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Gott kann nicht die Lösung für alle Probleme sein

16. August 2020

Zurzeit sitze ich im Jugendvollzug eine Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ab. Dies ist bereits mein zweiter Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt. Dieses Mal wurde ich verurteilt wegen Betrug in zwei Fällen, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) und vierzehnfachen erwerbsmäßigem Diebstahl. Meine jetzige Haftstrafe endet im September. Die erste Jugendstrafe belief sich auf ein Jahr und sieben Monate. Diese habe ich bekommen wegen räuberischer Erpressung mit schwerer Körperverletzung und in zwei Fällen wegen Volksverhetzung.

Wie man sich vorstellen kann, hatte ich genügend Zeit um über einiges nachzudenken. Ob ich ein besserer Mensch geworden bin kann ich nicht sagen. Ich merke nichts von einer Veränderung. Ich bin froh hier gewesen zu sein, weil ich Dinge erfahren durfte, die ich wahrscheinlich nicht kennen gelernt hätte. Zum Beispiel die Kirche. Ich war vor meiner Haftzeit noch nie in einem Gottesdienst. Zur Info: Meine erste Haftzeit hatte ich mit 17 Jahren angetreten. Ich kam auf die Aufnahmeabteilung als nach 2 Wochen jemand an der Tür klopfte. Ein Mann kam herein, katholischer Seelsorger, der Pastor. Er stellte mir Fragen über mich und mein Leben in der Freiheit. Ich habe ihm viel von mir erzählt, weil ich wirklich das Gefühl hatte, dass es ihn wirklich interessierte. Am Ende des Gespräches fragt er mich, ob ich nicht Lust hätte sonntags den Gottesdienst zu besuchen. Ich sagte ja und er stellte mir eine Karte aus, die zur Teilnahme am Gottesdienst berechtigt. Ich fragte mich selber, ob ich echt dorthin gehen soll. Was habe ich schon zu verlieren, dachte ich mir.

Eine endlose Schleife

Als ich die Kirche sonntags um 9 Uhr betreten habe, hatte ich ein anderes Gefühl. Ich würde dieses Gefühl gerne beschreiben, doch ich kann es nicht. Ich und die anderen Gefangenen haben uns auf die Stühle gesetzt und der Gottesdienst fing an. Worüber es in der Predigt ging weiß ich heute nicht mehr, aber das Lied, das wir gesungen haben werde ich wohl nie wieder vergessen. Der Text sprach einfach das aus, was ich oft dachte und fühlte: Herr, Deine Liebe ist wie Gras und Ufer… Ich hörte von festen Gruppen, in denen man Fragen zu Gott und die Welt stellen konnte. Ich habe mich angemeldet und lernte den evangelischen Pastor kennen. Er lud mich irgendwann zu einem seelsorgerlichen Gespräch ein. Er merkte wohl, dass mir das schwer zu schaffen machte und damit hatte er auch Recht. Nicht nur das mein Sohn einige Wochen vor meiner Haftstrafe geboren ist, nein auch meine Freundin, mit der ich schon sehr lange zusammen war, ist mir fremd gegangen und hat Schluss gemacht. Heute weiß ich, dass ich mit meinem Schicksal nicht alleine hier bin, aber es macht mir schwer zu schaffen, da ich eigentlich gewohnt bin, solche Probleme mit Alkohol und Drogen zu bekämpfen.

Wie ich heute weiß ist das eine endlose Schleife… aber mit jemanden über so etwas zu reden fiel mir schwer. Ich versuchte es und ich fing an zu reden und der hörte mir einfach nur zu. Als ich am Ende angekommen war, sah er mich an und sagte, dass sei schon ein ganz schönes Stück, was ich da mit mir rumtrage. Es hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber er fing an mir Geschichten über Ex-Häftlinge zu erzählen. Er nannte keine Namen, da er ja Schweigepflicht hat. Er zeigte mir dadurch, dass es Leute gab, denen es noch viel schlechter ging als mir. Ich habe nie probiert das Beste daraus zu machen…

Von Mitgefangenen belächelt

Zwei Dinge habe ich auf einmal gelernt, wahrscheinlich schon zwei Dinge mehr als in den letzten zwei Jahren in Freiheit. Es war gar nicht schlecht über Dinge, die einen bedrücken zu sprechen und egal wie verzweifelt die Lage auch gerade sein mag, man sollte immer versuchen das Beste daraus zu machen. Auch wenn man auf dem ersten Blick  nichts Gutes erkennen kann. Ich habe viele Monate gebraucht, um genau das zu beherzigen. Ab dem Tag an führte ich oft solche Gespräche mit dem Seelsorger, weil es mich einfach befreit hat und es war einfach schön zu wissen, dass man auch hier ein Ansprechpartner hat.

Das eine oder andere Mal kam es vor, dass ich von Mitgefangenen belächelt wurde, weil ich zu den Seelsorgern gehe. Das hat mich nicht weiter gestört. Das Gefühl, das uns die Kirche gab, war für uns und mich Lohn genug. Sobald man die Kirche betritt hat man nicht wirklich mehr das Gefühl im Knast zu sein. Also, wenn man mich heute fragen würde, wo ich mich hier am Wohlsten fühlen würde, sage ich ganz klar die Kirche. Nachdem wir die Arbeit beendet hatten, haben wir mit dem Seelsorger Kaffee und Kekse gegessen. Dies war für uns natürlich Luxus, nicht nur, weil er gut schmeckte, sondern weil es hier nicht oft Kuchen gibt. Ich fühlte mich in dieser Runde sehr wohl, da die anderen in dieser Runde offen über ihr Leben und ihre Probleme sprachen. Man merket sehr schnell, dass sie dieselben Probleme wie ich haben und viele dasselbe durchmachten wie ich. Es gab mir einfach das Gefühl nicht alleine da zu stehen.

