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Jemand, der mich nicht als Schläger und Drogendealer sieht

5. August 2024

Für die Trauerfeier des verstorbenen ehrenamtlichen Trainers des Projektes American Football im Jugendvollzug der JVA Herford, schreibt ein ehemaliger Gefangener einen Brief. Enge Freunde und Weggefährten nennen ihn Addy. Er ist heute 32 Jahre alt, seit zehn Jahren verheiratet, dreifacher Vater von drei Jungs, Bauleiter bei einem Bauunternehmen und seit November letzten Jahres auch Jäger. Aber er ist auch ein ehemaliger Intensivstraftäter, Räuber, Schläger, Drogendealer und Ex-Häftling. Von Dezember 2009 bis August 2012 war er inhaftiert. Bis er auf 2/3 entlassen wurde.

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Während dieser Zeit war ich im Knast-Football-Team der Black Devils Herford, wo ich irgendwann auch Team Captain wurde. Und genau hier begann mein Wendepunkt in meinem Leben und ich lernte den Menschen kennen, für dessen Andenken bei der Trauerfeier in der Anstaltskirche in tiefster Trauer zusammensitzen: den ehrenamtlichen Coach Sven.

Lange für Football beworben

Ich erfuhr kurz nach meiner Inhaftierung, dass es im Jugendvollzug ein Football-Team gibt. Football im Knast? „Geil Alter!“ dachte ich mir. Ich hatte vorher mal zwei Jahre in einem Verein in Paderborn gespielt. Bis ich es besser fand Leute zu überfallen und Drogen zu verkaufen. Ich bewarb mich ungefähr zehn Mal bei dem Football-Bediensteten, bis er mich endlich ins Team ließ. Herr B. war damals der HC der Devils und Beamter mit Football-Erfahrung. Irgendwas hielt Coach B. davon ab, mich ins Team zu holen. War es mein Auftreten (asozial und proletenhaft?) oder doch die Tatsache, dass mein Mittäter und damaliger bester Freund ebenfalls zu Gast in Herford war und Mitglied der Devils war. Ich weiß es bis heute nicht. Irgendwann bekam ich dann doch die Zulassungs-Karte für American Football und ich musste Spieler anrempeln, ohne dafür einen “Gelben” als Disziplinarmaßnahme zu bekommen. In meiner Zeit bei den Paderborner Dolphins war ich in der Offensive und dachte, dass der Trainer mich dort auch hinstellt. Aber er wollte mich anders einsetzen.

Erste Begegnung mit Sven

Mein erstes Training bei den Devils war wie immer an einem Freitag um 14 Uhr. Ich wurde eingekleidet und wir gingen auf den Platz. Die meisten kannte ich schon von der Arbeit und so alberten wir ein wenig, bashten uns gegenseitig. Ein Mitgefangener fragte mich, wo mich der Bediensteten-Coach, Herr B., hinschickt, und ich antwortete in die Defensive. „AHA“, sagte er, „dann zeigen wir Dir gleich mal wo es langgeht!“ Der Mitinhaftierte war ein verurteilter Mörder und von Tag eins im Team dabei. Jeder hatte Angst (oder in Knastslang „Respekt“ vor ihm. Angst hat angeblich niemand). Auf jeden Fall kam nach der 6-7 Runde ein Kerl in einer roten Trainingsjacke, Brille und weißen Stutzen Richtung Feld, begleitet von einem Beamten, der die Türen aufschloss. Ich fragte: „Wer ist denn der komische Kerl?“ „Das ist unser Defensive Coach Sven. Ein echt geiler Typ“, antwortete einer der Gefangenen.

Als wir fertig waren mit dem Warmup ging ich zum Coach und stellte mich vor. Es war ein komisches Gefühl. Sven hatte ein Lächeln im Gesicht, gab mir die Hand und sagte: “Moin, ich bin Sven…” Sein Lächeln war warm und echt. Nach ca. einem Jahr in der JVA war es das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, in diesem Moment nicht als Schläger, Drogendealer oder Ganove gesehen zu werden. Einfach nur als junger Mann, der in Pad und Helm vor Ihm stand und Bock auf Football hatte. Dass Coach Sven einer von den drei Menschen sein wird, neben meiner heutigen Frau, die mein komplettes Leben aus der Bahn werfen werden, ahnten ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Hätte uns jemand erzählt, dass wir nach der Haft noch befreundet sind und ihn zu meiner Hochzeit einladen werde, hätten sie uns wahrscheinlich den Vogel gezeigt.

Training für das Spiel

Auf ging es ins Training. “Mashine Gun Drill” stand auf dem Plan, und ich machte, glaube ich, eine relativ gute Figur. Das Training war super und ich war erledigt. Ich freute mich schon auf den nächsten Freitag und den darauffolgenden. Ich wurde immer hungrigerer nach Football. Suchtberater hätten es vermutlich als hochgradige Sucht eingestuft. Ich lebte nur noch von Freitag zu Freitag. Jeden Tag trainierte ich in meiner Zelle stundenlang allein. Swim, Rip und alles andere was man trainieren konnte mit den Möglichkeiten, die ich hatte. Natürlich blieb das nicht unerkannt. Wenn jemand andauernd trainiert, wird man besser. Ich erzählte dem Football-Bediensteten und dem ehrenamtlichen Trainer Sven, was ich jeden Abend 2-3 Stunden in meiner Zelle mache. Sven gefiel das und ich bekam jede Woche Anerkennung für meine Leistung. Und so wurde ich irgendwann Captain. Sven brachte uns jede Woche aufs Neue bei, was es heißt Football-Spieler zu sein und lebte die Werte, die er uns vermittelte: Loyalität, Ehrlichkeit und Respekt. Das Wichtigste ist, so sagte er: “Wenn Du in die Fresse bekommen hast, dann stehe verdammt nochmal auf und zeig dem Kerl Deinen Respekt. Stell dich wieder dorthin ins Spiel und versuch es noch einmal.” So wurde Football mein Leben.

Dankbar

Ich sog jedes Wort, was die Coachs über Football verloren, wie ein Schwamm auf. Ich habe Englisch gelernt und mir Bücher aus den Staaten bestellt. Ich tätowierte mir das Devils Logo auf die Schultern. Jetzt habe ich ein Lächeln im Gesicht und Tränen in den Augen, wenn ich daran denke, dass einer der besten Menschen, die es auf dieser Welt gab, die mich zu dem gemacht haben was ich bin, und ohne dessen Respekt und vermittelten Werte ich niemals das hätte, was ich heute habe, auf Ewigkeiten nicht mehr da sein wird. Der Coach Sven hat mein Leben verändert und wird immer in meinem Herzen sein. Ich bin dankbar dafür. Es tut mir so unfassbar leid für seine Familie, Freunde und für die Inhaftierten, dass sie nicht mehr das erfahren können was ich erfahren habe. Ich verabschiede mich von Sven mit einem Lautstarken GO DEVILS und GO STEALERS. R.I.P. – bester Mensch der Welt!

Dein Addy

 

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