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Nicht ernst diskutiert: Inhaftierte in der Pensionsversicherung

10. Dezember 2022

Fritz Zeilinger, bei NEUSTART in Austria für Statistik zuständig, weiß welche Daten es wo gibt. Der Verein betreibt im Auftrag für die österreichische Justiz die Resozialisierungshilfe für Straffällige. „Daher habe ich auch gewusst, dass es relevante Daten in offiziellen Berichten nicht gibt“, sagt er. Zeilinger verfügt nur über Daten von Haftentlassenen. Ein Verfahren zur Einbeziehung Gefangener in die Pensionskasse ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Zeilingers Zahlen sagen Folgendes: Von den Haftentlassenen, die im Pensionsalter sind, „hatten mindestens 38,7 Prozent, aber wahrscheinlich deutlich mehr, ein Einkommen, das unter der Mindestpension lag“. Das bedeutet, dass fast 40 Prozent dieser Haftentlassenen mit weniger als 1.030,49 Euro auskommen müssen – so hoch liegt derzeit die Mindestpension in Österreich. Zur Orientierung: Die Armutsgefährdungsschwelle wird in Österreich mit 1.371 Euro monatlichem Einkommen berechnet. Ganze 300 Euro darunter liegt auch die Pension von Helmut Dachsberger. Und das, obwohl der St. Pöltner neun Jahre lang seine Pensionsvorsorge einzahlte. Aus einer Familie mit Weinbaubetrieb kommend, habe er bis 1985 im Familienbetrieb gearbeitet. Nach einer Scheidung sei es dann schwierig geworden. Er hat die Arbeit aufgegeben, erste Gewaltdelikte begangen. „Ich hab mir das Deppertsein dann nicht mehr abgewöhnen können.“

Nach einem ersten Haftaufenthalt wurde es auch finanziell eng. „Ich hab damals viel schwarz gearbeitet, ich hab ja nix anderes gefunden. Das fehlt mir heute bei der Pension.“ Tatsächlich muss man in Summe mindestens 180 Arbeitsmonate, also 15 Jahre, vorweisen können, um  Pensionszahlungen zu bekommen. Wer keinen Pensionsanspruch hat, muss mit der Mindestpension auskommen. Die Zeit im Gefängnis sind dann quasi verlorene Jahre, sie fehlen für eine ordentliche Pension. Die Altersarmut ist vorprogrammiert, PensionistInnen, die sich nach der Haft mit Armut herumschlagen müssen, gibt es mehr als genug. Da sind nicht nur Herr Dachsberger oder Frau Frachelli. Da ist auch Rudolf Weber aus Wien. Er ist 70 Jahre alt und kam vor zwei Jahren nach seiner zweiten Haftstrafe frei. Dank seiner günstigen Wohnsituation habe er zwar kein Problem mit seinem Monatsbudget. von 1.166 Euro, sagt er. „Würd’ ich nicht rauchen, würde ich noch besser auskommen.“ Unter der Armutsgrenze liegt seine Pension aber trotzdem.

Oder Hans Forstler. Der Pensionist aus dem südlichen Niederösterreich hatte zwar schon viele Jobs, aber trotzdem muss der 74-Jährige heute nebenbei arbeiten. Von seiner Pension von ‚etwa 1.000 Euro im Monat kanner nicht leben. Forstler war früher Reiseleiter, hat dann bei einem Unternehmen für Medizintechnik und in der Unternehmensberatung in Russland gearbeitet. Mit 45 hat er noch ein Studium der Agrarökonomie abgeschlossen. Aufgrund von „psychischem Druck im Privatleben“, sagt er, habe er im Jahr 2010 einen Banküberfall versucht – und wurde gefasst. Nach seiner Freilassung nach vier Jahren Gefängnis war sein psychischer Zustand miserabel. Kaum besser waren seine Finanzen: „Es gab Monate, wo ich zehn Tage vor Monatsende nur 20 Eure hatte.“ So blieb Hans Forstler – nichts anderes übrig als sich im Alter von 66 Jahren noch zwei Nebenjobs zu suchen. Heute hilft er in einer Tierarztpraxis aus und arbeitet als Rezeptionist in einem Hotel. So komme er finanziell über die Runden, „auch wenn ich mir Dinge wie Zähne oder Psychotherapie nicht leisten kann“.

Keine Grundversorgung

Walter Hammerschick vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) der Universität Innsbruck hat schon Mitte der 1990er Jahre zur Situation Inhaftierter geforscht. Dabei stellte er fest, dass „Strafgefangene oft bereits einen gravierenden sozialen Abstieg hinter sich haben, der lange vor der Inhaftierung einsetzte und sich in einer zunehmend geringeren Beteiligung am Erwerbsleben äußert“. Das ist ein Hinweis darauf, „dass dem sozialen Ausschluss durch Kriminalisierung und Freiheitsstrafe oft ein Ausschluss von – sozialen Teilhabechancen vorausgeht“, schrieb er damals. Ein wissenschaftlicher Befund, der an Helmut Dachsbergers Biografie erinnert. Gemeinsam mit Kollegen hat er damals die Auswirkungen der großen Reform des Strafvollzugsgesetzes von 1993 untersucht. Als positiv begutachteten sie damals die neu eingeführte Entlohnung der Inhaftierten für deren Arbeit hinter Gittern sowie die Arbeitslosenversicherung, welche den Bezug von Arbeitslosengeld nach dem Gefängnis ermöglicht. „Wenn ich Menschen eine Grundversorgung zukommen lasse, trage ich zur Stabilisierung ihres Lebens bei. Das ist meines Erachtens eine sehr einfache Rechnung.“ Wenn jemand ohne Perspektiven und ohne ‚Versorgung aus dem Strafvollzug entlassen wird, steige die Gefahr neuerlicher Straffälligkeit, ist der Kriminologe überzeugt.

