Liebe Angehörige, liebe Zugehörige,
die wir alle mehr oder weniger zu Josef gehört haben.
Schön, dass wir hier miteinander beisammen sind, um unseren Josef Rüssmann zu gedenken. Lieber Josef. In dieser Stunde möchten wir Dich noch einmal in unsere Mitte nehmen und Dir ganz nahe sein. Dein Tod am 3. August kam für uns alle überraschend. Plötzlich und unerwartet. Du Josef hast uns am Ende Feines Lebens noch einen Denkzettel gegeben: Bedenke Mensch, auch Du bist nur einen einzigen Herzschlag weit vom Tod entfernt. Man muss nicht schwer krank sein, um zu sterben. So ein plötzlicher Tod ist eigentlich ein Tod erster Klasse. Was Dir Josef da alles erspart geblieben ist: Bettlägerigkeit, Schmerzen, Krankenhaus, Intensivstation, Schläuche, Kanülen, die ganze Apparate-Medizin. Josef, ich freue mich für Dich, dass Du so gut davongekommen bist und der Tod Dir so gnädig war.
Deine Stimme niemals mehr hören
Trotzdem sind wir auch tief traurig. Denn wir werden Dich niemals mehr sehen, niemals mehr durch die Tür hereinkommen sehen. Wir werden Deine vertraute Stimme niemals mehr hören. Du wirst uns niemals mehr anschauen – wie auf dem Bild hier vorne. Wir werden uns niemals mehr berühren können. Es ist dieses Nie-mals mehr, dieses Endgültige, das es uns schwer macht, Dich gehen zu lassen. Dein Tod hat uns klar gemacht, dass wir alle das nötige Alter haben. Du warst ein Jahr älter als ich, warst mir immer ein Stück weit voraus. Aber dass Du vor mir gehst, der ich schwer krebskrank bin, wer hätte das gedacht? „Es kütt wie es kütt“, höre dich als Kölscher Jung sagen. „Es kütt, wie es kütt. Et hätt noch emmer joot jejange.“ Zwar gibt es kein happy end. Denn um den Tod kommt keiner herum. Aber es ist nicht schlimm, dass wir sterben müssen. Schlimm ist nur, sterben zu müssen, ohne gelebt zu haben, ohne unser Leben gelebt zu haben. Du Josef, du bist deinen Weg gegangen. Du hast deinen Beruf, deine Berufung gelebt, uns vorgelebt, was Nachfolge Jesu für Dich bedeutet. Du warst ein Christ in der Gegenwart. Glaubwürdig.
Mit Lichtern etwas zurückgeben
In den letzten Jahren hattest Du Phasen, da ist Dir das Leben zunehmend schwergefallen. Zum Glück hattest du Menschen, die sich liebevoll um dich gekümmert haben. Da war Sema, die immer auch dafür gesorgt hast, dass du etwas Richtiges zu Essen hast. Und auch Markus war dir eine wichtige Stütze und guter Freund. Er war mehrmals Dein Retter in der Not. Und Claudia hat dich immer wieder auf die Sprünge geholfen. Lorenz und Barbara waren auch immer für Dich da. Du hattest stets einen starken Rückhalt in deiner Familie. Ihr habt fest zusammengehalten und Du hast deinen Lieben in schweren Stunden Halt gegeben. Es ist schön, dass Du Robert mit Doris extra aus Australien gekommen bist, um hier dabei zu sein. Du und Lorenz, ihr zwei seid nun die Einzigen, die von den Sieben Kindern noch übrigbleiben. Ihr musstet schon Abschied nehmen von Bernd, Ursel, Rudolf, Martin. Und nun ist Josef von Euch gegangen, Euch vorausgegangen. Halten wir noch ein wenig inne und verweilen wir im Stillen bei Josef. Josef. Wir sagen Dir das, was wir Dir noch gerne gesagt hätten. Wir sagen Dir noch etwas Liebes, etwas Nettes. Und wir sagen Dir Danke für alles, was Du für uns warst und bist und immer bleiben wirst.
