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Menschenrechte und Strafvollzug – Beobachtungen

28. Januar 2021

Eigentlich ist im Strafvollzug alles geregelt. Und eigentlich ist es so geregelt, dass es den Grundgesetzen und den Menschenrechten nicht widerspricht. Ich glaube, viele konnten dort nicht arbeiten, wenn dies anders wäre! Und für viele geht es noch einen Schritt weiter: Sie wollen nicht nur in einem  gesetzeskonformen, sondern auch in einem humanen Strafvollzug arbeiten. Zurzeit werden diese Grundsätze etwas erschüttert. Viele Regelungen der Strafvollzugsgesetze, ja sogar Grundsätze des Grundgesetzes, werden außer Kraft gesetzt, natürlich um uns zu schützen.

Und nach einer Phase, in der die Grundsätze der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu Pandemielagen griffen, ist es weiter nach unten gereicht worden, sodass – rechtlich gesehen – Ministerpräsidenten per Verordnungen regieren. Diese Verordnungen müssen – wie im Falle Gütersloh – verhältnismäßig sein, wie das OVG Münster festgestellt hat. Mit ähnlichen Verordnungen reagieren Justizministerien und Anstaltsleitungen und schränken z.B. Besuche drastisch ein. Auch ihnen mag man nicht unterstellen, sie wollen bewusst Grundgesetze – wie z. 8. den Schutz der Familie (GG Art. 6) – aushebeln; aber faktisch tun sie es. Dies mag in den besonderen Zeiten (der Autor schreibt am Ende der Sommerferien, in denen die Frage der zweiten Welle nicht seriös beantwortet werden kann) für eine kurze Zeit alles seine guten Gründe haben. Wir sollten aber konstatieren, dass wir den Boden – zumindest den Boden des Grundgesetzes – verlassen haben.

Die Kammer: Hier werden in jeder Justizvollzugsanstalt die Anstaltskleidung und die persönlichen Dinge des Inhaftierten verwaltet.

Gefangenen weniger erlaubt als draußen

Und vielleicht gibt es ja sogar so etwas wie andere Interessen, die sich unter dem Schutz des hehren Zieles „Gesundheit“ Bahn brechen. Ein Beispiel: ln einer Verfügung zum Thema Ausführungen und Begleitgänge heißt es: Aufenthalte in Privatwohnungen werden nicht gestattet. Und in Klammern direkt dahinter steht folgender Text: ungeklärte räumliche/bauliche Voraussetzungen und Hygienesituation. Die Situation der Hygiene wirkt wie nachgeschoben, um etwas eigentlich nicht mehr zulassen zu müssen. Und praktisch umfasst die Verfügung auch Restaurantbesuche und Ladenbesuche, in denen ein Einkaufswagen verpflichtend ist. Man darf sich also fast ausschließlich im Freien aufhalten. Für die regenarme Zeit sicherlich auch hygienisch eine gute Option. Aber später? lst hier schon die Menschenwürde berührt, wenn Gefangenen in Ausführungen weniger erlaubt ist als Menschen in Freiheit?

Mich bringen auch diese Beispiele dieser besonderen Zeit zu der Frage nach der eigentlichen Motivation, der eigentlichen Haltung, die dahinter liegt bei den handelnden Personen. Ich erinnere noch die vielen empörten Äußerungen, als Sicherungsverwahrten 20 qm zugestanden werden sollten und schließlich überwiegend zugestanden wurden. („Meine Oma im Altenheim hat weniger. Warum gerade die?!“) Ein Ministerieller aus Niedersachsen nannte das zu Beginn der gesetzlichen Neuregelungen ein „Akzeptanzproblem“. Und der Öffentlichkeitsreferent des Justizministeriums in NRW trat fast entschuldigend an die Öffentlichkeit mit Worten, die den gerichtlichen Zwang zu den Neuregelungen schon sehr betonten, als der Neubau der Sicherungsverwahrung in der JVA Werl vorgestellt wurde.

