Am Anfang stand die Feststellung, dass eine große Zahl orthodoxer Christen den Gottesdienst in der JVA Essen besuchen. Sollte man für sie da nicht vielleicht auch optisch einen Anknüpfungspunkt in der Kirche schaffen? Eine Ikone schien eine gute Idee zu sein, meint auch der evangelischer Kollege, Pfarrer Lucka. Eine Ikone ist mehr, sie ist nicht nur ein Christusbild oder ein Heiligenbild, sondern gerade in der orthodoxen Kirche ist sie in Fenster zur Ewigkeit.
Dies wird besonders deutlich dadurch, dass eine Ikone nicht einfach möglichst naturalistisch gemalt wird, wie wir das in der westlichen Kunst kennen. Sie ist stilisierter, sie folgt bestimmten Vorgaben und einem Urbild, von dem die Ikone praktisch abgeschrieben wird, denn bei Ikonen sagt man deshalb auch, dass man sie schreibt und nicht, dass man sie malt. Als mir dann ein befreundeter Priester erzählte, dass er gelernt habe Ikonen zu schreiben und dies als Hobby auch unter Einhaltung aller Regeln der Ikonenmalerei tue, war schnell die Idee geboren, eine speziell für die Essener Anstalt anzufertigen.
Die Vorlage für diese Ikone ist eine Christusikone aus dem 6. Jahrhundert, aus dem Katharinenkloster im Sinai in Ägypten die älteste Christusdarstellung, die heute erhalten ist und die deshalb auch das Christusbild in den folgenden Jahrhunderten prägte. Und Christus ist auch der Grund, warum man sich gegen das Bilderverbot aus dem Alten Testament nach einigen Jahrhunderten hinwegsetzte. Wenn Gott sich gezeigt hat in Jesus, wie wir es eben auch im Evangelium gehört haben, dann dürfen wir ihn darstellen, weil er sich uns so gezeigt hat. Diese Ikone ist, da sie eine der ersten Ikonen ist noch nicht ganz so stilisiert wie die späteren, hat natürlichere Züge, aber man kann schon einiges entdecken.
Man schaut Ikonen nicht einfach nur an. Sie schauen uns an. Und das ist ein wichtiger Wechsel der Perspektive, denn ich betrachte nicht nur ein Bild, sondern in einem Bild ist nach dem damaligen Verständnis immer etwas vom Abgebildeten anwesend. Hier betrachtet Christus uns also selber. Dieser Perspektivwechsel wird deutlich dadurch, dass bei Ikonen Gebäude zum Beispiel nach hinten immer breiter werden und nicht, wie es für uns perspektivisch richtig erscheint, schmaler. Alle Linien laufen bei Ikonen auf den Betrachter zu, nehmen ihn in den Blick stellen ihn in den Mittelpunkt. In den Ikonen will mir etwas von der Herrlichkeit Gottes begegnen. Eine Ikone will mit uns in Beziehung treten und zeigt, dass Gott mit uns in Beziehung treten will.
Deutlich wird das in dieser Ikone durch die Botschaft der zwei Gesichtshälften, die mit der Handhaltung der jeweiligen Seite korrespondiert. Die eine Gesichtshälfte ist barmherzig, schaut uns liebevoll an, die segnende Hand steht damit in Verbindung. Sie ist ein Bild der Liebe Gottes und Jesu zu uns. Diese Liebe Gottes hat aber auch einen Anspruch an uns. Und das wird deutlich in der zweiten Gesichtshälfte. Sie nimmt uns strenger in den Blick, hat einen richtenden Charakter, bringt uns die Forderung nahe aus der Liebe Gottes zu leben und diese Liebe weiterzugeben, sie ist verbunden mit dem Buch, dem Gesetz.
Eine passende Analogie zur Arbeit im Gefängnis: Stehen wir nicht immer in der Spannung von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, wenn wir unseren Gefangenen begegnen? Steht nicht jeder, der an Christus glaubt in diesem Spannungsverhältnis, weil er uns ruft aus Liebe und Barmherzigkeit zu leben, so wie er es uns vorgelebt hat und wir erkennen müssen, dass keiner vollkommen ist, sondern wir bei allem mühen auf die Barmherzigkeit angewiesen sind?
Dass Gott mit uns in den Ikonen in Beziehung treten will, wird durch einige Besonderheiten deutlich, mit der Ikonen geschrieben sind. Zuerst ist da die Grundlage mit dem Gold. Gold als Zeichen für das göttliche Licht, will uns etwas von Gottes Licht widerspiegeln. Wenn man die Ikone macht, legt man erst das Gold und poliert es. Und eigentlich ist es dann für unser Auge zu hell und blendend. Dann kommen die Farben, die nach alter Tradition mit Farbpigmenten also kleinen Teilchen und Eigelb angerührt werden. Zuerst kommen die dunklen Farben und dann wird man immer heller, sogar über das natürliche Maß hinaus. Man versucht nicht auf den Gesichtern das natürliche Licht wiederzugeben, sondern geht noch einen Tick weiter.
Weil auf Ikonen immer nur Personen abgebildet werden, Christus oder die Heiligen, die schon bei Gott sind. Deshalb strahlen sie auch mehr Licht als üblich aus, das göttliche Licht. Und auch die Formen sind immer ein bisschen entrückt, Kleider fallen nicht in normale Falten, sondern schweben fast immer ein bisschen leichter als normal.
Klaus Schütz | JVA Essen