Wer möchte kann jetzt nach vorne kommen und für Josef eine Kerze anzünden. Damit sagen wir Dir Josef, dass wir Dich nicht vergessen werden und über den Tod hinaus mit Dir verbunden bleiben. Und mit unseren Lichtern geben wir Dir auch ein wenig Licht, Wärme, Liebe zurück für alles, was Du uns gegeben hast. Und mit unseren brennenden Kerzen bringen wir auch unsere Hoffnung, unsere Zuversicht zum Ausdruck, dass Du ins Licht gegangen bist. Und während wir die Kerzen anzünden, singen wir das Taizé-Lied: Meine Hoffnung und meine Freude, eine Stärke mein Licht, Christus meine Zuversicht.
Jede dieser Kerzen, die wir für Dich Josef angezündet haben ist wie ein stilles Gebet, das aus unserem Herzen zu Dir aufsteigt, wo immer Du jetzt bist. Wir Menschen sind wie Kerzen, kleine Lichter sind wir. Wir sind auf der Welt, damit es durch uns ein wenig wärmer, heller wird und menschlicher zugeht in unserer manchmal so kalten Welt. Du, Josef, hast Dein Licht zum Leuchten gebracht. Dein Lebenslicht ist nun erloschen, aber Dein Licht leuchtet weiter in unseren Herzen.
Im Leben zählen nicht nur Zahlen
Schauen wir noch ein wenig auf Dein Leben zurück, Josef. Du warst ein Kriegskind, kamst am 21. Februar 1942 in Grünberg/Schlesien zur Welt. 1945 mussten Deine Eltern und Geschwister fliehen. Ihr kamt nach Halle an der Saale. Als Du acht warst, hat Deine Familie sich in den Westen abgesetzt. Dein Vater fand in Köln eine Anstellung als diplomierter Handelslehrer. Ein Jahr später verstarb er an den Folgen eines Kriegsleidens. Da stand deine Mutter alleine da mit sieben Kindern. Und Du als vierter Bub mittendrin. Du hast zuerst einmal eine Lehre als Textilkaufmann in Köln gemacht. Doch dann hast Du wohl gemerkt, dass im Leben nicht nur Zahlen zählen. Es gibt wichtigeres als Kleider und Klamotten. Du warst kurz im Noviziat bei den Pallottinern in Limburg und dann bist Du nach Neuss ins Abendgymnasium gegangen. Vier Jahre Latein pauken und nebenbei arbeiten. Danach gingst du ins Priesterseminar nach Mainz. Dort haben wir uns damals kennengelernt.
Dein Wort hatte Gewicht
Du, Josef, hast dich schon im Priesterseminar zu den Gefangenen hingezogen gefühlt. Du gingst schon regelmäßig Jugendliche in der Mainzer U-Haft besuchen. Deine Primiz hast du im Mainzer Knast gefeiert. Von Anfang an hast Du gezeigt, dass Du Dich als Priester vor allem um die Menschen am Rande kümmern willst. Auf Deinem Wunsch hin hat Kardinal Volk dich 1976 zum Gefängnispfarrer von Rockenberg ernannt. Und gleichzeitig hattest Du noch die Gemeinden Münzenberg, Eberstadt und Rockenberg. Ich habe mich oft gefragt: Wie schaffst Du das alles? So viele Erwartungen, so viele Verpflichtungen, so viele Aufgaben zu meistern? Und dann hattest Du auch noch die Wohngemeinschaft für strafentlassene Jugendliche in Bad Nauheim. Da warst Du oft bis abends spät. Und dann warst Du so „nebenbei“ auch noch Vorsitzender der “Konferenz der Seelsorger an den Justizvollzugsanstalten in der Bundesrepublik Deutschland”. Die KollegInnen haben Dich sehr geschätzt. Deine ruhige, besonnene Art war wohltuend. Dein Wort hatte Gewicht. Du hattest was zu sagen. Und so wurdest Du nach vier Jahren wieder gewählt.