Macht durch das System

Und ich glaube, darum geht es durchgängig: Können wir innerlich akzeptieren, dass Gefangene Menschen mit Rechten sind, die ihnen wirklich zustehen? Auch dann, wenn es Menschen sind, die sich massiv an menschlichen Grundsätzen vergangen haben? Können wir sehen, dass Angehörige auch grundsätzlich hinter dem Schutz des Grundgesetzes stehen? Braucht es Grenzsetzungen auch in Bereichen, in denen Handeln des Vollzugs eher den persönlichen Haltungen und der Abwehr von Enttäuschung als den gesetzlichen Vorgaben entspricht? Denn leider muss bisweilen auch Folgendes beobachtet werden: das Interesse, den Gefangenen weiter zu strafen, weil man seine Tat (s.u.) oder sein Verhalten im Vollzug (z.B. eine erfolgreiche Klage gegen eine Entscheidung des Vollzugs, die von einem zuständigen Gericht als rechtswidrig bewertet wurde) nicht akzeptieren will. Bisweilen erwachsen daraus emotional negativ motivierte  Entscheidungen oder es kommt sogar zu plumper Machtdemonstration durch Bedienstete des Systems.

Ein reales Beispiel gefällig? Ein Inhaftierter ließ gerichtlich feststellen, dass eine ihm nicht zeitnah gewährte Ausführung anlässlich des Todes seiner Mutter rechtswidrig war. Daraufhin erhielt er Wochen später eine Ausführung zu seiner Familie. Nach Rückkehr von dieser Ausführung war seine Zelle nach einer Zellenrevision so durcheinander zurückgelassen worden, dass es ihn wütend machte. Die nur verbale Aufregung führte zu seiner Verbringung in den BGH (besonders gesicherten Haftraum). Auch dagegen ging der Gefangene gerichtlich vor und auch hier wurde die Rechtswidrigkeit festgestellt. Seitdem wird er permanent ignoriert und Anträge kaum bearbeitet – auch nicht der Antrag, dass er sechs neue T-Shirts geschickt bekommen möchte. Vielmehr musste er feststellen, dass große Teile seiner Kleidung Schnitte einer Schere aufwiesen (insgesamt bei acht T-Shirts, zwei Jogginghosen, einer Joggingjacke und der Bettwäsche), Der Gefangene wird sicherlich die Aushändigung seiner T-Shirts gerichtlich erstreiten können. Was er aber an weiterer entwürdigender Behandlung erleben wird, ist leider noch nicht abzusehen.

Menschenrechtswidrigkeit

lm Gegensatz dazu bin ich ein großer Verfechter des Ansatzes, der Anlass zur Entwicklung von sogenannten Resozialisierungsgesetzen ist, nämlich: Der erste Tag in Haft sollte der erste Tag zur Befähigung hin zu einem Leben in sozialer Verantwortung sein. Die Praxis folgt eher dem Grundsatz, alles so sicher zu gestalten, dass besondere Vorkommnisse am besten nicht vorkommen, weil es dann zu breit angelegter medialer und politischer Aufmerksamkeit kommt oder kommen kann. (Die Angst davor motiviert bereits). Und so kann man dies nun drehen und wenden wie man will: Dies hat immer Einschränkungen – bisweilen erhebliche – für die Gefangenen zur Folge, bis dahin sogar, dass ihre Menschenwürde berührt wird.