Laut Hammerschick war damals auch die Einbeziehung der Gefangenen in die Pensionsversicherung für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt worden. Das war vor 25 Jahren. Kranken-und pensionsversichert sind Inhaftierte bis heute nicht. „Eine Pensionsversicherung für  Gefangene wurde seitdem kaum mehr ernsthaft diskutiert“, sagt Hammerschick. Er selbst fände sie heute noch immer „gut und richtig“. Ähnlich sehen dürfte dies ein Mann, der sich selbst „Einbrecherkönig“ nennt. Ernst Stummer hat in Summe 28 Jahre hinter Gittern verbracht und dort viele Jahre lang in der Gefängnisbäckerei geschuftet. Pensionsanspruch hat er trotzdem keinen, er konnte keine 15 Jahre Arbeit in Freiheit nachweisen. Mithilfe seines Anwalts Armin Bammer klagte der Pensionist im Jahr 1999 die Republik.

Das Verfahren ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), wo Stummer und ‚sein Anwalt 2011 sinngemäß argumentierten: „Es ist diskriminierend, wenn Menschen in Haft Pflichtarbeit verrichten müssen und ihnen die entsprechende Versicherung dazu verwehrt wird, unter „anderem die Pensionsversicherung“, erinnert sich Bammer an seinen großen Auftritt in Straßburg. Dort trug er vor 17 RichterInnen vor, welche die Klage dann mit zehn zu sieben Stimmen abwiesen. „Es war also sehr kontrovers. Hätten nur zwei Richter anders entschieden, hätten wir gewonnen“, so der Anwalt. Das Argument des EGMR: Es sei zwar zu empfehlen, Inhaftierte in die  Pensionsversicherung einzubeziehen. Etwas mehr als die Hälfte der Europarats-Mitgliedsstaaten hätte dies auch damals schon getan. Der EGMR überließ eine Entscheidung darüber jedoch dem jeweiligen Mitgliedsstaat.

Politischer Unwille

Fragt man im zuständigen Sozialministerium nach der Pensionsversicherung für Inhaftierte, wird sich auf Gerichtsurteile berufen, darunter jenes zum „Einbrecherkönig“. Es liege keine Gleichheitsverletzung vor, weil der Freiheitsentzug ja „selbst verschuldet“ sei. Was die Zukunft angeht, wird der Ministeriumssprecher dann doch noch deutlicher: „Eine Einbeziehung von Strafgefangenen in das System der gesetzlichen Pensionsversicherung ist aktuell nicht geplant.“ Bei den Parteien ist man auffallend zurückhaltend, was das Thema angeht. Die Bedürfnisse von Inhaftierten sind wohl kein Thema, mit dem sich positive Schlagzeilen machen lassen. Anfragen an JustizsprecherInnen bleiben unbeantwortet. Erst auf Nachfrage lassen zumindest die SPÖ und NEOS wissen, dass sie für einen Einbezug der Inhaftierten in die  Pensionsversicherung wären.

Für Herrn Dachsberger aus St. Pölten würde eine solche Gesetzesänderung aber ohnehin keine Besserung mehr bringen. Besserung wünscht er sich vielmehr bei seinem körperlichen Zustand, zuletzt habe er abgebaut. Solange es geht, kümmert er sich heute um seinen Garten oder den seiner NachbarInnen. Immerhin ist er ausgebildeter Landschaftsgärtner. „Es war immer mein Hobby, de ganze Pflanzlerei und  Blumen glumpert“, sagt er. Der Gedanke treibt ihm ein Lächeln auf die Lippen. Das habe ihn auch durch seine letzte Haftstrafe gebracht. In der Justizanstalt Göllersdorf hätte er die Pflege eines großen Parks und des Gartens über gehabt. „Dort hab i gehackelt, wie wenns meins wär“,  erinnert er sich zurück. Die Haft sei ihm so leichter gefallen, mit einer Aufgabe.

Armin Bammer, der Anwalt des Wiener „Einbrecherkönigs“, sieht seine Aufgabe in der Stärkung der Menschenrechte. Der Rückschlag in Straßburg liegt mehr als zehn Jahre zurück. „Unter geänderten Umständen könnte eine erneute Klage durchaus erfolgsversprechend sein“, sagt er. Hoffnung legt er auch in ein Papier mit dem sperrigen Titel Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, eine Handlungsanleitung des Europarates zur Behandlung Gefangener, mit der Empfehlung „Arbeitende Gefangene sind so weit wie möglich in das staatliche Sozialversicherungssystem einzubeziehen“. Auch eine Pensionsversicherung würde darunterfallen. Und möglich wäre eine solche in Österreich allemal. Es fehlt nur noch der politische Wille. Mehr lesen im Augustin…

Christof Mackinger | Augustin

Die Namen der ehemals Inhaftierten wurden zur Wahrung der Anonymität durch die Redaktion geändert.

 

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