerade die Wiedereingliederung von schwierigen Probanden wird bestenfalls mit Misstrauen gesehen, schlimmstenfalls multimedial mit Stammtischparolen begleitet. Dabei bin ich der Auffassung, dass die Gesellschaft es aushalten muss, dass zu ihr auch Menschen gehören, die bereits einmal oder mehrfach gescheitert sind. Die Gesellschaft produziert Straftäter. Sie produziert aber auch AFD-Wähler, autonome Steinewerfer aus Akademikerfamilien, Reichsbürger und 10 jährige, die als Berufswunsch Influencer angeben, und ich weiß manchmal nicht, was davon mir am meisten Angst macht. Die Gesellschaft draußen hat häufig Angst vor unseren Gefangenen. Ich persönlich habe gerade in den letzten Wochen und Monaten die Erfahrung gemacht, dass diese Entwicklung auch nicht vor Leuten Halt macht, die es von Berufswegen besser wissen müssten.
Wir hatten und haben in der JVA Burg ein paar sehr kranke und auch sterbende Gefangene – zugegeben auch solche, die im gesunden Zustand ziemlich schlimme Finger waren. Auf der Suche nach Hilfe für psychisch Kranke, aber auch auf der Suche nach einem Platz zum menschenwürdigen Sterben, bin ich auf Kollegen gestoßen – Leute, die Jura oder Medizin studiert haben und deren Job es eigentlich ist, für solche Situationen Lösungen zu finden – die der Problematik mit der gleichen Ablehnung begegnet sind, wie die Gesellschaft da draußen. Und das hat mich zum Teil sprachlos gemacht. Mir ist klar geworden, dass die letzte Bastion der Menschlichkeit fällt, wenn wir – die Gesellschaft, aber auch die Menschen, die mit dem Phänomen Straffälligkeit professionell umgehen – den Respekt verlieren vor einem sterbenden, vor einem kranken, vor einem verzweifelten Menschen.
Und ich denke, genau das ist unsere gemeinsame Aufgabe: Für diesen Respekt auch nach außen hin zu kämpfen, unserem Anliegen und dem unserer Gefangenen eine Stimme zu verschaffen, auch wenn die Interessenlagen von Anstaltsleitung und Vollzug einerseits und Seelsorge andererseits auf den ersten Blick entgegengesetzt zu sein scheinen. Unsere Aufgabe ist es, den Auftrag des Gesetzes zu erfüllen, mit den Erwartungen der Bevölkerung umzugehen – und trotzdem Mensch zu bleiben. Ein Mensch unter Menschen. Und zwar nicht nur gegenüber den Gefangenen, sondern auch gegenüber uns selbst und unseren MitarbeiterInnen, denn auch diese haben Seelen, denen das täglich Erlebte häufig schwer zusetzt.
Ich freue mich darauf, mit Ihnen all diese Themen in den nächsten Tagen zu vertiefen, denn zu den Tälern und Brücken zwischen Anstaltsleitung und Seelsorge lässt sich zweifelsfrei noch viel sagen. Ihnen und Ihrer Veranstaltung wünsche ich eine erfolgreiche Woche, spannende Themen und einen befruchtenden Erfahrungsaustausch.
Leitende Regierungsdirektorin Ulrike Hagemann | JVA Burg