Beispiele zum Thema Menschenwürde

1. Die frei – oder relativ freistehende – Toilette im Haftraum; insbesondere bei Zellen, die mit mehr als einem Gefangenen belegt wurden

2. Die gesamten gesetzlichen Regelungen zum Thema Sicherungsverwahrung bis Mai 2011.

 

Jeweils wurde die Menschen-Rechtswidrigkeit festgestellt; im zweiten Fall sehr prominent mit dem Urteil vom Bundesverfassungsgericht vom 4. Mai 2011, nachdem bereits ein Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Dezember 2009 existierte. Juristisch ist gegen Rechtsgrundsätze verstoßen worden wie dem Verbot der Doppelbestrafung. (Insgesamt war in Deutschland die Sicherungsverwahrung dem Strafvollzug zu ähnlich.) Als Weiteres wurde dem Grundsatz „nulla poene sine lege“ widersprochen, was insbesondere die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung und den Wegfall der 10 Jahres-Frist kritisierte, aber auch die Möglichkeit, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu verhängen.

lm ersten Beispiel geht es vom Standpunkt der Menschenwürde – eigentlich sofort einsichtig – um die Verletzung des Intimbereichs eines Menschen. lm zweiten geht es um die Würde des Menschen, der nicht zum Objekt eines Strafinteresses des Staates werden darf, auch – oder gerade wenn – sich die öffentliche Meinung im politischen Raum ändert. Und auch hier kommen wir wieder an diesen Punkt: Die innere Haltung öffentlich geäußert – in dem Fall prominent von einem Bundeskanzler – spricht Menschen letztlich alle Teilhabe an der Gesellschaft ab. (Das Wort Schröders vom Schlüsselumdrehen und Wegwerfen ist ja hinlänglich bekannt.) Sie werden nicht für würdig erachtet, jemals wieder das Menschenrecht „Freiheit“ für sich beanspruchen zu dürfen. Kirchlich wurde bereits im Mai 2003 darauf hingewiesen: Die Sicherungsverwahrung verletzt die Menschenwürde des Grundgesetzes und die Menschenrechte der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte. (s. Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland 2003) Allein schon der Begriff  Sicherungsverwahrung, als wenn man Menschen wie Sachen verwahren könnte, bleibt verräterisch und menschenunwürdig.

Kein Gottesgedanke

Nun sind diese Dinge weitgehend verändert und durchaus in Teilbereichen verbessert worden; was aber bleibt, ist die Unendlichkeit. Juristisch korrekter: die Unterbringung ohne zeitliches Ende. In der neueren Soziologie wird dies als „dying without death“ beschrieben – als Sterben ohne Tod. (s. Liebling 2017) Und dies wird zugelassen trotz verfassungsrechtlicher Kritik, die für ein Leben in Freiheit jenseits von Siechtum und Krankheit (s. Fideler 2003) eintrat, als bleibender Widerspruch gegen die Menschenwürde (s. Evangelische Konferenz für Gefängnisseelsorge in Deutschland 1992). Der Theologe in mir formuliert dazu noch einen Gedanken – ob Sie ihn mitlesen wollen, bleibt dem/r geneigten LeserIn überlassen: Die zunehmende Nichtachtung der Menschenwürde hat auch einen Zusammenhang mit der zunehmenden Nichtachtung eines Gottesgedankens. Letztlich setzen sich viele Menschen ohne einen Gott an dessen Stelle und sprechen ähnliche Sätze: „Um den ist es nicht schade!“ – gemeint ist natürlich ein Sexualstraftäter – so die wörtliche Äußerung einer Abteilungsleiterin im Vollzug anlässlich des Todes eines Sicherungsverwahrten. Sie steht mit dieser Haltung nicht alleine und erhebt sich quasi gottgleich auch noch angesichts des Todes eines Menschen. Damit wird inhaftierten Menschen final jede Würde genommen. Und so bleibt: Für die Menschenwürde hinter den Mauem einzutreten, wird bei fortschreitender Säkularisation und auch abnehmender Überzeugungskraft von Gedanken der Humanität eine permanente Aufgabe bleiben.

Adrian Tillmanns | JVA Werl
Aus: Zeitschrift der BAGS, Infodienst 3/2020

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1 Rückmeldung

  1. Datis sagt:

    Sehr gut geschrieben!

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