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Es ist ähnlich wie damals nach dem Krieg

5. April 2020

Manche ältere Menschen verstehen die Welt nicht mehr. Ich selbst ja auch nicht, obwohl ich jünger bin. „Was für eine Grippewelle dieses Jahr“, höre ich die 85 jährige sagen, als sie mit ihrem Einkaufsrolly auf dem „Trottoir“ geht. „Wissen Sie, es ist wie im Krieg, damals“, spricht sie leise. Tatsächlich, es ist wie im Krieg. Leere Straßen, auf Abstand haltende Menschen und geschlossene Läden. Man sagt, besonders ältere Menschen gehören zur Risikogruppe bei der Coronavirus-Ausbreitung. Die verschärfte Isolation ist das Schlimmste. „Man traut sich kaum noch raus.“

Abstand halten beim Einkaufen und immer die Hände waschen. Im Dorfladen nicht zu nahe den anderen kommen. „Das geht schon irgendwie“, sagt Frau Meier. „Der Laden ist schon sehr klein.“ Irgendwie geht es immer weiter. Als Rentnerin kennt sie das Dorf, deren Geschichte und die Menschen. „Kurz nach dem Krieg gab es hier keinen Dorfladen. Ich musste in das Nachbardorf mit dem Fahrrad“, sagt sie nachdenklich. „Ja, und damals kaufte ich auch schon etwas mehr ein. Man weiß ja nie.“ Es steckt einfach drin in den Erfahrungen der Menschen, die Entbehrungen miterlebten. Dies ist nicht mehr zu ändern. Mit ihrem Mann lebt Frau Meier in einer kleinen Wohnung. Jeden Tag kommt die Sozialstation und hilft bei den Thrombosestrümpfen. „Mein Mann kann keine Lebensmittel wegwerfen. Er isst immer seinen Teller auf, auch wenn er bereits satt ist. Das hat er von Kriegserlebnissen und von seiner Mutter eingebläut bekommen.“

Im Krieg

Nous sommes en guerre.
Der Feind rückt immer weiter vor,
kennt keinerlei Grenzen.

Panzer, Kanonen, U-Boote, Kriegsschiffe,
Flugzeugträger, Raketen, Atombomben.
Das Waffenarsenal weltweit entwaffnet.

Gläubige versuchen es mit beten.
Doch dieses winzig kleine Lebewesen
lässt sich nicht wegbeten.

Wegoperieren, weglachen, wegträumen,
wegdiskutieren, wegdenken …
Nicht weg zu kriegen.

Krieg im Kopf. Krieg in der Klinik.
Krieg um Masken. Krieg ums Klopapier.
Wir sind ja im Krieg.

Petrus Ceelen

8 Jahre war sie, als der Krieg ausbrach. „Ich habe mit dem Führer am selben Tag Geburtstag“, flüstert Frau Meier, „das spielt jetzt Gott sei Dank keine Rolle mehr“, sagt sie. Vieles hat sie bereits durchgestanden und mitgemacht. Die ganze Zeit zuhause bleiben will sie in der jetzigen Lage nicht. „So lange ich und mein Mann noch gehen können, gehen wir raus.“ Mit ihren Kindern kommuniziert sie mit dem Telefon. „Manchmal mit so einem kleinen Kästchen, da kann man sich sogar sehen.“ Sie spazieren beide jeden Tag ein Stück in die Landschaft hinaus. Schön auf Abstand. Da kommen ihnen eh nicht viele Leute entgegen.

Alte Ängste spielen eine Rolle

Besonders schade findet sie es, dass sie derzeit ihre Enkelkinder nicht sehen kann. Eigentlich war geplant, dass sie zu Ostern kommen. Aber das wird jetzt nichts. Aus der Nachbarschaft gebe es Hilfsbereitschaft, „aber wenn man sonst nicht viel miteinander zu tun hat, ist das sehr schwer mit dem Hilfe annehmen.“ Ihre Tochter arbeitet in einem Lebensmittelladen. „Sie bringt uns den großen Einkauf, wie zum Beispiel das Toilettenpapier, mit“.

Die Angst spielt eine Rolle. Sie kriecht wieder hoch. Erinnerungen an die Zeit, in der es wenig gab, sind plötzlich wieder präsent. „Das sind Bilder, die möchten Sie nicht sehen“, erklärt mir Frau Meier. Ich kann es mir wirklich kaum vorstellen. „Sogar die Kirchen sind geschlossen und ich kann nicht einmal zum Frisör“, beschwert sie sich. „Gibt es absolut kein Mittel dagegen?“, fragt sie immer wieder. „Trotzdem geht es uns gut und wir sind versorgt. Das ist schon anders als damals. Wir müssen jetzt zusammenhalten“, meint Frau Meier. „Im Fernsehen kommen viele Informationen über dieses Virus. Es ist unsichtbar. Früher war die Bedrohung klar am Himmel zu sehen.“ Ja, denke ich, das ist irgendwie nachvollziehbar.

Michael King | JVA Herford

 

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