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Bild des „Guten Hirten“ stimmt schon lange nicht mehr

8. Mai 2022

Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige sieht die Kirche in der gleichen Gefahr wie sozialistische Regime. Auch im Christentum könne es vorkommen, „dass – wie im Marxismus-Leninismus mit seinem absoluten Wahrheitsanspruch – die angeblich reine Lehre als geschlossenes System betrachtet wird, dem sich alle nur ein- oder unterzuordnen haben“, sagte Feige im Katholischen Forum im Land Thüringen. Der Anspruch auf absoluten Wahrheitsanspruch oder das Hören und Kennen der Wirklichkeit?

Es ist Sonntag vom Guten Hirten – so heißt in katholischer Tradition der vierte Ostersonntag. Längst allerdings scheint es aus der Zeit gefallen, dieses alte Bild vom guten Hirten. Wir wollen uns nicht mehr ansehen lassen wie Schafe, die blökend einem Hirten folgen, egal, wo es hin geht, und wir tun uns auch schwer, das Hirtenamt von Päpsten und Bischöfen pauschal als gut anzusehen bei all dem, was in der Kirche geschieht. Das Bild vom guten Hirten entstand ursprünglich aus den Erfahrungen der Nomadenvölker, die erzählen, dass eine das Leben erhaltende, schützende und zugleich fördernde Führung nur im Vertrauen gelingt, und dass auch nur so der Mut aufkommen kann, sich wirklich einzulassen ohne zu wissen, wohin der Weg führt. Und damit war es auch immer ein spirituelles Bild, das Verbundenheit und die gemeinsame Sorge umeinander beschreibt, aber auch das Beschützt- und Getragen sein in den Gefahren des Lebens, und Gott selbst wurde zum guten Hirten.

Macht ausüben von oben nach unten?

Doch wo Menschen ihr Leben nicht mehr ansehen wie es die Nomaden taten, nämlich als ein ständiges Unterwegs sein und ein dabei aufeinander angewiesen Sein, sondern versuchen, Leben machtvoll zu kontrollieren, sich abzusichern und Grenzen aufzubauen, da gerät der ehemals gute Hirt zu einem Angstmachenden Befehlshaber. Das führt nicht mehr in die Weite, sondern nur noch in die Enge. Wir erfahren leidvoll, was das für die Kirche bedeutet.
Bischof Gerhard Feige hat kürzlich gesagt: „Wenn es uns als Kirche nicht gelingt, aus dem Korsett von sturen Denkverboten, dogmatischen Verkrustungen und totalitären Anmaßungen auszubrechen, werden wir den gleichen Niedergang oder Zusammenbruch erleben wie der real existierende Sozialismus mit seiner marxistisch-leninistischen Überforderung.“

Hirtenämter in der Kirche wurden und werden dafür missbraucht, Macht auszuüben von oben nach unten, Menschen zu verurteilen und auszugrenzen und blinden Gehorsam einzufordern. Das ist weit entfernt von dem, was biblisch einen guten Hirten ausmacht. Es anzuschauen und zu sehen, worauf es in ihm eigentlich ankommt, lohnt sich, um das Miteinander in der Kirche tatsächlich neu zu gestalten; wichtiger als das Bild vom Hirten und den Schafen ist das, was deren Art miteinander umzugehen ausmacht.

Kennen kommt aus dem Hören

„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Und ich gebe ihnen unendliches Leben, dass sie nimmermehr zugrunde gehen – in Weltzeit nicht“, so lässt das Johannesevangelium Jesus sagen. Da ist eine heilvolle Begegnung möglich im Hören und Kennen. Beides gehört zusammen und ermöglicht einander: das Hören ist mit Interesse da und fühlt mit, es erlaubt allem, vorzukommen und lässt sogar nicht Gesagtes sein, es urteilt nicht, es würdigt und kann alles tragen – und das Kennen kommt aus dem Hören, es weiß um den Anderen und ist sich der Verbundenheit bewusst, es traut zu und ermutigt, und es vertraut auch, wenn der Andere neue Wege geht, es sucht nach dem Anderen, wo immer er verloren gegangen ist.

Hören und Kennen gehören untrennbar zusammen und sind von Liebe getragen. Eine solche Begegnung im Hören und Kennen schenkt „unendliches Leben“, Leben in Fülle: sie ermutigt und befreit, öffnet Türen und lässt ungeahnte Wege erschließen über vermeintliche Grenzen hinweg. Immer wieder können wir solche heilsamen Begegnungen miteinander erfahren und darin aufatmen; für jede bin ich sehr dankbar! Dass auch in der Kirche davon mehr zu erfahren ist, wird von unserem Mut abhängen, den Ballast von Rechthaberei, gegenseitigem Verurteilen, Dogmatismus und Anmaßung sein zulassen und endlich sich neu aufzumachen im Hören und Kennen – denn unendliches Leben kennt keine Grenzen.

Christoph Kunz | Magdeburg

 

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