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Keine Wunderheilung oder Zauberei: Menschliches

7. September 2024

„Eine alte Frage lautet: Wenn in einem Wald ein Baum umfällt und niemand da ist, der es hört, gibt es dann ein Geräusch?“, schreibt der deutsch-schweizerische Schriftsteller Benedict Wells in seinem Buch „Die Geschichten in uns“, und fährt fort: „Genauso könnte es heißen: Wenn ich keine Worte für meine tieferen Gefühle habe, empfinde ich sie überhaupt?“. Wells beschreibt die Erfahrung seiner Jugend, als ihm „jahrelang die Worte fehlten“ für das, was in ihm vorging.

Nie schien es Raum und Zeit zu geben, das anzusprechen, was im Moment tief anrührt. Die innere Stimme der Sehnsucht verstummt und droht im Weiter-so von Anpassung in Familie, Schule und Gesellschaft verloren zu gehen. Benedict Wells wurde Schriftsteller und begann, seine Geschichten in Romanen zu erzählen. Es ist wichtig, der inneren Sehnsucht Worte zu geben. So kann sie vorkommen und wird wahr.

Dann braucht es nicht mehr die Ausrede „Ach, geht schon, da ist nichts“, wenn Trauer sich meldet oder eine Träne rollt. Dann ist wahr, was gefühlt ist. In der Würdigung und dem miteinander Sprechen können wir beginnen zu gestalten, was es gerade braucht. Doch das geschieht nicht so leicht. In einer Atmosphäre der Polarisierung mit schnellen Zuordnungen in Freund und Feind ist das Abgrenzen wichtiger als das Verstehen. Auch die rasante Schnelligkeit des Nachrichtenaustausches vor allem über die sozialen Medien mit der Tendenz, mehr emotionale Aufregung zu schaffen als echte Aufklärung, verhindert eher ein Innehalten und wahrhaftiges Erkennen. Dies aber braucht es zum Worte-finden für das, was gerade eigentlich geschieht.

Schutzraum jenseits des Geredes

Eindrucksvoll erzählt das Evangelium wie dies gelingen kann. Da wird ein Mensch zu Jesus gebracht, der taub ist und stammelt. Wie leidvoll ist das? Nicht kommunizieren können heißt nicht vorkommen. Nur ein Stammeln ist da, dieser Mensch wird nicht verstanden. Gut, dass da andere sind, die das wahrnehmen und ihn zu Jesus bringen. Der nimmt ihn erstmal beiseite, weg von der Menge. Es braucht diesen Schutzraum jenseits des Geredes, der Wertschätzung schafft und Ermutigung. Dann diese Berührungen mit dem Finger an den Ohren und dem Speichel an der Zunge. Die merkwürdige Geste Jesu erinnert mich immer an eine Mutter, die mit ein wenig Spucke liebevoll die Wunde ihres Kindes benetzt. „Éffata“ sagt Jesus zu dem Menschen, „öffne dich“. Da ist weder Zauberei am Werk noch Wunderheilung, vielmehr geschieht ganz Menschliches: im einander beschützend nah sein und voller Mitgefühl behutsam berührend kann Heilung geschehen.

Menschen an der Seite

Und so berichtet das Evangelium: „Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden“. Das erste Mal oder erneut sprechen können von dem, was wirklich in mir ist, braucht manchmal einen langen Weg. Sowohl die eigenen Vorstellungen und Ansprüche von dem, wie ich sein sollte, als auch die der Umwelt können ein neues Zulassen womöglich ganz anderer innerer Wirklichkeiten blockieren. Dann ist es gut, Menschen an der Seite zu haben, die wahrnehmen, zuhören und ermutigen können. Dazu ist es hilfreich, sich lösen zu können von Menschen, die nicht guttun, wo Beschämung oder Verletzung erfahren werden. Die erste und wichtigste Ermutigung allerdings geschieht in uns selbst, wissend, dass schon alles da ist, was es braucht sich zu öffnen, um ganz und heil da zu sein. Mögen unsere Begegnungen leben in der Kraft des „Éffata“!

Christoph Kunz |  Markus 7, 31 – 37

 

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