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In „gut“ und „böse“ zu denken spiegelt Realität nicht wieder

7. April 2024

Der Paderborner Erzbischof Udo Bentz, in der Deutschen Bischofskonferenz für den Nahen und Mittleren Osten zuständig, hat das Heilige Land besucht. Dort nahm er am Festakt zum 50-jährigen Jubiläum des Theologischen Studienjahres Jerusalem teil und traf Vertreter der Kirche sowie der palästinensischen und israelischen Zivilgesellschaft. Nach seinen Eindrücken ist der Konflikt nach Kriegsbeginn am 7. Oktober 2023 wesentlich komplexer geworden. Es gibt keine konkrete, greifbare Lösung. Das Ende der Gewalt bedeute nicht nicht den Beginn von Frieden. Auf der anderen Seite braucht es ein rasches Ende des Leids.

.„Besonders beeindruckt hat mich ein Gespräch mit einer Ordensschwester in der Altstadt von Jerusalem. Ihre Gemeinschaft sieht die Berufung darin, an den Krisenherden dieser Welt unter den Menschen zu leben. Sie will ganz an ihrer Seite stehen und die Not teilen, ohne sich dabei auf eine Seite des Konfliktes ziehen zu lassen. So schaffen die Ordensfrauen im Alltag Voraussetzungen für Frieden. Dieses Zeugnis hat mich sehr beeindruckt. Doch nach allen Gesprächen, die ich geführt habe, scheint dieser Frieden in weiter Ferne zu liegen. Denn ein Ende der militärischen Gewalt bedeutet noch lange keinen Frieden. Die Frage, wie dieser entstehen kann, habe ich mit meinen Gesprächspartnern diskutiert“, so Bentz.

Politische Situation äußerst komplex

In Jerusalem traf er sowohl den Apostolischen Nuntius in Israel und Delegat in Jerusalem und Palästina, Erzbischof Adolfo Tito Yllana, als auch den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa OFM. Aus diesen Gesprächen ging hervor, dass Frieden nur durch ein gleichwertiges und gleichberechtigtes Miteinander von Israelis und Palästinensern, Juden, Christen und Muslimen entstehen kann: „Unser Auftrag ist in erster Linie, Anwalt der Würde aller Menschen zu sein – und nicht politischer Akteur.“ Mit dem Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Israel, Steffen Seibert, erörterte Bentz die politische Vorstellung, die radikalislamische Terrororganisation Hamas könne ausgelöscht werden. „Wir können die Hamas nicht nur als Organisation sehen. Vielmehr ist Hamas eine Idee, eine Ideologie. Auch wenn die Organisationsstruktur militärisch weitgehend zerstört sein mag, bleibt die Frage: Wie geht es weiter? Wie entzieht man der Ideologie der Hamas und anderen Formen des Extremismus den Nährboden“, so der Erzbischof. Dieser Aspekt war Thema im Austausch mit dem Leiter des Vertretungsbüros der Bundesrepublik Deutschland in Ramallah, Oliver Owcza. Bei diesem Austausch wurde außerdem deutlich, dass die politische Situation äußerst komplex ist. In Schablonen wie „gut“ und „böse“ zu denken, spiegelt die Realität nicht annähernd wieder.

Misstrauen ist in Hass umgeschlagen

Der Paderborner Erzbischof Bentz betont: „Fakt ist: Der 7. Oktober 2023 hat alle Menschen traumatisiert. Schon am Flughafen in Tel Aviv habe ich die Plakate mit den Bildern der Vermissten und Geiseln gesehen. Dann habe ich die Berichte gehört über die humanitäre Situation der Menschen in Gaza. Das ist erschütternd und immer wieder wird auch in diesem Konflikt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit als ein wichtiges völkerrechtliches Kriterium in Kriegssituationen gestellt. Und ich habe erfahren: Im Schatten des Krieges in Gaza haben die völkerrechtswidrigen Siedlungsaktivitäten, aber noch schlimmer auch die Siedlergewalt im Westjordanland, zugenommen.“ Dies ist auch in den verschiedenen Gesprächen mit Vertretern der Zivilgesellschaft betont worden. Sie haben von ihren täglichen Erfahrungen berichtet. Geändert hat sich nach dem 7. Oktober 2023 für sie alles. Misstrauen ist vielmals in Hass umgeschlagen. „Das hat mir vor Augen geführt, dass Frieden nur in kleinen Schritten wachsen kann. Er kann nicht von oben aufgezwungen werden, sondern nur im gemeinsamen Dialog und im gegenseitigen Verständnis entstehen“, betonte Erzbischof Bentz. Besonders junge Menschen seien dabei Hoffnungsträger für eine friedlichere Zukunft in der Region.

Junge Menschen als Brückenbauer

Vor Beginn des Festaktes den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum des Theologischen Studienjahres in der Dormitio-Abtei in Jerusalem, hat Erzbischof Bentz gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Prof. Dr. Stephan Harbarth, die internationale Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Mit einer Kranzniederlegung gedachten sie der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Die aktuelle Situation kommt in der Festrede von Prof. Dr. Harbarth und in den Gesprächen vor. „Dass junge Menschen die eigene Komfortzone verlassen und Brückenbauer über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg sind, ist ein starkes Zeichen. Mich haben die Begegnungen während meiner Reise sehr bewegt und ich nehme die drängende Sehnsucht der Menschen nach Frieden, Stabilität und Sicherheit mit nach Hause. Klar ist: Die Gewalt muss auf allen Seiten ein Ende finden“, so Erzbischof Bentz.

Quelle: Pressemitteilung | Fotos: dbk

 

1 Rückmeldung

  1. Michael Barnt sagt:

    Friedensgruß aus Jerusalem
    Als ehemaliger Teilnehmer des Studienjahrs bin ich seit 30 Jahren regelmäßig im „Heiligen Land“ und immer wieder erstaunt oder verwundert, wie die Menschen in Israel leben (können). Um im Konflikt nicht aufgerieben zu werden ist es einfacher, sich auf eine Seite zu stellen. Wie wichtig sind da doch „Brückenbauer“, von denen Erzbischof Bentz spricht.

    Ebenso hänge ich an dem Satz von unserm Botschafter Steffen Seibert im Grußwort zu o.g. Veranstaltung , dass „unsere Welt an Gewalt und Rassismus, Intoleranz und Dialogverweigerung leidet. Dem müssen wir uns entgegenstellen, in dem wir für gemeinsame Werte wie Respekt und Vertrauen werben.“

    Das ist ein Auftrag, dem ich mich als Seelsorger im Gefängnis verpflichtet fühle, denn auch hier besteht die Gefahr, in „gut“ und „böse“ zu denken.

    Mit Grüßen aus Jerusalem: Schalom und Salam aleikum.

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