“Als kleines Kind hat es mir Spaß gemacht, im Dreck zu spielen”, erzählt Petrus Ceelen mit achtzig Jahren. Neurodermitis, das Wort gab’s damals nicht. “lch weiß noch, wie ich im Kindergarten einmal in die Hose gemacht hatte. Als Strafe musste ich meinen Kaka in Zeitungspapier einwickeln und mit nach Hause nehmen.” Scheiße. Hoffentlich habt lhr schönere Kindheitserinnerungen! Ein Blick in die Geschichte des ehemaligen Aids- und Gefängnisseelsorgers sowie Lebens- und Sterbebegleiters Petrus Ceelen.
Woran ich gerne zurück denke, ist die Zeit als Ministrant. Einmal habe ich das Weihrauchfass so schwungvoll geschwungen, dass die glühende Kohle herausflog und ein Loch in den goldenen Brokatmantel von Hochwürden brannte. Damals bin ich oft mit dem Pfarrer durch die Straßen gelaufen, um den Kranken und Sterbenden die Kommunion zu bringen. Ich habe in jungen Jahren schon viele Menschen auf dem Sterbebett gesehen und gelernt, dass der Tod zum Leben gehört. Als Messdiener habe ich zum Pfarrer am Altar hinaufgeschaut und wollte auch Priester werden. So kam ich ins lnternat, das kleine Priesterseminar. Dort hatte ich furchtbar Heimweh. lch fühlte mich wie im Knast. Der Aufseher im Schlafsaal schaute jeden Abend nach, ob ich die Hände über der Bettdecke halte und nicht schwer sündige. Nach 5 Jahren wurde ich dann rausgeworfen, weil ich zu rebellisch war und es wagte, laut Kritik zu üben. Als ich mit 21 noch einmal ins Priesterseminar ging, wurde der Rebell schon nach ein paar Monaten vor die Tür gesetzt.
Mein Leben ist wie ein Puzzle
Gott sei Dank, denke ich im Nachhinein, denn als Priester hätte ich ohne Frau und Kinder leben müssen und dazu bin ich nicht geschaffen. Auch hätte ich erst mit 70 in Rente gehen können, als Kardinal sogar erst jetzt mit 80. Und als Papst? Journalist wäre ich auch gerne geworden, denn ich habe schon immer gerne geschrieben. Oder Schauspieler. Aber auch davon wollten meine Eltern nichts wissen. lch bin weder Priester, noch Journalist, noch Schauspieler geworden. Aber etwas von allen drei. Seit 1978 schreibe ich nahezu jedes Jahr ein Buch, schreibe mir von der Seele, was mich belastet, bedrückt, bewegt, berührt. lch bin kein Schauspieler geworden, aber bei einer Trauerfeier stehe ich sozusagen allein auf der Bühne und gehe ganz in der Rolle des Trösters auf. lch suche den Schmerz der Trauernden in Worte zu fassen und ihnen aus der Seele zu sprechen.
Eine gute Ansprache ist eine Aussprache. lch bin kein Priester geworden, aber Seelsorger. Ich habe ein Auge für die seelische Not, und habe im Gefängnis erlebt, wie gut es tut, wenn ein Mensch seinen seelischen Müll bei einem anderen abladen kann. lm Rückblick kommt mir mein Leben vor wie ein großes Puzzle. lch sehe, wie gut manches gepasst hat. Auch das, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Jeder Tag ist ein Stückchen im Puzzle unseres Lebens. lmmer wieder herausfinden, wie eins ins andere passt. Manches ergibt sich mit den Jahren von selbst. Allmählich fügen sich die Teile zu einem Ganzen zusammen. Es geht darum, die Zusammenhänge im Leben zu erkennen. Wenn wir unser Leben als Ganzes betrachten werden Linien sichtbar, vielleicht sehen wir den roten Faden. Manches wiederholt sich, ist wie ein Leitmotiv. lm Nachhinein erkennen wir, wozu manches gut war und wie das Schlechte auch sein Gutes hatte. Eine Krankheit kann heilsam sein. Die Krise war auch eine Chance. ln jedem Leid steckt auch die Chance des Wachstums und der Verwandlung. Und auch die sogenannten Zufälle geben uns zu denken.
Petrus, der Heilige mit dem Schlüssel
Was hat das zu bedeuten? fragen wir uns und suchen zu deuten. Wir alle brauchen einen Sinn im Leben. “Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, eine aufgeräumte Wohnung zu hinterlassen”, sagt Elke Heidenreich, auch schon achtzig. Für mich kann ich sagen: Dasein für die Menschen, die mich brauchen, das macht Sinn. Anderen zu helfen, das hat mein Leben sinnvoll gemacht. Dabei war ich nicht nur der Gebende. lm Gegenteil. Ich habe das Gefühl, mehr zurückbekommen als gegeben zu haben. Und die Menschen mit leeren Händen haben mir oft am meisten gegeben. Mein Name Petrus ist nicht vom Himmel gefallen. Meine Mutter wollte, dass ich Paul heiße, aber mein Vater muss nach seiner Kneipentour durch die Lepelstraat die Apostel Petrus und Paul wohl verwechselt haben und gab auf dem Rathaus an: “Mein Sohn soll Petrus heißen. Als Gefängnisseelsorger auf dem Hohenasperg habe ich beim Aufschließen der Zellentüren oft an den Heiligen mit den Schlüsseln gedacht. Ja, ich bin der Petrus und ich bin meinem Vater heute noch dankbar für seine krumme Tour Namen und er trägt uns tagein durchs Leben.
