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50 Jahre Fachtagung: Erinnerungen aus den Anfängen

14. Februar 2024

50 Jahre Fachtagung „Kirche im Justizvollzug“ (1974-2024).

Als der spätere Fuldaer Professor für Psychologie und Pastoraltheologie, Balthasar Gareis, 1966 zum hauptamtlichen Seelsorger der Justizvollzugsanstalt für Jugendliche in Ebrach in der Diözese Bamberg ernannt wurde, da hatte er selbst keinerlei Ausbildung in Gefängnisseelsorge. Er wollte sich aber unbedingt über das informieren, was ihn erwartet. Daher ging er als Hospitant für eine Woche zu einem „alten Hasen“, zu Pater Dr. Gabriel Busch nach Siegburg. Dort erlebte er Gefängnisseelsorge als Ganzheitssorge für den Menschen. Zur damaligen 20. Jahrestagung 1993 berichtet Gareis in seiner Festrede von diesen Anfängen:

Trotz der Einführung musste ich mir mein Konzept einer Gefängnisseelsorge in der JVA Ebrach selbst erarbeiten und gestalten Man kann keine Anstalt mit einer anderen vergleichen. Ich musste mich mit grundsätzlichen Themen auseinandersetzen, wie Schuld, Strafe, Sühne, Vergeltung, Gesprächsführung, Gottesdienstgestaltung, menschliche Begleitung und Beratung. Diagnosen und Beurteilungen der Gefangenen in den wöchentlichen Konferenzen, Entlassungskriterien, religiösen Interesse der Gefangenen. usw. Ich musste mich ferner mit situativen Problemen zurechtfinden, wie Kontakt zu den Beamten, Umgang mit dem Vorstand, der Verwaltung, mich zurechtfinden mit den 1000 Wünschen der Gefangenen an den Seelsorger, den sie als Fürsprecher suchten. Jahr für Jahr sammelte ich Erfahrungen, ich suchte
meinen Weg, wobei ich zuerst viel schlingerte, dann allmählich die Richtung fand und schließlich meinen Weg, so meine ich, zielgerecht, gefangenengerecht und gefängnisgerecht gehen konnte.

Gemeinsame Einführungstage

Erfahrungen und Lernen aus Erfahrungen ließen mich also meinen Weg finden Bei den Jahresversammlungen der Gefängnisseelsorger erfuhr ich, dass es anderen Seelsorgern auch so erging, den hauptamtlichen und besonders den nebenamtlichen. Zum Glück haben wir damals einen Vorsitzenden der katholischen Konferenz, Oberpfarrer Toni Huber, der bezüglich der Ausbildung in Gefängnisseelsorge die Initiative ergriff und der der bis dahin geltenden Lerntheorie der neuen Gefängnispfarrer von „Versuch und Irrtum“ ein Ende bereitete, indem er der Konferenz eine „Einführungstagung zur Gefängnisseelsorge“ vorschlug. Da die evangelischen Seelsorger in der gleichen Lage waren, wurde beschlossen, eine gemeinsame Einführungstagung auszurichten. Die Ausbildungsstätte Würzburg wurde deshalb gewählt, weil Würzburg in der damaligen Bundesrepublik zentral lag und vor allem, weil sich hier eine Universität befand, die einen interessierten Pastoraltheologen, Prof. Dr. Zerfaß mit entsprechenden Assistenten (z.B. Prof. Dr. Pompey) und Mitarbeitern hatte, die die relevanten theologischen Themen für den Strafvollzug auch wissenschaftlich erarbeiten und vortragen konnten.

Die mehr oder minder ausgesprochenen Hintergedanken dieser Einführungstagungen waren von unserer Seite:

  1. Eine solide theologische Ausbildung in Gefängnisseelsorge
  2. Eine akademische Zusatzausbildung für qualifizierte Seelsorgearbeit
  3. Ein Kurs über vier Einführungstagungen mit den Schwerpunkthemen: a) Institution Gefängnis, b) Schuld und Sühne, c) Der Gefangene und seine Probleme, d) der Seelsorger
  4. Frühzeitig interessierte Kapläne und Priester für die Gefängnisseelsorge zu gewinnen
  5. Nebenamtliche Geistliche für ihren Dienst zu schulen
  6. Bereits Theologiestudenten und andere interessierte Studenten der verschiedensten Fachrichtungen in die seelsorgerliche Gefängnisarbeit einzuführen. (Durch die sogenannte „68er Generation“ herrschte damals ein großes Interesse an den Gefangenen und am Strafvollzug).

Anstaltspfarrer Peter Breuer in seinem Büro in der Justizvollzugsanstalt Lerchesflur in Saarbrücken.

