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Nach Corona Gedenken: Wer gedenkt des Kindeswohls?

22. April 2021

Unter der Überschrift „Nähe und Zuneigung wird durch Pandemie geraubt“ erinnert auch ein Beitrag der Gefängnisseelsorge an die Gedenkfeier für die an und mit COVID-19 Verstorbenen, die am 18. April im Konzerthaus Berlin stattfand, anschließend an einen ökumenischen Gottesdienst in der Gedächtniskirche. Die höchsten RepräsentantInnen des Staates und der Kirchen waren versammelt. „Lassen wir nicht zu, dass die Pandemie, die uns schon als Menschen auf Abstand zwingt, uns auch noch als Gesellschaft auseinandertreibt”, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Konzerthaus am Gendarmenmarkt.

Bischof Georg Bätzing äußerte zu dem oft einsamen Leiden und Sterben unter den Bedingungen der Corona-Maßnahmen: „Sterben an einer ansteckenden Krankheit lässt das alles nicht zu – nicht einmal ein Begräbnis, an dem viele teilnehmen, diesen Menschen würdigen und den Angehörigen beistehen.“ Und: „Was hier alles fehlt, was einem an Nähe und Zuneigung geraubt wird durch die Pandemie, das verwundet die Seele.“ Doch: „wir – miteinander und in Verantwortung füreinander – finden heraus aus dieser Pandemie. Denn Gott geht mit uns. Wir dürfen gespannt sein.“ Was ist das für ein Gedenken, welche Art der Erinnerung wird hier gepflegt? Bemerkenswert ist zunächst der Aspekt, dass wir uns an etwas erinnern sollen, bevor es vorbei ist. Dass ein Gedenken stattfindet ohne eine Gesamtschau auf das, was großes Leid und tiefe Verunsicherung verursacht hat. Dass die Beteiligten des Geschehens sich sozusagen selbstreflexiv all der Tragik widmen. Es liegt auf der Hand, dass das eine kaum zu meisternde Hürde ist, wenn man „volksnah“ reden und predigen möchte. Die Lösung, die die AkteurInnen gefunden haben, scheint zu sein, einen anonymen Täter, eine anonyme Täterin zu erschaffen, nämlich DIE PANDEMIE, wahlweise DAS STERBEN AN EINER ANSTECKENDEN KRANKHEIT oder DAS VIRUS. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron, betonte: „Seit mehr als einem Jahr beherrscht das Virus unser alltägliches, soziales und berufliches Leben und es macht weder vor Konfessionen, noch vor Religionen, noch vor Nationen halt.“

„Der Lockdown macht unsere Kinder krank“ ist die Botschaft der Demonstranten.

Maßnahmen erzielen nicht gewünschte Wirkung

Doch ist das nicht ziemlich unredlich? Natürlich fallen Menschen der Krankheit COVID-19 zum Opfer, natürlich wird diese durch ein Virus ausgelöst, natürlich erfordern ansteckende Krankheiten bestimmte Vorsichtsmaßnahmen. Interessanterweise geht es in diesen Wortbeiträgen aber nicht primär um Kranke und Verstorbene, sondern darum, wie sich die Maßnahmen, die gegen die Ausbreitung der Krankheit ergriffen werden, auf die Infizierten, ihre Angehörigen, ja auf die gesamte Gesellschaft auswirken. Für diese Maßnahmen lassen sich Urheber und Urheberinnen benennen. Das Leiden der Alten, Kranken und Sterbenden unter Isolation und Abschottung ist gewollt. Menschen haben das entschieden, Menschen haben dazu Ja gesagt – oder zumindest haben die wenigsten Menschen dem widersprochen.

Nicht die Pandemie, das Virus, das Sterben rauben jenen und vielen anderen Betroffenen ihre Lebensmöglichkeiten und beeinträchtigen sie in der Ausübung ihrer Grundrechte. Nicht irgendein schicksalhaftes Ereignis stürzt unser Land samt seinen EinwohnerInnen in Existenzangst, Misstrauen und Entzweiung. Auch sind es letztlich nicht DIE MASSNAHMEN, die für massive Kollateralschäden an Leib und Leben von Millionen Menschen verantwortlich sind. Menschen haben das veranlasst, Menschen haben es nicht verhindert. Es sind Menschen, die sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse ignorieren, die darauf hindeuten und teils mit überwältigender Evidenz belegen, dass dieses Maßnahmenpaket die erwünschte Wirkung nicht erzielt hat. Immerhin leben wir jetzt seit über einem Jahr in einem Ausnahmezustand wechselnder Schärfe, den es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland so nie gegeben hat und der beinahe sämtliche Grundrechte aushebelt inclusive der von in Deutschland als geltendes Recht akzeptierten Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Allein diese Unverhältnismäßigkeit in der Wahl der Mittel, die gegen die Epidemie helfen sollen, stellt einen Verfassungsbruch dar.