Nicht werten, wertschätzen
Dein halbes Leben, 32 Jahre lang bist du den schwarzen Schafen unserer Gesellschaft bis hinter die Gefängnismauer nachgegangen. Du warst ein guter Hirte. Du hast dich nachhaltig für die Gefangenen eingesetzt. Du warst ihr Anwalt. Die Jungs hatten Vertrauen zu Dir. Josef, Du hast sehr wertschätzend über Gefangene gesprochen und ihnen gegenüber Hochachtung und vollen Respekt gezollt, auch beim Scheitern. Nicht werten, wertschätzen. Das war Dein Punkt. Du hast auch uns Laientheologen, die wir keine Weihe haben, immer wertgeschätzt. Für dich waren wir gleichwertig. Du warst zwar mit Leib und Seele Priester, aber alles andere als ein Kleriker. Ich war 51 Jahre verheiratet, du hast 51 Jahre ehelos gelebt. Der Zölibat wäre für mich nichts gewesen und auch die Josefs-Ehe nicht. Josef Du lebst zweimal. Zu Lebzeiten und in der Erinnerung. Wir denken an manches zurück, was wir mit Dir erlebt haben. Das eine oder andere Wort von Dir haben wir immer noch im Ohr. Josef, wenn Du nicht in den Himmel kommst, dann gibt es keinen. Nein, ich will Dich nicht heiligsprechen. Durch zu viel Weihrauch werden selbst Heilige rußig. Ein rußiger Rüssmann – das passt nicht zu Dir Josef, du warst immer sauber, mit allen Wassern gewaschen. Du hast mir Deinen alten Computer angedreht, obwohl ich so ein Teufels-Ding eigentlich nicht haben wollte. Inzwischen bin ich froh, denn sonst säße ich immer noch mit meinem Tippex da, und jetzt mache ich einfach klick – und all meine Fehler sind gelöscht. – Danke Josef! Wenn das mit unseren Sünden doch auch so einfach ginge! Klick und weg sind sie!
Jeder Tag zählt
Josef, Du hattest einen trocknen Humor und konntest auch Dich selbst auf die Schippe nehmen. Humor ist wenn man trotzdem lacht, trotz seiner Selbst. Ohne Humor trocknen wir aus, sind wie Blumen ohne Wasser. Im Seminar in Mainz haben wir Dich „die Mösch“ genannt, nach dem Kölner Karnevalslied von Willy Ostermann: „Wie kütt die Mösch, die Mösch, die Mösch bei uns in der Küch?“ Nun bist Du uns davongeflogen, bist frei wie ein Vogel, schwebst auf deiner Seele Flügel dahin, heimwärts, in die ewige Heimat. Du siehst jetzt, weißt jetzt, was wir nur glauben, nur ahnen können. Mit Deinem Abflug erinnerst Du uns noch einmal eindringlich an die Worte des Psalm 90: Herr, lehre uns unsere Tage zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen.
Als Kinder unserer Zeit zählen wir nicht die Tage, wir rechnen nur in Jahren, feiern die runden Geburtstage. Seit meinem 80 Geburtstag zähle ich meine Tage: Es sind heute am 11. August 29.469 Tage. Und jeder Tag zählt, zählt 24 Stunden und zahllose einmalige Augenblicke. Jetzt, nachdem mir bewusst ist, dass meine Tage gezählt sind, weiß ich erst richtig, wie schön es ist zu leben. Ich erlebe jeden neuen Tag als eine Zugabe, zu meinem reichen Leben noch dazu gegeben. Ja, das Bewusstsein unserer Endlichkeit lehrt uns, endlich zu leben: Heute ist der Tag! Josef, auch wenn Du nur 81 geworden bist, hast Du dein Leben voll und ganz gelebt, hast es in der Tiefe erlebt, Du hattest ein Gespür für die spirituelle Spur unseres Daseins. Du hattest ein Auge für das Unsichtbare, Verborgene. Du hast Spuren hinterlassen, das spüren wir hier bei Deinem Abschied. Wir lassen Dich gehen, und winken Dir nach. Wir danken dem Himmel, dass er uns Dich gegeben hat. Ohne Dich wären wir ärmer gewesen. So ist es. Amen.
Petrus Ceelen
Gedenkfeier Josef Rüssmann * 21.2.1942 + 3.8.2023 | Evangelische Kirche Münzenberg, 11. August 2023