Wieder einmal sitze ich in meiner Wohnung fest. Mein eigener Knast. Dieser Situation kann ich nichts mehr abgewinnen. Zu lange geht das schon. Es ist zu einsam. Demgegenüber habe ich im Ohr, dass sich GefängnisseelsorgerInnen in ihrem Dienst im Knast frei fühlen. Die Impfung könnte “draußen” wieder Freiheiten bringen. Ist das ein echtes und nicht nur ein virtuelles Licht?
Doch wer sagt mir, welche Auswirkungen die Impfung haben wird? Vor allem langfristig? Wenn in ein paar Jahren eine Krebserkrankung auftaucht, dann wird niemand sagen, es sei auf die Impfung zurückzuführen. So geht es wohl mit allem, mit was wir uns an Lebensmitteln, Medikamenten und anderen versteckten Umweltverschmutzungen aussetzen. Frei entscheiden kann ich kaum mehr. Der Druck ist zu groß, in der eigenen Wohnung festzusitzen und niemanden in Präsenz treffen zu können. Achtung Ansteckungsgefahr! Die Auswirkungen sind gravierend. Niemanden an sich ranlassen. Familien werden gespalten. Nicht nur räumlich, sondern ansichtsmäßig. An und mit Corona verstorbene Menschen in aller Welt. Wenn ich an Indien oder Brasilien denke, dann will ich nicht weiter jammern. Aber ich will mich ebenso ernst nehmen.
Im echten Knast
Denke ich an die Gefängnisse, dann wirkt dort die Situation doppelt verschärft. Den Haftraum darf man bei einem eingetretenen Coronafall hinter Gittern nicht verlassen. Vielleicht eine Stunde Freistunde. Vereinzelt im Käfig. Besuche sind nur hinter Trennscheibe erlaubt. Inhaftierte Väter dürfen ihr Kind nicht in Arm nehmen. Langzeitbesuch gestrichen. Lockerungen gestrichen. Ehrenamtliche müssen draußen bleiben. Der einzige Lichtblick. Hier wäre ein Impfangebot für alle Beteiligten im Gefängnis zu machen. Nicht nur für die Bediensteten. Der Gedanke der Resozialisierung steht dem konsequenten Abschotten zur Coronazeit entgegen. Das wird ebenso langfristige Folgen für die Gesellschaft haben. Straffällige werden wieder rückfällig. Was doch dieses kleine Virus alles anrichten und verstärken kann.
Wie war Ihre Zustellung?
Es klingelt an meiner Wohnungs-Knasttür. Ah, der Postbote. Ich drücke auf den Türöffner. Gerade will ich ihn aus dem ersten Stock die Treppe hinunter – aus sicherem Abstand – grüßen, als dieser die Tür nur ein Spalt öffnet und das Paket seitlich auf den Boden schmeißt. Er schreit ins Treppenhaus: “Ein Paket!” Weg ist er. Kein Blickkontakt, kein Gruß. Kein Abwarten, wer das Paket annimmt… Das Smartphone klingelt im selben Augenblick. In der WhatsApp Nachricht lese ich: “Geliefert: Wie war ihre Zustellung? Sehr gut? Nicht so gut?” Würde ich auf letzteres drücken, dann kann ich als Grund wählen: “Der Zusteller verhielt sich nicht professionell.” Aber was wäre damit gewonnen? Nichts. Ich habe nicht einmal gesehen, ob er eine Maske trug… Das ist nur ein Erlebnis der sich veränderten menschlichen Kommunikation und Beziehung. Scheiß Corona.
Heribert Thorenz
Virtuell zusammenführend
Fokussierender Austausch
Gesichtsnähe mit Ton
Präsenz online
Ein echtes Päckchen
in den Knast
des Abstandes
der Distanz
und der Abbrüche
mit liebevollen Präsenten
kann Leben erhellen
Menschliche Nähe kann
die Technik nicht ersetzen
Den Weihrauch kann ich
nicht virtuell riechen
die Atmosphäre nicht spüren
Mein Gegenüber nicht
ganzheitlich wahrnehmen und
Spontanes entdecken
Nicht in Vergessenheit geraten
soll die persönliche Begegnung
Das Sehen leuchtender
realer Augen
mit allen Sinnen
spüren
Und doch ist die
Verbindung untereinander da
Vielleicht weiß man dann
dass es noch Anderes gibt
dass Not erfinderisch macht
dass wir neu schätzen lernen
was die unverstellte Stimme
die Mimik des anderen
der Geruch in der Luft
die Umarmung
mir mitteilen möchte
Und vor allem
wie ich und andere
hautnah und berührend
Würde und wärmendes
Licht ausstrahlen können
Unverstellt echt.
Text: Michael King | Foto: Thünemann