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Krippenkunst im Spiegel der Zeit: RELíGIO Museum

10. November 2024

Am 29. Juli 1934 wurde das heutige REGIO als Wallfahrts- und Heimatmuseum in Telgte nahe Münster eröffnet. Noch im ersten Jahr des Bestehens begründete Musemsleiter Dr. Paul Engelmeier die Tradition, zur Weihnachtszeit Krippen auszustellen. In der Einladung zum Besuch der damaligen Ausstellung heißt es…

„Das Heimatmuseum des Landkreises Münster in Telgte hat am Sonntag, den 2. Dezember eine beachtenswerte volkskundliche Ausstellung eröffnet: „Die Weihnachtskrippe in der Volkskunst“. Es ist uns gelungen, eine Anzahl Münsterländer Krippen aus dem 18. und 19. Jahrhundert zusammenzutragen, die für unsere heimatliche alte Krippenkunst beispielhaft sind; darunter befindet sich u.a. ein als ältestes Stück bezeichneter wertvoller Krippenschrein mit Wachsfiguren. Unter den 12 neuzeitlichen Krippen erregt die Schnitzarbeit eines 16jährigen Kötterssohnes großes Aufsehen, weil sie als ausgezeichnetes und typisches Beispiel neuzeitlicher westfälischer Volkskunst anzusprechen ist. Eine kleine Schau volkstümlicher Spekulatiusformen aus Holz, Stechformen aus Blech, Münsterländer Nikolausgebäck (…) vervollständigen die Ausstellung“.¹

Zeitgenössische Krippenkunst

Schon in der ersten Weihnachtsausstellung wurde ein wesentliches Fundament der heutigen Krippenschauen gelegt, nämlich die Präsentation zeitgenössischer Krippenkunst. Sie ist das vielleicht wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Telgter Ausstellung von vielen anderen Krippenausstellungen in Deutschland. Mehrere in den ersten Jahren gezeigten Krippen gelangten später in die Museumssammlung, so wie die oben genannte Krippe von Heinrich Budde, die heute in unserer Schausammlung zu sehen ist. Ein weiteres Stichwort aus dem Text ist „Volkskunst“. Wie wichtig dieses Thema dem damaligen Museumsleiter Dr. Paul Engelmeier war, zeigt die Museumsbibliothek, in der zahlreiche Werke zur „Volkskunst“ aus den 1930er Jahren zu finden sind.² Förderung von „Volkskunst“ war damals natürlich eingebunden in die nationalsozialistische „Volkstumsarbeit“.³ Die Präsentation von laienkünstlerischem Schaffen wurde im Telgter Museum nach dem Zweiten Weltkrieg ohne ideologische Verbrämung fortgeführt. Heute kann man die Möglichkeit, dass Jede und Jeder an der Krippenausstellung teilnehmen kann und keine Werke vorab durch eine Jury bewertet werden, als demokratisch bezeichnen.

Die erste (volkskundliche) Krippenschau wurde ergänzt durch Spekulatiusformen aus Holz, Ausstechformen für Plätzchen und weitere Objekte zum weihnachtlichen Backen. In den letzten 90 Jahren ist zusätzlich zu den etwa 1600 Weihnachtskrippen eine beachtliche Sammlung von Objekten zum Weihnachtsfest zusammengetragen worden, die von den besagten Spekulatiusformen über Adventskalender und Weihnachtsteller bis zu einer umfangreichen Grafiksammlung reicht. Anlässlich des 90jährigen Jubiläums werden in der aktuellen Krippenausstellung auch Einblicke in die Sammlungsgeschichte geboten: Im Neubau sind im Erdgeschoss historische Grafiken zum Weihnachtsfest zu sehen, im Altbau ist eine Wand mit historischen, internationalen und zeitgenössischen Krippen bestückt.

Heller Stern

Immer wieder hat sich die Wissenschaft mit der Frage befasst, ob es diesen Stern zur Zeit der Geburt Jesu tatsächlich gab. Die Frage lässt sich bis heute nicht eindeutig beantworten. Lange Zeit hielt man den Stern für einen Kometen. Eine andere Vorstellung ist, dass es eine Supernova gewesen sein könnte, ein kurzes Aufleuchten eines Sterns am Ende seines Lebens. Die wahrscheinlichste Theorie ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass der Stern eine Planetenkonjunktion war, also eine enge Begegnung mehrerer Planeten, die von der Erde aus gesehen wie ein außergewöhnlich heller Stern ausgesehen haben muss. Man könnte meinen, dass die astronomischen Erkenntnisse für die religiöse Deutung unwichtig sind, aber Himmelphänomene sind in der Kulturgeschichte immer wieder religiös und mythologisch gedeutet und mit besonderen Geschichtsereignissen verbunden worden. In der aktuellen Ausstellung hat sich Christian Nachtigäller mit diesem physikalischen Phänomen befasst. Er schuf das Werk „Wir folgen dem Stern“ – mit einem Sextanten, einem Messinstrument zur Positionsbestimmung mithilfe der Gestirne. Sobald man vor die Krippe tritt, erscheint die Heilige Familie vor einem Sternenhimmel. Erfreulicherweise konnten wir den Leiter des Planetariums Münster gewinnen, einen Vortrag zu diesem Thema zu halten.