Aus mir ist etwas geworden
Unser Leben ist viel mehr als eine Anzahl aufeinander folgender Jahre. Wenn wir tiefer schauen, sehen wir, was in unserem Leben alles drin ist. Wenn ich bedenke, dass meine 41-jährige Mutter mich mitten im Krieg zur Welt gebracht hat. Wenn ich bedenke, wie unverschämt katholisch ich von Priestern verzogen wurde. Wenn ich bedenke, wie mein Werdegang war, kann ich mich nur wundern, was aus mir doch noch geworden ist. […] lch bin dankbar, dass ich mich auf meinen Tod vorbereiten kann, nicht plötzlich aus dem Leben gerissen werde. Trotzdem hätte ich nichts dagegen, wenn ich wie meine Mutter gehen könnte. lm hundertsten Lebensjahr sagte sie nach dem Abendessen: “So, jetzt esse ich nie mehr.” Zwei Stunden später war sie tot. So möchte ich den Löffel auch abgeben. Unser aller Leben hat ein Ende. Das Bewusstsein unserer Endlichkeit lehrt uns endlich zu leben. Heute ist der Tag. Jetzt der Moment, diesen Augenblick zu erleben. “Herr, lehre uns unsere Tage zählen, damit wir ein weises Herz gewinnen.” (Psalm 90,12) Die Bibel sagt hochbetagt, nicht hochbejahrt. Wir zählen die Jahre, feiern meist nur die runden Geburtstage. Jeder Tag zählt, jeder Tag ist ein Geschenk. Wenn uns bewusst ist, dass auch unsere Tage gezählt sind, leben wir anders, bewusster, intensiver und sind dankbar für jeden Tag, an dem wir morgens aufstehen können. Als Hochbetagte haben wir längst das nötige Alter für den Zettel am Zeh. Und jeder Tag ohne Zettel am Zeh ist ein guter Tag. […]
Dank der Aidskranken, Drogenabhängigen, Gefangenen und Obdachlosen bin ich der Mensch geworden, der ich heute bin.
Petrus Ceelen | Aus: Achtzig und (k)ein bisschen weise
2 Rückmeldungen
Eine neue Tapete auf alte Gemäuer… Das geht nicht lange gut. Immer wieder der Hinweis auf die “Weltkirche”. Ich kann es nicht mehr ertragen. Was sollen die Bitten an den Papst? Das ist doch sektiererisch, dass ein Oberhaupt für oder dagegen entscheiden muss. Gehorsam mit dem Nachfolger Petri? Daran glaubt niemand mehr. Ich will diesem System nicht weiter unterstützen. Das festgefahrene System wird sich nicht verändern. Dafür sorgen schon die konservativen Kräfte.
Der “Synodale Weg” ist ein Scheinweg. Es ist eine Einbahnstraße, weil von “oben” entschieden werden wird. Die Wirklichkeit wird die bestehenden Mauern einreißen. Immer weniger werden dieser Kirche ihre Gefolgschaft widmen. Immer mehr Menschen werden den Kirchenaustritt beantragen. Das Gesülze über Gott hat ausgedient. Die angeblichen Vorbilder für den menschenfreundlichen Gott sind selbst Täter. Das ist bitter, aber Realität. Widersprüchlich und scheinheilig das ganze Kirchenkonstrukt. Niemand interessiert die Reformbewegungen, wenn es nicht zu einem Paradigma-Wechsel kommt.
Ich frage mich, ob manche Synodale in Frankfurt zur eigenen Bestätigung, dass diese Jahre des “Synodalen Weges” nicht umsonst für sie waren und wenigstens kleinste gemeinsame Nenner heraus kommen, sich über den Tisch ziehen lassen und nicht mehr so sehr für Menschen kämpfen, aber ein System stützen, das sich so lange nicht verändert, wie es eben geht und dies im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste. Den Papst bitten, das Zölibat für Priester zu überdenken? Geht es noch harmloser?
Wen interessiert und dient ernsthaft so eine Bitte? Diese ist oft genug schon heran getragen worden! Wem hilft sie heute und morgen? Und wenn sie irgendwann erhört würde, wer will überhaupt noch PriesterIn* werden? In Deutschland gehen die Zahlen schon fast gegen Null… Von dieser Kirche bleibt, geht es so weiter, am Ende ein Rest über, der bewahrender ist als manche Großmutter in den Einmachzeiten. Nur dass jetzt angegriffene und faule Früchte eingemacht werden…