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In Krisen kreativ: Was hast Du gemacht in Deinem Leben?

20. September 2022

Tragisch die Vorstellung, am Ende des Lebens sagen zu müssen: ich habe nichts zu Wege gebracht, war stets Opfer all der ungerechten Bedingungen. Die andern sind nur auf mir rumgetrampelt. So ähnlich hört man dies immer wieder von Inhaftierten im Knast. Aber auch draußen gibt es solche Stimmen. So erzählt es auch Carl Zuckmayer von seinem berühmten Hauptmann zu Köpenick. 

Der Hauptmann von Köpenick. Das ist deutsches Märchen in drei Akten ist ein Drama von Carl Zuckmayer aus dem Jahr 1931. Das Stück bezieht sich auf die Köpenickiade des Friedrich Wilhelm Voigt. Dieser hatte sich im Jahr 1906 als Offizier verkleidet und mit einem Trupp Soldaten die Stadtkasse von Cöpenick bei Berlin geraubt: „Und denn stehste vor Gott dem Vater und der fragt dir ins Jesichte: Willem Voigt, wat haste jemacht mit deim Leben? Und da muss ick sagen, Fußmatte, muss ick sagen. Die hab ick jeflochten im Jefängnis und denn sind se alle druff rumjetrampelt. Muss ick sagen. Und zum Schluss haste jeröchelt und jewürcht um det bisschen Luft, und denn wars aus. Det sagste vor Gott. Mensch. Aber der sagt zu dir: Jeh wech! sagt er. Ausweisung, sagt er! Dafür hab ick dir det Leben nich jeschenkt, sagt er. Det biste mir schuldig! Wo is et? Wat haste mit jemacht?“

Menschen im Kapitalismus der Nachwende

Vor einigen Jahren lebte ich in Halle an der Saale nahe der Silberhöhe, jenem Stadtteil, in dem damals nahezu nur noch die übrig geblieben waren, die von Hartz IV lebten. Arbeitslose Menschen, die im Kapitalismus der Nachwende nicht mehr zu gebrauchen waren. Viele von ihnen sahen sich als Opfer dieses neuen Systems, in dem sie zu reinen Bittstellern degradiert waren. Damals wurde ich Mitglied in der Bürgerinitiative der Silberhöhe und lernte Jasmin und Robert kennen. Sie heißen nicht so, ich ändere ihre Namen, um sie zu schützen. Jasmin verstand nicht, was die neue Zeit ihr bringen sollte, sie verstand überhaupt vieles nicht – sie machte einfach, was sie konnte: Essen kochen, für die Kinder sorgen, schimpfen über alles Mögliche und sehr treu sein. Und Robert war in der DDR-Zeit Lehrer für Marxismus-Leninismus, ihn brauchte schon gleich keiner mehr. Er glaubte unverbesserlich an die Ideale des Sozialismus, spielte gern Schach und kümmerte sich unermüdlich um jeden, der bei ihm Hilfe suchte. Robert trank ziemlich viel, stritt gern grundsätzlich um die Rechte der Bürger und war in allem sehr zuverlässig.

Nicht Fußmatte, sondern aktiv werden

Wenn ich es zu sagen hätte, ich würde Jasmin und Robert heiligsprechen! Aber, keine Sorge, ich habe es natürlich nicht zu sagen – womöglich würden sie so einen Zirkus um ihre Person auch nicht wollen. Doch beide, und dazu noch einige andere, Karin, Thomas, Susanne, Jürgen, Sabine und noch mehr, sahen sich nicht mehr als „Fußmatte“ der Gesellschaft, sie wurden aktiv und gründeten den Silberhöher Mittagstisch, an dem es jeden Tag ein warmes Essen für einen Euro gab. In der Küche wurde lecker gekocht, auch wenn womöglich nicht immer die gründlich deutsche Hygieneverordnung vollständig eingehalten war, es wurden Witze gemacht, die ich hier besser nicht wiederhole, manchmal wurde gestritten, manchmal betrogen und immer wieder miteinander geredet. Im Gastraum saßen all die Nachbarn aus den Plattenbauten, erzählten und schlürften die Suppe. Menschen, die in der Not was miteinander und füreinander tun.

In Krise kreativ handeln

Im Evangelium lobt Jesus die Klugheit eines Verwalters, der sich allerdings besonders durch sein unmoralisches Verhalten hervortut. Ein Gleichnis, das schon zur Entstehungszeit des Neuen Testamentes vorsichtshalber entschärft wurde; die Verfasser haben zur Originalgeschichte Jesu einige erklärende Verse hinzugefügt, damit bloß keiner denkt, Jesus hätte unmoralisches Verhalten gutgeheißen. Sie hätten sich die Mühe sparen können, denn für Jesus ging es gar nicht um die Moral, sondern darum, dass hier einer in der Krise kreativ handelt, dass der Mensch was tut, statt sich als Opfer den Bedingungen zu ergeben. Veränderung beginnt immer bei einem selbst, im Hören auf die innere Stimme, das Mitgefühl und die Liebe. Handle aus dem Hören kommend, möglichst kreativ und unkonventionell – und die Welt verändert sich!

Christoph Kunz | Magdeburg

 

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