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Kein Weiter so! Ein radikaler Neuanfang tut not

28. Januar 2022

Im März wird der Kölner Erzbischof, Rainer Maria Kardinal Woelki, nach viereinhalbmonatiger Auszeit voraussichtlich sein Amt als Erzbischof wieder aufnehmen. Ob und wie Woelki die Auszeit genutzt hat, um sein Verhalten in der Missbrauchsaffäre und sein Festhalten an der Macht zu überdenken, vermag ich nicht abzusehen. Ob Woelki seinen Anteil an dem Vertuschen des vielfachen sexuellen und spirituellen Missbrauchs und seinen mangelnden Respekt für die Opfer der sexuellen Gewalt erkannt hat, bereut und bekennen wird, wage ich zu bezweifeln. Ich frage mich, ob Kardinal Woelki an einer schonungslosen Aufklärung dieses unsäglichen Skandals wirklich interessiert ist.

Alle Studien und Gutachten in Sachen sexueller Missbrauch machen deutlich, dass die viel zu vielen sexuellen Übergriffe auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nicht nur das Fehlverhalten einzelner Amtsträger und kirchlicher Angestellter sind. Die Ursachen des sexuellen Missbrauchs liegen vor allem in den Machtstrukturen und der Intransparenz der kirchlichen Hierarchie. Überall in der Weltkirche haben überwiegend zum Zölibat verpflichtete, geweihte Männer, aber auch andere kirchliche Angestellte, über Jahrzehnte immer wieder junge Menschen sexuell missbraucht. Die Opfer haben jahrelang, jahrzehntelang geschwiegen, aus Scham oder weil ihnen niemand glaubte. Viele Opfer sind bis heute traumatisiert.

Erst seit dem Jahr 2010 trauen sich die Opfer an die Öffentlichkeit. Ihre Forderungen nach Entschuldigung, Entschädigung und Übernahme der Therapiekosten verhallen nur wenig erhört. Wenn ein kirchlicher Würdenträger seine Verantwortung für den strukturellen Missbrauch anerkennt und um Entpflichtung von seinem Amt bittet, wenn überhaupt, verweigert Rom die Annahme des Rücktritts. Um Schaden für den Ruf der Kirche zu vermeiden, werden als die Rechte der Opfer hintangestellt. Erzbischof Woelki hat bisher seinen Anteil an der Verantwortung für den Skandal des sexuellen Missbrauchs durch seine Priester für den skandalösen Umgang mit den Gutachten nicht zugegeben. Vor allem: Er und viele seiner bischöflichen Kollegen wollen die im hierarchischen Machtsystem liegenden strukturellen Ursachen des Skandals nicht wahrhaben. Die meisten Bischöfe wollen auf ihre Macht nicht verzichten, sie wollen sie nicht mit den Gläubigen teilen.

Kardinal Woelki sollte am 2. März seine Amtsgeschäfte nicht wieder aufnehmen. Wenn er sie doch wieder aufnehmen sollte, darf er nicht so weiter machen, wie er im Oktober aufgehört hat. Er muss die Gläubigen seines Erzbistums, seine pastoralen Mitarbeiter, die gewählten Gremien und die Verbände, auch die Berufsverbände, zu einem Neuanfang einladen. Zu diesem Neuanfang gehört die Erklärung, dass er auf seine Macht verzichtet und dass er gemeinsam mit allen Beteiligten auf Augenhöhe kommuniziert. Die Ziele der gemeinsamen Beratungen dürfen nicht vorgegeben werden, sie müssen sich vielmehr im Prozess entwickeln. Parallel zur Diözesanebene müssen auch in den Regionen und auf Pfarreiebene Möglichkeiten der Partizipation geschaffen werden. Auch die Stadt- bzw. Kreisdechanten und die leitenden Pfarrer müssen auf jede Machtausübung und auf jede Zielvorgabe verzichten.

