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Die Seelsorge im Justizvollzug – und nun?

24. September 2019

Von links nach rechts: Stefan Ehrlich (JVA Köln), Ministerin Anne-Marie Keding (CDU), Vorsitzender Heinz-Bernd Wolters, Anstaltsleiterin Ulrike Hagemann (JVA Burg), Stephan Rether vom Katholischen Büro, Detlef Seibert als Vertreter der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge und Ordinariatsrat Thomas Kriesel vom Bistum Magdeburg.

In Magdeburg ist die Studientagung der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. eröffnet. Über 70 GefängnisseelsorgerInnen aus 16 Bundesländern treffen sich in Sachsen-Anhalt zum Austausch und zur Weiterbildung. Das inhaltliche Leitthema des Treffens ist neben der Beschäftigung mit dem je eigenen Profil als SeelsorgerIn im Justizvollzug vor allem die „Außensicht“ der Gefängnisseelsorge. Zum Auftakt im Roncalli Haus des Bistums Magdeburg sprach die Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt, Anne-Marie Keding (CDU), der Gefängnisseelsorge gute Noten aus.

Über das Gefängnis hört man in der Presse nur, wenn ein außergewöhnliches Ereignis wie eine Flucht oder ein Übergriff auf Bedienstete passiert. Heinz-Bernd Wolters, Gefängnisseelsorger der JVA Meppen und Vorsitzender des Vereines, spricht zum Auftakt eindringlich davon. „Es gibt viele Veränderungen im Vollzug und damit auch Veränderungen an die Rolle des Gefängnisseelsorgers“, so der Vorsitzende. Unter anderem sind die älter werdenden Gefangenen und die Überbelegung in den Anstalten genannt, aber auch das gesteigerte Aggressionspotenzial in den Gefängnissen. Wie können GefängnisseelsorgerInnen dieser Realität begegnen? Von außen und innen gibt es mehr Unverständnis und Misstrauen gegenüber Seelsorgenden. Demgegenüber sagt Heinz-Bernd Wolters, dass Gefangene erleben, dass sie „sich als Mensch erfahren“. (Zitat eines Inhaftierten). Genau so versteht sich Gefängnisseelsorge: Unbequem sein und „Druck aus dem Kessel nehmen“.

Ordinariatsrat Thomas Kriesel des Bistums Magdeburg drückt es in Zahlen aus. Das Bistum Magdeburg sei so groß wie Israel und hat 81.000 Katholiken. Es sei das viertgrößte Bistum in Deutschland – zumindest der Fläche nach. Es gibt fünf Gefängnisseelsorger in vier Justizvollzuganstalten des Landes. „Gefängnisse sind Orte der Kirche, in denen Gott vorkommt“, sagt Rat Kriesel. Gerne lässt er sich durch den Vorsitzenden Wolters berichtigen: „Gott ist schon längst da.“

Der Vorsitzende Heinz-Bernd Wolters überreicht der Ministerin Anne-Marie Keding eine Tasse der Gefängnisseelsorge sowie das neu aufgelegte Buch „Gott im Gefängnis“.

Sachsen-Anhalt hat eine zerklüftete Vollzugslandschaft, dem das Land begegnen will. Es soll das „Drei-Standort-Modell“ umgesetzt werden. Dies heißt, „dass drei Anstalten erhalten bleiben: die im Jahr 2009 errichtete JVA Burg, die in Erweiterung geplante JVA Halle mit dem Namen ´Frohe Zukunft´ und die Jugendanstalt Raßnitz“, so die Ministerin Keding. Es gäbe in Sachsen-Anhalt wenig konfessionsgebundene Menschen, die aber, wenn es um den Erhalt von Kirchen als Mittelpunkt des Ortes geht, Bereitschaft zeigen, diese zu erhalten. „Gefängnisseelsorge trägt dazu bei, dass Inhaftierte sich als Subjekt wahrnehmen“, erläutert die Ministerin und fügt hinzu: „Das Gefängnis ist kein Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Wir müssen aushalten, dass es diese Wirklichkeit gibt.“

