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Anonyme KatholikInnen: Kritik einüben mit Blick ins Leben

21. September 2025

Jetzt hat Papst Leo ein Interview gegeben. Was steht drin? Wie immer bei Päpsten: Große Gesten, null Veränderung. Was sollten KatholikInnen jetzt machen? Besser nicht wieder jedes päpstliche Wort auf die Goldwaage legen. Wie wärs mit einer Selbsthilfegruppe? Oder wenigstens ein ehrliches Sudoku mit klaren Antworten. Ein Kommentar von Peter Otten.

Verblendungsbrillen, die bei einer Sucht-Erkrankung die klare Sicht einschränken.

Es geht um die üblichen Themen: Homosexualität, Segnung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, Frauen in der Kirche. Was sagt Leo im Interview zum Thema sexueller und spiritueller Missbrauch? Kein „zentrales Thema“ während seines Pontifikats! Ach so. Verzeihung.

„Ich habe nicht die Absicht, die Lehre zu ändern…“

Und jetzt sitzen sie wieder da, die Profi-Katholiken. Und wahrscheinlich starren sie wieder auf jedes Komma, jede kleine Zuckung seiner päpstlichen Augenbraue, voller österlicher Hoffnung wider alle Hoffnung. Ob irgendwo doch wenigstens ein kleiner Hauch weißer Dunst durch die päpstliche Amtsstube zieht? Da hinten? Da oben? Siehst du ihn nicht? „Vielleicht, wenn man es so liest… vielleicht, wenn man es anders betont… vielleicht, wenn man die Worte rückwärts spricht…“ Ja, vielleicht. Vielleicht ist die Bahn pünktlich.

Da kommt nichts (mehr)

Das ist wie beim Glücksspieler, der denkt: „Beim nächsten Mal, da gewinne ich bestimmt.“ Und der wieder eine Zwanziger kleinmacht und in den Automaten schiebt. Katholiken! Das macht ihr schon seit weiß Gott wie lang – aber merkt ihr es nicht? Da kommt nichts mehr. Keine drei Kirschen, Erdbeeren, nicht mal Zitronen. Das ist eher wie bei einem Süchtigen, mit stieren Augen auf der Suche nach einem Krümel Crack. Da muss es doch diesen Halbsatz von Leo geben, Moment … und schwupps – das Herz pocht wieder. „Vielleicht bewegt sich doch was… vielleicht…“ Nein! Was ihr macht ist die katholische Version von „nur noch diese eine Zigarette“.

Blick ins Leben riskieren

Deshalb, liebe katholischen Freundinnen und Freunde: Vielleicht ist es Zeit für eine Selbsthilfegruppe der „Anonymen Katholiken“? Man sitzt im Kreis, stellt sich vor: „Hallo, ich bin Sabine, und ich hoffe seit 20 Jahren, dass die Kirche Frauen ernst nimmt.“ – „Hallo Sabine!“ – „Hallo, ich bin der Gerd, und ich hoffe seit 15 Jahren, dass die katholische Kirche sexualisierte Gewalt aufarbeitet mit allem Pipapo.“ – „Hallo Gerd!“ – und dann übt man: einen Sonntag ohne Papstzitate, eine Woche ohne Lektüre von Berichten über päpstliche Schuhe und ob er jetzt in eine WG zieht oder nicht. Liebe Profi-Katholikinnen und -katholiken: Jetzt kommt mein Vorschlag. Statt Leo-Interviews wieder nach Nostradamus-Art zu deuten, lieber mal einen Blick ins Leben riskieren. Mensch sein, Verantwortung übernehmen, den Mensch, den du liebst umarmen, Mittagessen kochen, Wählen gehen, einen Plausch mit dem Bettler vorm REWE halten, ein Gebet murmeln, Demokratie üben, von mir aus Kirche zur Not selbst machen. Zu tun gibt es genug. Und wenn die Sehnsucht nach dem nächsten päpstlichen Interview zu groß wird: tief durchatmen, Kaffee trinken und lieber ein ehrliches Sudoku lösen.