Trotz alledem kamen Zeiten an denen es mir sehr schlecht ging und ich mit meinen Problemen nicht fertig wurde.  Ich war eine Gefahr für andere und für mich selbst. Man verlegte mich auf die „Schlichtzelle“, eine Zelle wo man das Fenster nicht öffnen kann und man 24 Stunden in zwei Kameras überwacht wird. Dort verblieb ich eine sehr lange Zeit. Da durfte ich auch den Gottesdienst nicht besuchen. Aber auch dafür hatte der Seelsorger eine Lösung. Es war Ostern und er sagte zu mir, wenn du nicht zum Gottesdienst kommen kannst, kommt der Gottesdienst zu dir. Und so machten wir den Gottesdienst in der so genannten Schlichtzelle mit allem was dazu gehört: Kerzen, singen, segnen, einfach alles. Es war einfach sehr schön und auch so fühlte ich mich in meiner bescheidenen Lage nicht allein.

Ich bin nicht nur eine Buchnummer

In meiner zweiten Haftstrafe ging der evangelische Pastor in Rente und auch der Katholische verließ die Anstalt. Kurz hatten wir wieder die Gebetsgruppe, die Gruppe Arche, wo auch Leute aus Freikirchen von draußen rein kommen. Im Februar passierte das Schlimmste, was einem Gefangenen passieren kann, man sagte mir, dass mein Vater in der Nacht verstorben ist. Man verlegte mich wieder auf die Schlichtzelle. Aus Sicherheitsgründen… Ich verbleib dort ein Wochenende. Als ich wieder auf die normale Abteilung kam, sorgte eine junge Beamtin dafür, dass der neue Gefängnisseelsorger zu mir kam. Ich wusste erst nicht so recht, was ich von ihm halten sollte. Man merkte, dass er sich bemühte. Er bot mir an sobald ich Redebedarf habe mich an ihn wenden zu können. Aber so weit kam es erst gar nicht, da er sich von sich aus zwischendurch nach mir sah und mich fragte, wie es mir geht und ob alles läuft oder ob er mir irgendwie helfen könne. Es war auch da einfach schön zu wissen, dass jemand da ist und auch er gab mir das Gefühl, dass ich nicht nur eine Buchnummer bin.

Der Neue gestaltet den Gottesdienst komplett anders und ich war anfangs gespannt, wie das so sein wird. Ich muss sagen, dass es mir zuerst nicht zusagt, aber da spreche ich für mich und nicht für andere. Es kann ja nicht immer alles nach mir gehen 😊 Die Seelsorger sind stets bemüht zu helfen, wenn es möglich ist, aber sie sind auch bereit, Dinge ins Gespräch zu bringen auch wenn sie wissen, dass wahrscheinlich nicht viele Leute diese Meinung  teilen. Aber genau das ist es, was die Gefängnisseelsorger auszeichnen. Ich glaube auch, dass man so viel von ihm lernen kann, auch wenn ich es mir so oft nicht anmerken lasse. Vielmehr kann ich zurzeit auch nicht sagen, aber ich weiß bestimmt, dass nicht nur ich froh bin, dass es solche Leute wie die Seelsorger im Knast gibt. Weil man ihnen sagen kann, was man zu sagen hat ohne Angst haben zu müssen abgestempelt zu werden oder den Respekt vor dem Menschen zu verlieren. Egal welche Straftaten oder Lebensansichten man auch hat, sie vergessen nicht, dass man trotz allem ein Mensch ist und das ist ein schönes Gefühl zu wissen.

Gott ist nicht die Lösung für alles

Ich glaube ohne diese Leute in der JVA wäre vielleicht einiges anders gelaufen für mich. Aus diesem Grund kann ich mich nur recht herzlich bedanken und eines weiß ich ganz sicher, „ihr seid wirklich ein Geschenk Gottes.“ Danke. Ich möchte noch hinzufügen, dass mir die Gruppen auch sehr geholfen haben, aber es ist nicht so, dass ich bekehrt bin. Ich bin mir sicher, dass es einen Gott gibt, sonst würden diese Menschen nicht so leben wie sie leben und nicht das tun, was sie tun. Ich stelle gar nicht in Frage, dass sie mit Herz dabei sind und das kann nur ein Einwirken Gottes sein. Aber ich glaube bis heute nicht, dass Gott die Lösung auf alle Probleme ist. Der Geist wächst nicht nur im Glauben, sondern auch an Erfahrungen. Der Glaube an sich ist eine gute Sache. Nur ist die Frage, wie man lebt. Ich finde einfach, es gibt Leute, die die ganze Sache übertrieben sehen und auch übertrieben leben. Dies soll kein Vorwurf sein, aber ein Versprechen, dass das für mich niemals in Frage kommt auch wenn Gebete heutzutage zu etwas Wichtigem geworden sind. Auch wenn ich mich von Gott geliebt fühle, bleibe ich trotzdem ICH und versuche nicht so etwas wie der „zweite Jesus“ zu werden.

Ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in die JVA und der Arbeit der Seelsorge geben und zeigen, wie ich als Gefangener die Arbeit sehe, was ich glaube und wie wichtig sie für mich ist. Ich bin froh zu wissen, dass es das letzte Mal ist, dass ich aus der JVA schreibe. Ich werde entlassen und man wird sehen, welchen Weg ich dieses Mal gehe. Auch wenn es scheiße war, ich bin dankbar für diese Erfahrung.

Veröffentlichung mit Zustimmung des Autors B.

 

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