Damit schützt Du Oma und Opa

Immer mehr Fachleute warnen davor, den Bogen noch weiter zu überspannen. Eine wachsende Zahl von ExpertInnen und InteressenvertreterInnen benennen die Not, in der sich die schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft befinden. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Kindern und Jugendlichen. Zwei Urteile lassen aufhorchen: in Weimar und in Weilheim hat jeweils ein Familiengericht Maßnahmen, denen Schulkinder unterworfen sind, als Gefährdung des Kindeswohls eingestuft und damit untersagt. Das Weimarer Urteil fußt auf drei umfangreichen Fachgutachten. Die zuständigen Behörden haben trotz Aufforderung durch das Gericht keine fachliche Stellungnahme abgegeben oder beauftragt. Kindeswohlgefährdung? Da war doch mal was in der Bibel: „Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte. Und wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf. Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde.“ (Mt 18, 4-6) Es geht auch um Demut, wenn wir Testpflicht, AHA-Regeln und Maskenzwang in Schulen in den Blick nehmen. Kann diese pathogenen und traumatisierenden Handlungen an Schutzbefohlenen noch rechtfertigen und durchführen, wer wirklich versucht, sich in die ihm oder ihr anvertrauten Kinder hineinzuversetzen? Müsste der Satz: „Das hat uns doch auch nicht geschadet“, nicht als Relikt einer dunklen Vergangenheit schon längst aus unserem Wortschatz verbannt sein? Oder die Überwältigung mit Suggestionen wie: „Es ist nur zu deinem Besten“, oder: „Damit schützt du Oma und Opa“? Vielleicht hilft uns ein Perspektivwechsel: „Eine Gesellschaft, die dieses Leid verdrängt, wird als ganze Schaden nehmen.“

Coronakonforme Demonstration vor dem Rathaus in einem Dorf im Schwarzwald.

Das Leid aller einbeziehen

Der Bundespräsident hatte das Leid der Kranken, Verstorbenen, Angehörigen und Helfer im Sinn, als er diese Warnung aussprach. Beziehen wir doch das Leid der Kinder (und der Vielen, denen der Lockdown das Leben zu zerstören droht,) in diese Überlegung mit ein. Sind wirklich alle Erwachsenen so unempfindlich für die Situation, in der die Kinder sich befinden? Ich glaube das einfach nicht. Wir alle sind ja Teil dieser Situation – als Opfer und als Täter! Wir sind Menschen, und Menschen möchten Liebe bekommen und weitergeben. Aber Menschen möchten vor allem eins: leben. Wenn es bedrohlich wird, geht es für uns darum zu überleben. Voller Angst, selbst zu erkranken oder andere Menschen nicht vor Krankheit und Tod bewahren zu können, kämpfen wir ums Überleben. Vielleicht ist das der Grund, warum wir derzeit wie versteinert sind. Es ist schon schwer genug, sich den Verletzungen der eigenen Kindheit zu stellen – ohne Verdrängung lässt sich Vieles einfach nicht aushalten.

Daher schotten wir uns jetzt erst recht vor der Erkenntnis ab, dass Menschen umso verwundbarer sind, je jünger sie sind. Wir sind im Kampf-Modus und finden tausend Gründe, warum wir da jetzt durch müssen – ohne Rücksicht auf Verluste. Wir sind die Erwachsenen. Die Kinder können sich nicht wehren; sie lieben uns, egal was wir ihnen zumuten. Aber wir Erwachsenen können uns emanzipieren von Zwängen, deren Eigendynamik unser Zusammenleben nachhaltig bedroht. Ohne Verdrängung, damit die Gesellschaft nicht noch mehr Schaden nimmt. Bischof Heinrich Bedford-Strohm hat recht, wenn er im Gedenkgottesdienst darauf verweist, dass wir alle, erst recht die Kinder, viel Zeit brauchen werden für die Verarbeitung dieser Krisenerfahrung und die Heilung der verletzten Seelen.

Wolfgang Wandzioch | JVK Fröndenberg, JVA Hamm

 

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