Der Leiter des Katholischen Büros in Sachsen-Anhalt, Stephan Rether, der Verbindungsmann zwischen dem Land und dem Bistum, zeigt sich angesichts des gegenwärtigen Wandels in der politischen Landschaft besorgt. Mittlerweile seien 25 % des Parlamentes in Sachsen-Anhalt von der Partei AFD. „Es ist eine neue Zeitrechnung in der parlamentarischen Demokratie und die Rolle der Kirche wird massiv angefragt“, sagt Stephan Rether. „Seit 1998 trägt der Staatskirchenvertrag und zeigt Stabilität in der Beziehung zwischen Land und der Katholischen Kirche. Seelsorge ist und bleibt im Spannungsfeld staatlich wichtig“, so der Bevollmächtigte des Bischofs von Magdeburg.

Als natürliche Gegenspieler würden oft in einer Justizvollzugsanstalt die Anstaltsleitung und die Seelsorge gesehen, so die These der Leitenden Regierungsdirektorin und Anstaltsleiterin der Justizvollzugsanstalt Burg, Ulrike Hagemann. Da wären zum einen die „großzügigen Handlungen des Seelsorgers“ und auf der anderen Seite die hierarchische Organisation, die Entscheidungen treffen muss. „Es klingt eher sympathisch für das Seelenheil zuständig zu sein“, merkt die Anstaltsleiterin humorvoll an. Letztlich sind die beiden Dienste nicht weit auseinander. Beide arbeiten sie für die Wiedereingliederung Gefangener. Beiden geht es um den Respekt und die Menschlichkeit – auch mit den Bediensteten. Es gilt Brücken zu bauen zwischen den einzelnen Positionen. „Da sehe ich aber keine Probleme. Es gibt ein gutes Miteinander mit vielen Gemeinsamkeiten“, sagt die Anstaltsleiterin der JVA Burg.

Der aus Hamburg angereiste evangelische Kollege, Detlef Seibert, erinnert daran, dass Gefangene nicht auf ihr Delikt reduziert werden dürfen und der Mensch als Ganzes gesehen werden soll. Im so genannten Limburger Urteil sei ein verehrendes Zeichen gesetzt worden. Im Dezember 2015 verurteilt das Landgericht (LG) Limburg einen damals 45-jährigen Mann wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Er fuhr auf der Autobahn in entgegengesetzter Richtung, baute einen Unfall, in dessen Folge eine junge Frau verstarb. Der Fahrer war zum Tatzeitpunkt ein Strafgefangener in einer rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalt (JVA), der sich gelockert im Ausgang befand. Das Gericht sah eine staatliche Mitverantwortung bei den Entscheidungsträgern des Justizvollzuges. In der Folge kam es zum Urteilsspruch: Zwei Justizvollzugsbeamte ‒ ein Abteilungsleiter sowie eine stellvertretende Anstaltsleiterin ‒ wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen von jeweils neun Monaten verurteilt. „Sich nicht selbst als Seelsorger aus den Blick nehmen“, so der Apell des erfahrenen Kollegen. „Kollegiale Beratung und Supervision sind für den Job und den Anforderungen hinter Mauern unerlässlich.“

In der Woche der Studientagung werden im Licht des fundamentalen Wandels der Gesellschaft die Thematik durch Fachleute wie der Prof. Dr. Martin Lörsch von der Theologischen Fakultät Trier sowie durch Prof. Dr. Michael Germann von der Martin Luther Fakultät Halle-Wittenberg zum Themas ,Seelsorge zwischen den Stühlen“ beleuchtet. Daneben finden Workshops zu Themen des interreligiösen Dialogs und des Dialoges mit der Anstaltsleitung statt.

Michael King | JVA Herford

 

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