Das wohl wichtigste Motiv in der Ausstellung ist der lichtbringende und wegweisende Stern. Vielleicht sind Sie auch schon selbst den Sternen gefolgt, die auf der Herrenstraße den Weg zum Museum weisen. Zahlreiche Werke bilden ihn nicht nur ab, sondern nutzen technische Unterstützung, um ihn hell leuchten zu lassen. Der Stern erstrahlt über der Heiligen Familie, dem Stall oder dem Kind in der Krippe. Je nachdem, wo sich die Heilige Familie befindet, kann er auch vor dem Brandenburger Tor oder einem Mietshaus in der Ukraine erstrahlen. In einigen Werken liegt das Kind auch auf dem Stern, wie bei Klara Unnewehr oder ist in der vergoldeten Mitte des Sterns zu finden wie in der Arbeit von Franz-Josef Hartmeyer. Hier ist das Kind selbst das Licht.

Dreikönige im Knast

Erwartungsgemäß spielen die Heiligen Drei Könige, die dem hellen Stern folgen, in dieser Ausstellung eine bedeutendere Rolle. Sie sind vielfach dargestellt: auf Gemälden, aus Holz geschnitzt, teilweise bekleidet, aus Papier gefaltet oder als Bilderserie von Kindern gemalt. In der Deutung wird der Weg der Könige beispielsweise mit dem menschlichen Lebensweg verglichen wie bei Mechthild Beyer. Ihre Arbeit heißt daher auch: „Heller Stern in dunkler Nacht. Unser Lebensweg ist wie der Weg der drei Weisen: Suchen, Vertrauen, Finden.“ Das Vertrauen bezieht sich auf das Licht über der Krippe, das den Weg weist. In der Regel sind die Heiligen Drei Könige auch erkennbar als Könige dargestellt. Eine Ausnahme bilden die Könige in der Krippe, die mit jugendlichen Gefangenen aus der Justizvollzugsanstalt Herford erarbeitet und von dem Holzbildhauer Rudi Bannwarth umgesetzt wurde. Die Heiligen Drei Könige sind in dieser sozialkritischen Krippe eine Rechtsanwältin oder eine Richterin in schwarzer Robe, ein Bediensteter der Haftanstalt und eine Freundin oder eine Sozialarbeiterin, die auf einem Kissen eine Krone bringt. Der Stern von Bethlehem schlägt wie ein Blitz in die Kulisse der Haftanstalt ein. Wir haben lange überlegt und diese beeindruckende und zum Nachdenken anregende Krippe dann zu unserem Plakatmotiv gemacht, obwohl sie keine eigentliche Geburtsdarstellung beinhaltet.

Weltpolitische Lage

In der diesjährigen Krippenkunst-Ausstellung sind drei Werke des Münsteraner Künstlers Erwin Löhr zu sehen, der zahlreiche Bibelillustrationen geschaffen hat. Darunter sind auch mehrere Werke zur Weihnachtsgeschichte. Ihm geht es besonders um das Verhältnis des Menschen zu seinem Schöpfer. Ein Gemälde befasst sich mit der überraschenden Begegnung der Heiligen Drei Könige mit dem gerade geborenen und noch nackten Christkind unter dem Titel „Breughels Könige hatten ein anderes Kind erwartet“. Das Jesuskind kommt auf einem Lichtstrahl zur Welt und wirkt ohne Maria und Josef einsam und verlassen. Im großen Triptychon „Lichtsuche“ zu Beginn der Ausstellung erzählt Löhr die Weihnachtsgeschichte mit der symbolischen Strahlkraft der Geburt Christi in Anlehnung an das Bibelzitat „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Wie in den letzten Jahren nehmen mehrere KünstlerInnen Bezug auf die aktuelle weltpolitische Lage, auf Kriege, Zerstörung und menschliches Leid. Die Krippe mit dem Kind als Hoffnungsbotschaft thematisieren beispielsweise Stefan Lutterbeck, Hans Rothfeld, Adelheid Eimer und Olya Kravchenko, um nur einige zu nennen. Das Werk der ukrainischen Künstlerin „Weihnachten im Luftschutzkeller“ zeigt die im Ikonenstil gemalte Geburt des Jesusknaben im Keller eines Mietshauses, zu dem die Heiligen Drei Könige kommen. Hinter den Fenstern sind die BewohnerInnen des Hauses schemenhaft zu erkennen. Vor dem Haus strahlt ein übergroßer Stern. Diese Krippe gelangte auf dem Rückweg eines Hilfstransportes vom „Deutsch Ukrainischen Verein Blau Gelbes Kreuz“ nach Deutschland und nach Telgte.

