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Nach der Inhaftierung Altersarmut statt Resozialisierung?

7. Dezember 2022

Die Zeitung „Augustin“ wird von Ex-Häftlingen als Straßenzeitung in Österreich angeboten und verkauft. 1,50 Euro verbleiben als „Taschengeld“ beim registrierten Verkäufer. Summa summarum ist es eine wichtige Straßenzeitung für Menschen am Rande der Gesellschaft, die durch den Verkauf sichtbar werden. In einer Ausgabe wird besonders die Altersarmut nach der Inhaftierung in den Blick genommen.

Mit leicht gebeugtem Rücken geht Helmut Dachsberger voraus, er kennt sich hier aus. Durch den Barbereich, es riecht nach kaltem Rauch, den Gang ins Freie. Dort nimmt er an einem kleinen, wackeligen Metalltisch Platz. Sein graues Haar ist voll für seine 75 Jahre leicht zerzaust. Die schwarze Lederjacke liegt gut auf seinen Schultern. An diesem Herbstnachmittag ist das Wetter geradezu mild in der niederösterreichischen Hauptstadt. Gelegentlich kommt sogar die Sonne durch. Ein halbes Jahr lang habe er hier gewohnt, habe er für alle gekocht, sei die Freude groß gewesen, dass es „ein gutes Papperl“ gibt, erinnert sich Dachsberger. Das Haus am Stadtrand von St. Pölten habe ihm Halt gegeben, als er im Jahr 2008 rauskam, aus dem Gefängnis. Neben dem Mistplatz, nahe den Schienen, schräg unter einer Schnellstraßenbrücke, am Stadtrand von St. Pölten. Unscheinbar, aber ein „Rettungsanker in turbulenten Zeiten“ wie es die Betreiberin selbst, die Emmaus Gemeinschaft, umschreibt. Die karitative Organisation betreibt das Wohnheim für von Obdachlosigkeit Betroffene.

Kein Pensionsanspruch

Auch für Dachsberger war das Haus ein Rettungsanker im Jahr 2008. Zweieinhalb Jahre davor, er hatte eine erfüllende Beziehung, sich finanziell „gerade so da fangen… dann ist mir das passiert“, erzählt er sichtlich betrübt. Es war ein Unfall, sagt er. Körperverletzung mit Todesfolge. Er landete im Gefängnis, nicht zum ersten Mal. Nach zwei Jahren Haft habe ihn seine Lebensgefährtin verlassen. Als er rauskam, hatte er „keine Wohnung, keine Beziehung, kein gar nix“. Dachsberger nimmt einen tiefen Zug von der Zigarette. Die turbulenten Zeiten konnte er zum Glück hinter sich lassen. Heute mag er es, ins Wirtshaus zu gehen. „Schmäh führ’n und bledln“ wie er sagt. Das sei für ihn Lebensqualität. Oder auch gut zu kochen. Mit der Lebensqualität sei es aber oft ab dem 20. des Monats zu Ende. Da gehe ihm das Geld aus. Und jetzt noch die Teuerung. Monatlich hat er nur 1.100 Euro. Kein Pensionsanspruch. Auf eine richtige Pension fehlen ihm ganze sechs Beitragsjahre bei der Pensionsversicherung. Nicht wenig, aber kaum mehr als die Zeit, welche er in Summe schon im Gefängnis verbringen musste. Zeit, in der er hinter Gittern auch arbeitete. In die Pensionskassa zahlte er in diesen langen Jahren jedoch nicht ein.

