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Knast-Krippe im Kunstmuseum Relígio in Telgte zu sehen

9. November 2024

Im kleinen Wallfahrtsort Telgte nahe der nordrhein-westfälischen Stadt Münster stehen Straßenaufsteller mit dem Hinweis auf die aktuelle Krippenkunst im dortigen Museum Relígio. Zu sehen ist ein Haftraum mit einem jugendlichen Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Herford mit zwei Besuchern: der Großvater und die etwa 45-jährige Mutter. Ein ungewöhnliches Motiv für die Krippenausstellung mit der Aufschrift “Heller Stern…”.

 

Man muss zwei Mal hinschauen, um zu verstehen, dass es um Krippenkunst geht. Realitätsnah sind die Krippenfiguren der Weihnachtsgeschichte auf die Knastrealität umgeschrieben worden. Jugendliche Inhaftierte im Alter von 14 bis 24 Jahren haben mit dem Holzbildhauer Rudi Bannwarth aus Ettlingenweier und den Gefängnisseelsorgern der JVA Herford daran gearbeitet. “Lange war nicht klar, wer das Jesuskind sein soll”, sagt ein Gefangener. Sie haben sich selbst gewählt: Jesus als Häftling, der im Jugendvollzug immer wieder neu geboren werden will. Mit dem Künstler sind Skizzen angefertigt und Ideen für die anderen Figuren entwickelt worden.

Vor kurzem ohne Ochs und Esel

Seit 2021 sind jedes Jahr neue Figuren dazu gekommen. Bis vor kurzem haben Ochs und Esel gefehlt. “Doch diese haben wir dank einer Spende des Bonifatiuswerks Paderborn noch zur Ausstellung in Telgte bekommen”, sagt Stefan Thünemann, einer der Gefängnisseelsorger im Jugendvollzug. Das Paragrafenzeichen an der Mauer verrät, wer mit den beiden Tieren in Verbindung gebracht werden könnte. Ein Bediensteter in Justizuniform ist einer der drei Könige. “Es gibt Beamte, die gehen gut auf uns Gefangenen ein und zeigen sich menschlich”, sagt ein 18-jähriger gebürtiger Syrer. Eine Jugendstrafe bedeutet nicht wegschließen, sondern Hilfen anzubieten, die der Resozialisierung dienen. So können die Inhaftierten eine Ausbildung beginnen oder in der Arbeitstherapie arbeiten.

Göttliches im Knast erfahren

“Dass es kein guter Ort im Knast ist, ist verständlich”, sagt Michael King, der andere Gefängnisseelsorger. “Es sind Menschen mit ihren Geschichten, die hier leben müssen und diejenigen, die hinter den Mauern arbeiten”, führt er aus. “Oft entsteht eine eigene Welt im Jugendvollzug, wie die Hirten, die als kartenspielende Jungs auf dem Freistundenhof dargestellt sind”, erzählt King. Die Weihnachtsgeschichte ereignet sich auch hier in dieser oft dunklen Welt. “Eine Umkehr oder das Zeigen von Reue für begangene Straftaten braucht Zeit. Wir als Gefängnisseelsorger sehen den Menschen”, führt King aus. Ein heller Stern im Knast? “Sicher, da gibt es manches Mal ungeahnte Einsichten und Neugeburten”, bestätigt der langjährige Gefängnisseelsorger. “Kam Gott herunter vom Himmel? Herunter… setzt voraus, dass er/sie/es Oben ist? Gott wird geboren im Menschen und Göttliches wird erfahrbar im dunklen Ort des Knastes”, meint er.

Krone als Symbol der Würde

Ein Besucher schleicht um die zwei Mal zwei Meter große Krippe, die den Haftraum und den Schleuseneingang der JVA Herford zeigt. “Was bedeutet denn diese Schnur von Fenster zu Fenster”, fragt der Mann, der jede einzelne Figur inspiziert. Es ist ein Pendel, mit dem die Inhaftierten Tabak oder anderes am Haftraumfenster teilen. Noch so manche Geschichte aus dem Knast erzählt diese Krippe. Der Großvater als Besucher: Einer der als “fehlender Vaterersatz” gilt. Die Rechtsanwältin als Dreikönigin mit einem Aktenordner und die Freundin oder als eine Sozialarbeiterin mit einer Krone auf einem Kissen. “Die Würde kann niemanden genommen werden. Dafür steht diese Krone”, sagt der Holzbildhauer Rudi Bannwarth. “Die Mutter ist ein hochsensibles Thema im Jugendvollzug”, wie Stefan Thünemann erklärt. “Diese darf nicht beleidigt werden in hochexplosiven Situationen der Auseinandersetzung zwischen den Gefangenen”, berichtet er. Der Verkündigungsengel? Ein cooler Typ, wie es sie haufenweise im Gefängnis gibt. Er ist in Malerkleidung dargestellt. Engel gibt es ebenso, die sich einsetzen für die anderen im Gefängnis und die keine Hintergedanken haben, wie man schnell zu Tabak kommen kann.

Michael King

 

Hintergrund

Sie ist ein echter Klassiker die Krippenkunst im RelÍgo Museum Telgte. Zum 84. Mal gibt es von 9. November 2024 bis 26. Januar 2025 viele unterschiedliche Krippen zu sehen. Weihnachtskrippen von mehr als 100 Künstlern sind es. Die Ausstellung des westfälischen Museums für religiöse Kultur „Relígio“ ist die größte Schau zur zeitgenössischen Krippenkultur in Deutschland. Dieses Jahr steht sie unter dem Motto „Heller Stern…“ Der Stern von Bethlehem erinnere in von „Dunkelheit und Unsicherheit“ geprägten Zeiten daran, dass „es immer einen Weg gibt, der uns zum Frieden führt, wenn wir Gottvertrauen haben“, so Anna Arizzi Rusche, Vorsitzende des Relígio-Verwaltungsrates.

Die Ausstellung zeigt neben Krippen aus der Region auch Kunstwerke aus verschiedenen Teilen Deutschlands und der Welt, die sich kritisch mit der aktuellen Weltlage auseinandersetzen. Unter anderem sind die sozialkritische „Knast-Krippe“ des baden-württembergischen Holzbildhauers Rudi Bannwarth und eine „Luftschutzbunkerkrippe“ der ukrainischen Künstlerin Olya Kravchenko zu sehen. Die Ausstellung läuft bis zum 26. Januar 2025. Das Museum Relígio ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet, am 25. Dezember und an Neujahr von 14 bis 18 Uhr und am 26. und 30. Dezember von 11 bis 18 Uhr. An Heiligabend und Silvester bleibt das Museum geschlossen. Regelmäßige Führungen, spirituelle Impulse, Vorträge und eine Lesung ergänzen das Programm.

 

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