Justizvollzugsanstalt Rottenburg: Besuchergruppe im Innenhof des geschlossenen Vollzugs. Fotos: Imago

Die unausgesprochenen Hintergedanken und die Bereitschaft der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg für diese Zusatzausbildung waren:

    1. Die Exklusivität der Ausbildung in Gefängnisseelsorge dieser Uni als Zentrale dieser Ausbildung
    2. Die Attraktivität der Thematik für sozial interessierte Studenten aus der ganzen Bundesrepublik
    3. Die Qualität der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Thematik als Neuland der Pastoral

So gingen die Konferenzen der katholischen und der evangelischen Seelsorger im Strafvollzug mit der Uni Würzburg eine „Vernunftehe“ ein und gestalteten die ersten Einführungstagungen mit großem Engagement und auch recht erfolgreich. Wir hatten damals aus der gesamten Bundesrepublik immer fast 100 Teilnehmerinnen, zumal für alle a) das Fahrgeld von uns zurückerstattet wurde, sogar Flüge von und nach Berlin bezahlt wurden und b) die Tagungsgebühren entfielen, c) auch die Referenten wurden von der Konferenz bezahlt, wie das Toni Huber geschafft hat, bleibt sein Geheimnis. 


Schwierigkeiten

Wir hatten damals zudem ein wunderbares Leitungsteam: Von katholischer Seite: Vorsitzender Huber, Dr. Wiesnet und ich von evangelischer Seite: Vorsitzender Rassow und Dr. Ellen Stubbe. Nach einigen Jahren eines raschen „Aufblühens“ dieser Einführungstagungen und der Bündelung von Interesse und Motivation unter den Seelsorgern Studenten und Sozialarbeitern wurde es schwerer und problematischer: die Universität Würzburg zog mit ihrem Team (Referenten und Gruppenleitern) nicht mehr so mit – aus welchem Grund auch immer, die finanziellen Zuschüsse (Fahrtkosten, Referentenkosten, Tagungsgebühren) wurden immer mehr zusammengestrichen, der Nachholbedarf der Masse der Interessierten war weitgehend gedeckt. So musste die Einführungstagung sich auf „sich selbst“ besinnen, d.h. eigene Referenten gewinnen, die meist aus dem Leitungsteam kamen, eigene Gruppenleiter suchen und finanzielle Forderungen an die Teilnehmer stellen. Es ist das unendliche Verdienst der jeweiligen Konferenzvorsitzenden und seiner Mitarbeiter, dass diese Einführungstagungen nach wie vor bestehen, weil sie wirklich notwendig sind, trotz geringer oder sogar keiner kirchlichen Förderung. Bis heute [1993] gibt es an keiner Uni die Zusatzausbildung in Pastoral für Gefängnisseelsorge. Dass diese Einrichtung 1993 auf ein 20-jähriges Bestehen zurückblicken kann, ist das Verdienst der Vorsitzenden.

Inhalt und Gestaltung

Information: Der Theologiestudent, also der spätere Gefängnisseelsorger, erhält im Normalfall während seines Studiums im Fachbereich Pastoral (Praktische Theologie) eine Ausbildung in pastoralen Grundproblemen wie Gemeindepastoral, Sakramentenpastoral, Pastoral in Lebenskrisen und in verschiedenen anderen Bereichen. Die Gefängnispastoral wird höchstens einmal gestreift, wenn evtl. „Pastoral an Außenseitern“ abgehandelt wird. Nirgendwo wird der spätere hauptamtliche Seelsorger im Strafvollzug und die große Zahl der nebenamtlichen Seelsorger im Strafvollzug (diese liegt meist in den kleineren Gefängnissen darnieder, weil keine Zeit vom jeweiligen Kaplan dafür erübrigt wird, teils auch weil der Seelsorger innerlich keinen Zugang zu dieser Seelsorgegruppe hat und findet!) in Gefängnisseelsorge ausgebildet. Deshalb sollte durch die Konferenz eine Ausbildung in 4 Jahren erfolgen, wo das nötige theoretische Grundwissen erlangt wird, das als Voraussetzung für eine gute Arbeit in der Seelsorge im Strafvollzug für notwendig erachtet wird.

Motivation: Neben der Information war es immer ein Zentralanliegen der Tagungen, dass den Teilnehmern eine entsprechende Motivation für die Arbeit im Strafvollzug vermittelt wird, damit sie „Feuer fangen“ für diese schwierige Arbeit der Seelsorge. Es sollte zudem wenigstens ein Teil der Teilnehmer für diesen Seelsorgedienst neu gewonnen werden. Den Seelsorgern im Vollzug sollte Mut gemacht werden in ihrer schweren Arbeit. Dazu diente ein gutes Gemeinschaftsgefühl während der Tagung, die Gruppenarbeit, auch die Freizeit mit einem guten Frankenschoppen in Würzburg. Würzburg sollte ein Erlebnis von Gleichgesinnten sein, die sich gegenseitig stärken und stützen. helfen und beraten. Ich glaube. das ist auch weitgehend gelungen. Kein Seelsorger sollte mehr ohne Information und Motivation seine Arbeit im Gefängnis beginnen müssen.

