Wird ein junger Mann in die Justizvollzugsanstalt gebracht oder er stellt sich selbst in Untersuchungshaft oder zu seinem Strafantritt, wird im Aufnahmegespräch geprüft: Ist er hier überhaupt richtig? Ist er drogenabhängig? Ist er suizidgefährdet? Kann er bedenkenlos mit anderen Inhaftierten zusammen sein? Fällt die Prüfung nur irgendwie uneindeutig aus, entscheidet man vielleicht zu seinen Ungunsten? Der Volksmund sagt: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Mit den Gedanken an die bevorstehende Jahreswende, könnten wir das vergangene Jahr prüfen. Wie fällt das Ergebnis aus? Was nennen wir zuerst, das Gute oder das Schlechte? Ich will nicht behaupten, dass wir grundsätzlich mit der Negativbilanz schneller sind als andersherum. Ich kann mich an Jahre erinnern, da würde ich sofort von einem Gewinn unter dem Strich eines Jahres erzählen. Es gibt aber auch das Gegenteil. Die dezidierte Aufforderung der Jahreslosung der Evangelische Kirche lautet für 2025: “Prüfet alles und behaltet das Gute.” Zwanghafter Optimismus? Es gibt nichts, was nur Gut ist. Oder liegt es an unserer Sichtweise der Dinge nach dem Motto: bei einigen ist das Glas halb voll und bei anderen halb leer, wie eine Art DNA in uns? Wir können uns nicht dagegen wehren, ob das Problem nahezu ein Weltuntergang ist oder etwas, dass wir locker wegstecken.
Ergebnisoffen prüfen
Es muss einen guten Grund dafür geben, nach der Prüfung das Gute zu behalten. In meiner pastoralpsychologischen Ausbildung hat mich ein Dozent mit folgendem Satz geprägt: Hurra, ein Problem! Der Appell hat etwas Aktives in sich: Prüft! Und da fängt es an. In welche Richtung prüfe ich denn? Wie in der JVA im Aufnahmegespräch? Oder eher so, dass ich offen bin für das, was kommt. Die Politik nennt das gern: Ergebnisoffen, was nicht heißt, dass es nicht schon ein Wunschergebnis gibt. Obwohl dieser Begriff oft missbraucht wurde, öffnet er unseren Blickwinkel für das Gute einer Prüfung schlechthin:
1. Wenn wir ergebnisoffen prüfen, dann sind wir aktiv offen z.B. für das Jahr 2025.
2. Wenn wir so prüfen, dann glauben wir, dass wir Ressourcen haben, die uns schon jetzt die Kraft geben, auszuhalten, was wir jetzt nicht wissen.
3. Ergebnisoffen ist nicht zu verwechseln mit ziellos – im Gegensatz zu einem Wunschergebnis. Dietrich Bonhoeffer hat das so formuliert: Ich glaube, dass Gott uns so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn (Gott) verlassen.
Eigene Ressourcen
Und das meint: Hurra ein Problem! Mein Dozent hat an mich geglaubt, dass ich genug z.B. an Erfahrung mitbringen für Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen. Nur so macht es Sinn, dass wir uns auf das Gute verlassen, das wir vielleicht schon haben oder noch geschenkt bekommen. Das Gute meint die Ressourcen, mit denen wir heute in die Zukunft blicken, die Gott schenkt. Ich weiß aber auch, dass so ein Glaube wachsen muss. Dies ist etwas gänzlich Anderes als in unsere Aufnahmegespräche in der JVA geschieht. Daher: “Prüfet alles und behaltet das Gute.”
Stefan Thünemann | 1. Thessalonicher 5,21