Das wäre ein völlig neuer Beginn des pastoralen Zukunftsweges, eines offenen, kommunikativen und transparenten Prozesses, der sich am besten einen neuen Namen gibt. Der Weg ist das Ziel. Alle Beteiligten beten um den Heiligen Geist. Alle Beteiligten vertrauen auf dessen Wirken, ohne Vorbedingungen, ohne Angst, aber voller Hoffnung. Ein „Weiter so!“ darf es nicht mehr geben. Viele Amtsträger unserer Kirche haben jedes Vertrauen verspielt, sie haben ihre Macht missbraucht, alles zu ihrer Machterhaltung getan, die Opfer des Missbrauchs im Stich gelassen und die an alle Gläubigen verschenkten Gnadengaben missachtet. „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts. Erfahrungen eines Bischofs“ heißt das bekannte Buch des früheren Bischofs von Evreux, Jacques Gaillot.

Eine dienende Kirche bedarf keiner auf Macht und Prunk gründenden Hierarchie. Eine dienende Kirche bedarf keines Pflichtzölibates, keiner Verteufelung der menschlichen Sexualität und nicht des Ausschlusses von Frauen von den Ämtern, Eine dienende Kirche verzichtet auf staatliche Privilegien. Eine dienende Kirche dient ihren Mitgliedern und allen Menschen guten Willens und akzeptiert ihre sexuelle Orientierung. Eine dienende Kirche segnet alle Menschen, die um den Segen Gottes bitten. Eine dienende Kirche dient vor allem der Verkündigung des Evangeliums. Ich bin bereit, im Vertrauen auf den Geist Gottes mein Bestes zu geben, um gemeinsam mit den Vielen in unserer Kirche an einem Neuanfang mitzuwirken, welcher den Namen auch verdient.

Robert Eiteneuer, Pastoralreferent im Ruhestand

 

2 Rückmeldungen

  1. Heiner Wilmer sagt:

    Wir Bischöfe sitzen für mein Empfinden immer noch zu sehr auf einem hohen Roß. Wir müssen davon herunterkommen: nicht mehr von oben herab, von oben nach unten, sondern auf Augenhöhe mit den Menschen. Und selbst das ist mir noch zu wenig. „Face to Face“ reicht nicht. Es braucht ein „Side by Side“. … Ich denke bisweilen: wer bestimmt eigentlich, was katholisch ist? Wir tun immer noch so, als wäre das die Hierarchie; als hätten wir Bischöfe das Recht auf das Label katholisch. Falsch! Wir sind nicht die katholische Stiftung Warentest. Wir müssen Empfänger sein, Hörende, Lernende im Gespräch mit den Katholikinnen und Katholiken, aber auch mit Christen anderer Konfessionen und den Nichtglaubenden.

    Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer aus einem Interview im Dezember 2018 im Kölner Stadt-Anzeiger

  2. 📚 sagt:

    Ich träume von keiner neuen Kirche (mehr). Vor fast 30 Jahren träumte ich daran teilzuhaben, die Kirche mit einem basisgemeindlichen Ansatz mit anderen MitstreiterInnen reformieren zu können. Als kirchlich pastoraler Laie habe ich dies mit Inbrunst gemacht. Nach all den Jahren will ich die Katholische Kirche nicht mehr verändern und auch nicht von ihr träumen. Das ist zu träumerisch geworden. Ich träume von keiner Kirche mehr.

    Ich träume von Menschen in kleinen Gemeinschaften inmitten der Gesellschaft. Unter Bekenntnisfreien und Menschen guten Willens. Mit Menschen anderer Religionen und Weltanschauungen. Eine Kirche, die keine ist, ohne Prachtbauten und Machtgehabe, ohne übergestülpten Ritualen und festgefahrenen Formen, die klerikal und hierarchisch daherkommt. Ich träume von keiner Kirche mehr.

    Träume können sich erfüllen. Es sind Wünsche und Visionen, die anspornen und Kraft geben. Es gibt keine Kraft mehr und keinen Ort, an dem ich einen Aufbruch und den Geist Gottes in „Kirche“ spüren könnte. Daher träume ich von keiner Kirche mehr. Ich realisiere Kirche an dem Ort, an dem ich jetzt hingestellt bin: Hinter Mauern und Stacheldraht. Mit Nichtgläubigen und jugendlichen Straftätern auf der Suche. Der Traum von Kirche ist im Kleinen erfüllt, jeden Tag neu. Alles andere soll in der Vielfalt leben können wie es war und ist. Es lohnt sich nicht für Veränderungen zu kämpfen. Daher träume ich von keiner Kirche mehr.

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