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Was trägst Du mit Dir herum? Es gibt Hoffnungsträger

3. Juni 2021

An der Pinnwand meines Arbeitszimmers zuhause hängt seit Jahren eine Postkarte. Auf heiter blauem Hintergrund steht die Frage: „Und was trägst du?“ Ich bekam sie vor neun Jahren geschenkt als Ermutigung in familiär schwierigen Zeiten. Meine betagte Mutter hatte gerade eine Herz-OP überstanden und brauchte viel Unterstützung. Die Erkrankung meines Bruders zeigte keine Besserung. Ich erinnere mich, dass diese Karte mir Kraft gegeben hat, zu tun, was in meinen Kräften steht, zu helfen und dabei selbst nicht unterzugehen. „Und was trägst Du?” Das hat mich vor dem Tunnelblick bewahrt. 

Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Kaum jemand geht unbeschwert durchs Leben. Schau dich um, hör gut zu, sprich mit anderen und du erfährst es. Die Geschichten anderer, die womöglich weit mehr belastet sind und das über lange Zeit, sie relativieren die eigene Bürde. Was müssen Menschen nicht alles aushalten! Und was können Menschen alles aushalten, wenn es ihnen zugemutet wird. Manchmal kann ich nur staunen, wenn es mir anvertraut wird. Warum fällt mein Blick jetzt wieder auf diese Karte? Den Umzug von Trier nach Limburg hat sie mitgemacht. Sie bedeutet mir etwas. Irgendwie ist ja jetzt wieder Krisenzeit, und wir alle tragen daran; allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Das denke ich oft, wenn ich Menschen von ihren Belastungen erzählen höre, die physisch und psychisch an den Kräften zehren und nicht wenige in die Knie zwingen. Und was trägst Du? Jede und jeder von uns hat etwas. Wir werden die Lasten ja nicht einfach los. So, wie wir sind, sind wir da. Und so gefällt es Gott. Denn er weiß längst, was uns ansehnlich macht und was uns niederdrückt.

Eine kolumbianische Frau im Innenhof ihres Hauses, den sie mit bunten Tragetöpfen und verschiedenen Pflanzen dekoriert hat.

Tragen können

Zum ersten Mal schaue ich mir die Postkarte nun genauer an und entdecke: Sie gehört zu einem interdisziplinären Projekt der Universität Mannheim und der Jugendkunstschule Klotten an der Mosel. Homo-Portans – Trage-Mensch, so heißt der Titel. Tragen ist Bestandteil unseres Lebens, gleichzeitig Bürde und Last, Bedürfnis und Stütze. Es gehört zum Selbstverständlichsten und ist gleichzeitig eine wesentliche Voraussetzung für unsere Kulturfähigkeit. All dem geht die Erforschung des Tragens seit der Ur- und Frühgeschichte bis ins 21. Jahrhundert nach.

Im Jahr 2012 wurde dazu ein spektakuläres Kunstwerk inszeniert. Durch die Straßen einiger Städte formierte sich eine „Trageprozession“ beim Kultursommer Rheinland-Pfalz. Die Künstlerin Anja Schindler färbte das schwere Thema mit Kindern und Jugendlichen in ein leichtes Blau. Sie gab dem Tragen eine Farbe und machte die vielen verschiedenen Facetten sichtbar: Hoffnungsträger – Tragisch – Tragen macht schön! – Und was trägst du? –Wer trägt, hat’s leichter! – Ist das tragbar? – Tragen verbindet Gott und die Welt – Einer trage des anderen Last. Viele verschiedene Aspekte, an denen viele unterschiedliche Menschen mit ihren Erfahrungen anknüpfen konnten.

Festen Stand bekommen

Und gleich kommt mir der Gedanke in den Sinn: Was wir tragen und was uns trägt, das hängt oft eng miteinander zusammen. Die Verantwortung, die wir übernehmen, ist oft der Grund für unser Selbstwertgefühl. Freundschaft und Fürsorge, die wir schenken, stärken die Beziehungen, die uns Halt geben. Handwerkliches Geschick, künstlerische Begabung, berufliche Professionalität, in die wir Zeit und Energie investieren, sind Grund der Wertschätzung, die wir genießen. Der Glaube, den wir in Gottesdienst, Gebet und mit offenen Händen und Herzen üben, gibt Sicherheit und festen Stand – gerade in kargen Zeiten und in krisenhaften Lebensphasen. Was wir tragen, ist nicht selten auch das, was uns trägt. Die Künstler der heiter blauen Trageprozession mussten keine völlig neue Idee entwickeln. Sie konnten Anleihe nehmen an der Trageprozession, die am Fronleichnahmstag immer stattgefunden haben.

Hoffnungsträger

Christen tragen den eucharistischen Herrn durch die Straßen der  Stadt. Wenigstens etwas davon lebt auf, wenn wir das Brot in der Eucharistie verehren, darin Jesus als Begleiter und Gott anbeten und den Segen empfangen. Was uns bei der Kommunion in die zu einem Thron geformten Hände gelegt wird, damit wir es empfangen, und was schließlich in der Monstranz getragen wird, das ist es, was uns im Leben hält und trägt. Das Allerheiligste unseres Glaubens ist Jesus selbst. Er entfaltet seine Lebenskraft in uns und verbindet uns zu heiliger Gemeinschaft. Und was trägst Du? Am Fronleichnamstag animiert mich die Frage zu der gläubigen Antwort, die zugleich ein Bekenntnis ist: Ich trage den, der mich hält. Und wer gehalten ist im Letzten, kann gelassen sein im Vorletzten.

Dr. Georg Bätzing | Evangelium: Mk 14,12–16.22–26

 

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