Zwei Räume der aktuellen Krippenkunst-Ausstellung beherbergen spirituell erfahrbare Kunstinstallationen. „Im Brennpunkt“ heißt die meditative Rauminstallation von tx02, einer Gruppe von Textilkünstler:innen, die sich mit den Brandherden auf dieser Welt befasst. Aus dem Institut für Inszenierung stammt das Werk „Ins Licht“. Durch einen hohlen, durchbrochenen Baumstamm, in sich bewegende Glasscheiben hängen, fällt Licht auf eine Kugel. Der Baumstamm symbolisiert das Fernrohr der Heiligen Drei Könige, die Kugel den Stern. Das Licht scheint zu atmen und ermöglicht so eine transzendente Dimension.

Lokaler Bezug

Schließlich haben verschiedene Werke der Ausstellung einen lokalen Bezug. Hierzu gehören die Papierkrippe des Kölner Architekten Matthias Weber und das auf altes Eichenholz gemalte Bild von Margret Unnewehr. In der Papierkrippe sind die beiden Museumsgebäude und die Telgter Gnadenkapelle zu sehen. Auf dem Balkon des Gebäudes von Kleihues steht ein Engel, ein weiterer Engel breitet ein Tuch aus, um die Heilige Familie mit dem Neugeborenen vor Blicken zu schützen. Von rechts kommen die Heiligen Drei Könige, die dem Stern am Kapellendach gefolgt sind. Diese Krippe wurde eigens für das Museum entworfen und der Ausschneidebogen kann im Museumsladen erworben werden. „Geschmiedet im Glauben“ heißt das Gemälde mit der Gnadenkapelle, über der sich ein Sternenhimmel erhebt. Menschen kommen zur Heiligen Familie, die aus geschmiedeten Nägeln des alten Kapellendaches geschaffen wurde.

90 Jahre Museum

Lassen Sie mich noch einmal auf den Beginn meines Vortrags zurückkommen, das 90-jährige Jubiläum. Das Motto der Ausstellung „Heller Stern“ könnte man auch auf das Museum selbst beziehen. 90 Jahre lang hat dieses Museum – von einer kurzen Schließzeit abgesehen – ins Münsterland und die westfälische Museumslandschaft hineingeleuchtet. Es hat sich mit der Zeit verändert, ist aber in seinen Fragestellungen und Themen immer aktuell geblieben. Hoffen wir, dass wir in 10 Jahren auch das 100jährige Bestehen feiern können! Am Anfang meines Vortrags habe ich zurückgeblickt, blicken wir noch einmal auf den heutigen Tag, den 9. November. Er ist nicht nur der Gedenktag an die Reichspogromnacht vor 86 Jahren, sondern auch der Tag, an dem 1989 die Berliner Mauer fiel. Daher möchte ich mit dem Zitat von Desmond Tutu abschließen, welches sich Stefan Lutterbeck für sein Krippen-Relief auswählte: „Die Hoffnung sieht, dass es trotz aller Dunkelheit ein Licht gibt.“ Diese Botschaft ist in den letzten Wochen mit jedem Tag wichtiger geworden. Im Mittelpunkt seiner Arbeit liegt der Jesusknabe als Hoffnungsträger über zerstörten Häusern in der Krippe. Möge dieses Bild uns in den nächsten Wochen begleiten!

Museumsleiterin Dr. Anja Schöne | Eröffnungsrede 9. November 2024


¹ Archiv des Museums Relígio, Depositum Nr. 467

² Beispielsweise Konrad Hahn: Deutsche Volkskunst, Breslau 1932; Hanns Egerland: Unsterbliche Volkskunst. Aus dem Schaffen deutscher Jugend, München 1936.

³ Siehe dazu: Hermann Bausinger: Volkskunde und Volkstumsarbeit im Nationalsozialismus, in: Helge Gerndt (Hg.): Volkskunde und Nationalsozialismus, München 1987, S. 136.

 

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