Vision

Durch die Anbindung an eine Universität sollte eine akademisch qualitative Ausbildung gesichert sein, die später evtl. sich dahingehend entwickeln könnte, dass eine eigene „Akademie für Gefängnisseelsorge“ errichtet würde, die Einführung und Ausbildung, aber auch Weiterbildung und Forschung in Gefängnisseelsorge garantieren könnte. Die Vision wird vielleicht – vorerst – noch ein Traum bleiben, zumindest solange, wie die Kirchen kein stärkeres Interesse an Gefängnisseelsorge haben. Militärseelsorge wird seitens der Bischofskonferenz stark gefördert (obwohl eigentlich absolut unbiblisch!). Gefängnisseelsorge wird nur als „notwendiges Übel“ gesehen, (obwohl sie biblisch ist!). Dies zeigt sich besonders in der Besetzung des Mentors in der Bischofskonferenz nach dem Ausscheiden unseres langjährigen und engagierten Betreuers, des Weihbischofs Angerhausen.

Blick in die niedersächsische Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel 1982.

Archiv

Gedacht war ferner an das Anlegen eines Archivs für Gefängnisseelsorge. Hier sollten alle Veröffentlichungen, wie Bücher, Diplomarbeiten, Aufsätze, Vorträge archiviert und gesammelt werden. Ferner sollten vor allem auch wissenschaftliche Untersuchungen gesammelt werden, die allen Interessierten zugänglich gemacht würden. Ähnlich, wie es z.B. in Trier eine Zentralstelle für Kriminalistik gibt sollte es auch eine Zentrale für Gefängnisseelsorge geben. Ansätze dazu sind wohl gemacht worden, z.B. eine kleine Bibliothek und die Reihe „Seelsorge im Strafvollzug“, aber das eigentliche Anliegen ist noch nicht erfüllt worden. Vor allem wissenschaftliche Untersuchungen sollten unbedingt aufgenommen werden.


Perspektiven

Die Probleme des Strafvollzugs und damit der Dienst des Seelsorgers in den Vollzugsanstalten und der Umgang des Seelsorgers mit Inhaftierten, sind bis heute [1993], trotz 2000 Jahre Christentum, weitgehend ungelöst. Mein Freund und der langjährige hervorragende Mitarbeiter hier bei den Einführungstagungen, Dr. Eugen Wiesnet, hat dies in seinem wunderbaren Buch „Die verratende Versöhnung“, ausführlich beschrieben. Es zeigt die ganze Geschichte des Weges und Irrweges des Strafvollzugs in der Geschichte auf und bietet Lösungen an, die aus dem Dilemma der Inhaftierung von Strafe, Rache, faIsch verstandener Busse und Sühne, von Rückfall und Stigmatisierung, einen Ausweg bedeuten könnten, nämlich die Versöhnung, d.h. die Aufarbeitung der Schuld, die Versöhnung von Täter und Opfer, von Täter und Gesellschaft.

Solange ein einseitiges und starres Zeitmaß als juristisches Prinzip, den Maßstab der Inhaftierung im Gefängnis darstellt und das Absitzen von Zeit als Genugtuung gilt, solange wird man dem Gefangenen nicht gerecht, abgesehen davon, dass es unchristlich ist. Erst wenn es gelingt, den Täter zur Einsicht zu bringen, erst wenn es gelingt Täter und Opfer zur Versöhnung und Wiedergutmachung zu führen, erst wenn die Gesellschaft zur Versöhnung und Wiederaufnahme der Schuldigen bereit ist, erst wenn ein Gesinnungswandel und ein Problembewusstsein, ähnlich wie bei § 218 und der Asylantenfrage, entstanden ist und erst wenn „Verbesserungen im Strafvollzug“ sich nicht nur auf einige Vergünstigungen (Fernsehen, Sport, Urlaub) beschränken, sondern auf Einsicht und Umkehr und Reintegration konzentrieren und kirchliche Gremien und Gruppen mehr Interesse am Straffälligen zeigen, erst dann könnte es eine Änderung geben Entlassung, wenn Inhaftierung und Versöhnung, Rückkehr und Aufnahme in die Gesellschaft ohne „wenn und aber“, könnte die kopernikanische Wende im Strafvollzug sein.

Die Kirchen und die Seelsorger im Vollzug müssten dafür ihre Stimme erheben und dieses Ziel verfolgen. Sie, meine lieben Zuhörer, arbeiten auf dieses Ziel hin. Noch (immer noch!) ist Ihre Arbeit vielleicht Sisyphusarbeit, noch (immer noch!) sehen Sie wenig Erfolg, noch (immer noch! Haben Sie wenig Unterstützung. Sie sollen aber die Gewissheit haben, dass Sie am Werk Jesu Christi arbeiten und in seinem Sinne arbeiten, der gesagt hat „Ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht!“ (Mt 25,36) Er hat als ersten „Heiligen“ einen Gefangenen aus dem Gefängnis von Jerusalem in den Himmel aufgenommen, als er zum rechten Schächer (Schwerverbrecher) sagte: „Heute noch wirst Du bei mir im Paradiese sein.“ (Lk 23,43)

Prof. Dr. Balthasar Gareis | 20. Fachtagung „Kirche im Strafvollzug“
Quelle: Seelsorge und Strafvollzug, Band 11/1994, S. 69-74

 

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