Haft bringt Altersarmut

Ein unsteter Lebenswandel und nicht zuletzt die Haftaufenthalte sind der Grund, dass Helmut Dachsberger und viele andere PensionistInnen heute unter der Armutsgrenze leben, dass sie keinen Pensionsanspruch haben. Eigentlich sollte ein Gefängnisaufenthalt resozialisieren, vorbereiten auf ein angepasstes Leben in der Mitte der Gesellschaft. Und im besten Fall eine Grundversorgung schaffen. Für ältere Inhaftierte aber passiert oft genau das Gegenteil. Die Haft bringt vielen straffällig Gewordenen die Altersarmut. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um straffrei zu bleiben. Am anderen Ende von Österreich, nahe Innsbruck, traf auch Fini Frachelli, schon vor Jahrzehnten Entscheidungen, die ihr späteres Leben stark beeinflussen sollten. Schon als Jugendliche konsumierte sie Drogen, wurde heroinabhängig. Mit neunzehn Jahren landete sie in der Psychiatrie, kalter Entzug. Nach fast zwei Jahren, „ich war clean und gut drauf“, mussts sie trotzdem ins Gefängnis, erzählt sie. Wegen des Verkaufs von Drogen. Ein Dreivierteljahr und einen weiteren Klinikaufenthalt später kam sie frei. Das.Problem jedoch: „Für die nachgewiesene Menge verkaufter Drogen sollte ich die Steuer nachzahlen.“ Geblieben sind ilir damit gut 70.000 Euro Schulden. Geblieben ist ihr auch die Drogensubstitution, die tägliche Einnahme eines Medikaments, um den gesundheitlichen Schaden durch die Abhängigkeit zu minimieren.

Heute ist Frachelli 64 Jahre alt Nach ihrer Entlassung habe sie alles Mögliche gearbeitet: „Verkäuferin, Bäckerei, Putzen, tralalala, halt irgendwelche Jobs“, in Summe alles schlecht bezahlte Teilzeitstellen. „Als Frau mit Vorstrafe hast es fast noch schwerer einen g’scheiten Job zu finden.“ Die Schulden loswerden konnte Frachelli bis heute nicht. Hätte sie mehr als das Existenzminimum verdient, wäre das gepfändet worden. Beim Erzählen zieht Frachelli immer wieder an ihrem Joint. Sie konsumiere täglich. „Ist mir lieber als Pharma.“ Eine Selbstmedikation, die ihr mehrere hundert Euro im Monat kostet. Und so musste sie lernen, mit wenig Geld auszukommen, derzeit exakt 977 Euro und 94 Cent. Gewohnt habe sie immer nur in billigen Altbau~Wohnungen mit Klo am Gang. Sie esse zwar nur gutes Essen, aber wenig. „Mehr ist finanziell einfach nicht drinnen.“

Armut und Gefängnis

Der Zusammenhang zwischen den  schmalen finanziellen Mitteln von Menschen wie Helmut Dachsberger und Fini Frachelli ist kein Zufall, sondern statistisch auffällig. Die Armut und das Gefängnis liegen nahe beieinander. Das Justizministerium (BMJ) etwa lässt wissen, dass allein unter den Inhaftierten mit österreichischem Pass elf Prozent vor ihrer Inhaftierung von der Mindestsicherung lebten – in Freiheit tun das gerade mal 2,2 Prozent, zum Vergleich. Weitere 18,4 Prozent würden Arbeitslosengeld beziehen und „rund 13 Prozent waren überhaupt einkommenslos“, so die Sprecherin. In einigen Justizanstalten seien bis zu 62 Prozent der österreichischen Inhaftierten ohne Einkommen aus einer geregelten Arbeit. Auch der deutsche Rechtswissenschafter Ronen Steinke kommt in seinem jüngst erschienenen Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ zum Schluss: Menschen aus einkommensschwachen Verhältnissen sind nicht nur gesellschaftlich benachteiligt, sondern in der Justiz besonders. Sie landen schneller in Haft, haben schlechteren anwaltlichen Beistand, bekommen höhere Strafen und weniger Hafterleichterungen. Dennoch ist das Ausmaß von Altersarmut in Zusammenhang mit der Haft nicht einfach zu erfassen. Mehr lesen im Augustin…

Christof Mackinger | Augustin

Die Namen der ehemals Inhaftierten wurden zur Wahrung der Anonymität durch die Redaktion geändert.

 

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