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Kainszeichen: Kettenreaktion von Tat und Rache unterbrechen

16. Januar 2024

Das Kainszeichen: Was genau war das eigentlich für ein Zeichen? Das steht nämlich nicht da. Aber es muss etwas sehr Deutliches gewesen sein. So dass jeder versteht: Dieser Mann wird nicht angefasst. Egal, was er gemacht hat. Egal, wie gerechtfertigt es wäre, ihn umzubringen. Wie menschlich nachvollziehbar, ihn wenigstens hart zu bestrafen. Wegzusperren, denn er ist gefährlich.

Kain-Statue vor Tuileries Garten in Paris. 

Nein, es gab also dieses Zeichen: ‚Er ist ein Mörder, aber er wird nicht angefasst. Wehe dem, der sich an ihm vergreift.‘ Kain, der Brudermörder. Gott straft ihn: „Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.“ Und Kain fürchtet: „So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet.“ Da macht Gott ein Zeichen an Kain, das ihn schützt. War es ein Zeichen auf der Stirn? Oder ein Tattoo auf seiner Hand? War es wie ein Schmuckstück um seinen Hals? Oder eine Fußfessel? Eher eine Auszeichnung oder Brandmarkung? Es muss etwas gewesen sein, das alle sofort identifizieren konnten. Das so mächtig war, dass es niemand belächelt oder übergeht, abtut wie „Ach naja – das kann man auch anders sehen“. Nein, es hat niemand anders gesehen. Nicht bei ihm, nicht später bei seiner Familie, seinen Kindern und Enkeln.

Gott schützt den Täter

Kain war geschützt. Kain und alle, die mit ihm waren. Irre, oder? Der erste Mord der Bibel. Kain und Abel. Und Gott schützt den Täter. Muss nicht jeder Mord geahndet werden? Und gesühnt? Wäre das nicht nur fair, sondern auch verdammt nochmal wichtig? Gott schützt den Täter. Er lässt ihn leben. Ungeheuerlich! Merkwürdig! Wundersam! Diese erste Gewalttat war ein klassischer Mord aus niederen Beweggründen. Aus Neid nämlich. Kain – der Ackermann, sein jüngerer Bruder Abel – der Schäfer. Beide brachten, wie es üblich war, einen Teil ihres Ertrages als Opfer für Gott. Zitat: „Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.“ (1. Mose 4,5) Kain wird grimmig. Gott sagt noch: Vorsicht! Wenn du deinen Blick nicht frei heben kannst, lauert die Sünde vor der Tür. Kain tut, als ob er das nicht hört. Bei der nächsten Gelegenheit, sie sind beide draußen auf dem Feld, da erschlägt Kain seinen Bruder Abel. Als Gott Kain fragt, wo Abel ist, zuckt der nur mit den Schultern. „Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Gott straft, hält aber Hand dazwischen

Gott sagt: „Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde.“ Daraufhin verflucht Gott den Kain. Er soll es schwer haben, wenn er den Acker bebaut. Er soll nicht zur Ruhe kommen, wohin immer er flüchtet. Gott wird ihn sehen. Kain fürchtet sich, weil er weiß: Jeder kann ihn totschlagen. „Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gen Osten.“ (1. Mose 4,16) Hammer, oder? Gott schützt den Mörder. Gott straft. Aber er hält die Hand dazwischen, dass Menschen Rache üben. Die Tat bleibt stehen. Der Mörder aber auch.

Den mit Schuld leben lassen

Es geht also, die Kettenreaktion von Tat und Rache zu unterbrechen. Den mit Schuld leben zu lassen. Manche sagen, dieses Kainsmal sei auch andersherum zu verstehen: Kain werde zum Zeichen. Kains Geschichte zeigt, dass ein Leben jenseits von Gewalt und Rache möglich ist. Kain ist ein Zeichen für eine Gesellschaft, die die Schuld anerkennt und Wege sucht, wie ein gemeinsames Leben trotzdem gelingen kann. Im heiligen Land, wie überall. Kain wird später eine große Familie haben. So groß, dass er eine ganze Stadt für sie bauen wird. Die Familie des Mörders – lebendiger Teil der Gesellschaft. Und alle halten sich daran. Sie sehen das Zeichen und werden einander nichts Böses tun. Keine Garantie für ein leichtes Leben. Aber Gott schützt es geheimnisvoll – dieses Leben jenseits von Eden.

Ulrike Greim | Morgenandacht Deutschlandfunk, 16. Januar 2024 

 

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