Peter Otten | Quelle: Theosalon

 

2 Rückmeldungen

  1. Joachim Frank sagt:

    In der alten Kirche galt der Grundsatz, die Gewohnheit müsse „der Wahrheit weichen“. Der Papst folgt stattdessen der Opportunität: Weitere Spannungen in der Kirche sollen vermieden werden. Damit aber bestimmen die Unbeweglichen, die Verweigerer das Maß und die Geschwindigkeit für Veränderungen. Differenzierte Lösungen für die kirchliche Praxis, die etwa den Erfordernissen und Bedürfnissen eines bestimmten Kulturraums entsprechen, werden damit noch schwieriger. Statt synodaler wird die Kirche uniformer. Mehr lesen…

  2. Renardo sagt:

    Die katholische Kirche könnte als eine der größten Sekte der Welt angesehen werden. Die Gläubigen sind organisatorisch und inhaltlich abhängig von einem Papst in Rom. Dieser winkt schön und meint, Stellvertreter Jesu auf Erden zu sein. Bischöfe huldigen ihm und trauern sich nicht, etwas zu ändern. Sehe ich das Foto mit dem Papst und dem Erzbischof Benz, dann sehe ich ein Papst, der sich an die Stuhllehnen festhält. Ein Bischof, der ganz nah an den Schreibtisch rückt, aber der Schreibtisch die Distanz wahrt. Die Kirche erkennt die Menschenrechte in den eigenen Reihen nicht an, obwohl diese Kirche Jesu menschlich auf die Menschen zu gehen soll. Wenn Jesus in diese Welt neu kommen würde, wäre sein erster Ort sicher nicht der Vatikan. Es gibt die Menschen, die aus-treten aus dieser Kirche. Sie werden immer mehr. Ich reihe mich in die Reihe der Selbsterfahrungsgruppe ein. Seit 30 Jahren leide an dieser Kirche. Ich will nicht in die Opfertheologie verfallen. Leider habe ich es immer noch nicht geschafft, mich zu trennen. Es ist systematisch, was da passiert. Trotz allem Reformwillen mit dem Synodalen Weg und Appellen einzelner Verantwortlicher, reißen sie das Ruder nicht mehr auf eine gute Route.

    Hauptsache, der Papst winkt, und winkt, und winkt und positioniert sich gefühlt ausschließlich zur Bestätigung der Konservativen. Zu groß ist die Angst, dass sich die Kirche spaltet. Diese ist längst gespalten. Die Tagespost aus Würzburg nutzt das Interview von Paps Leo, um gegen den Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing zu diskreditieren: „Leo ist in, Bätzing ist out“. Unverhohlen und mit polarisierenden Worten werden die angeblich klaren Worte des „Oberhauptes“ gefeiert. Diese Nachrichten und Interviews will ich nicht mehr hören. Frage ich kirchenferne Bekannte, interessiert sie das nicht, was die Kirche sagt oder tut. Dies sind oft interne Menschen der Kirche oder diejenigen, die jede Regung als Hoffnung interpretieren und die darauf einen Fokus legen. Hohen Respekt vor den Menschen, die sich dem entgegenstellen. Und doch ist es ein Kampf gegen Windmühlen. Die Erzkonservativen freuen sich. Wie lange wollen „sie“ noch zuhören und beratschlagen, bis sie die Gleichberechtigung von Frau und Mann einführen? Wie lange wollen sie noch die Menschenrechte nicht anerkennen? Diese alte Männer-Kirche wird nichts verändern. Es wird daneben vielleicht ein neuer Baum gepflanzt.

    Ob ich das alles noch mittragen kann? Ich glaube nicht. Dazu bin ich viel zu kritisch und ich kann in der „Heiligen“ Messe nicht mehr für die Priester und Diakon angesichts sexueller Gewalt und spirituellen Missbrauch seitens der Kleriker und deren Vertuschung beten. Die katholische Kirche ist wie eine Außenfassade, die immer noch zu halten scheint. Sie bröckelt, aber gewaltig. Und das angesichts der noch so gut inszenierten Heiligsprechung des italienischen Jugendlichen, dessen kurze Lebensgeschichte zwielichtig und beeinflusst durch andere gelenkt daherkommt. Dies trennt mich weiter von dieser Kirche, die anscheinend keine Reformen will.

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