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Labyrinth des Strafvollzugs und des eigenen Lebens

5. Januar 2021

Das Labyrinth des Offenen Vollzuges im Begegnungsgarten der niedersächsischen Justizvollzugsanstalt Meppen.

„Die Alkoholsucht ist mein Minotaurus. Mein Minotaurus sind die Drogen. Für mich war es mein Vater. Und für mich war mein erster Kampfsportlehrer der Minotaurus, bis ich ihn besiegte. Das Gefängnis ist jetzt mein Minotaurus…“ Gesprächsaufhänger in einer JVA-Gesprächsgruppe ist ein Foto von einem aufgemalten Innenhof-Labyrinth aus der Strafanstalt Heilbronn. Überraschend schnell kommen die Antworten. Und überraschend persönlich sind sie. Die Inhaftierten können leicht in die alte griechische Sage vom Labyrinth in Knossos einsteigen.

Einige kennen noch Teile der Geschichte. Dass der König von Kreta alle neun Jahre junge Männer als Menschenopfer verlangte. Dass er diese in das Labyrinth am Königspalast schickte. Dass alle im Inneren vom Menschen fressenden Minotaurus erschlagen wurden. Dass nur einer ihn schließlich besiegte, der Königssohn Theseus. Und dass der mit Hilfe des berühmten Fadens der Ariadne auch wieder aus der Mitte des Labyrinths heraus kam. Auch die Ariadne wird schnell mit Personen der eigenen Lebensgeschichte identifiziert. Bei einem ist es die erste langjährige Freundin, bei einem anderen ein ehrenamtlicher Betreuer. Einige sagte, es fiele Männern nicht leicht, die Ratschläge und Hilfen, die Fäden, von anderen gereicht, anzunehmen.

Das Labyrinth im Innenhof der baden-württembergischen Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Foto: Hubertus Mayer.

Kein Irrgarten

Dass man selbst in der Geschichte der Theseus ist, der im Labyrinth des Strafvollzuges und im Labyrinth des eigenen Lebens umherirrt, auf kurzem Wege zum Ziel kommen will, lange Umwege machen muss, nicht weiß, wie es an der nächsten Biegung weiter geht, das steht für alle sicher fest. Bald fällt im Gespräch auf, dass das JVA Hof-Labyrinth kein wirklicher Irrgarten ist. Verlaufen kann man sich dort nicht. Man meint es nur manchmal. Viele Wendungen macht der Weg. Er führt auch in alle Himmelsrichtungen, oft von der Mitte weg, am Ende doch dorthin, wenn man ihn denn geht. Aber bleiben soll man da auch nicht.

Umkehren ist in der Mitte angesagt, Richtungswechsel. In der griechischen Sage ist der Rückweg wesentlich. Er führt zur Geliebten. Von erfahrenen Pilgern kann man Nachdenkenswertes erfahren. Den größten Gewinn hätten sie nicht auf dem Weg zum Ziel gehabt. Auf dem schweren Rückweg, wenn Füße und Körper matt sind, aber Herz und Geist voll sind vom Pilgerweg, das sei das entscheidende Erlebnis gewesen. Dann haben wir ja in der zweiten und dritten Lebensphase noch Spannendes vor uns. „Im Labyrinth verliert man sich nicht. Im Labyrinth findet man sich.“, hat einer gesagt. Das klingt arg optimistisch. Wie viele haben im Leben schon ihren Faden verloren!

Getauftes Labyrinth

Erstaunlich ist es nicht, dass das uralte Zeichen des Labyrinthes in vielen Kulturen anzutreffen ist. Erstaunlich ist es auch nicht, dass das Christentum diese Sage bald aufgegriffen hat. Auf den Böden alter gotischer Kathedralen bis hin zu modernen Klostergärten findet man Labyrinthe. Man hat das Labyrinth getauft, man hat ihm eine christliche Bedeutung gegeben. Nicht gesichert ist, dass das Loch in einem Bodenmosaiklabyrinth einer alten römischen Badeanlage in Algerien ein von Christen nachträglich angebrachtes Taufbecken gewesen sein könnte. Dann wäre die Taufe gewissermaßen der Kampf mit dem Minotaurus, die echte Lebenswende von Altem zu Neuem. Der Tauf- und Labyrinthgedanke spiegelt sich auch wieder auf einer Osterkerze an einem Bochumer Taufbecken und sicher auch andernorts. Im Zentrum des Labyrinthes sind die Wundmale Christi angebracht. Damit steht fest: Nicht nur wir sind der irrende Theseus. Nein, Christus selber ist es auch und in erster Linie. Der ewige göttliche Sohn ist in das Labyrinth des Menschenlebens hinein gestiegen. In den Weg der Wirrungen und Versuchungen. Er hat das Böse und die Sünde und den Tod im Inneren des Labyrinthes besiegt. Er nimmt uns Irrende an die Hand. Für uns ist er Theseus und Ariadne zugleich.

Alfons Zimmer | JVA Bochum

 

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