In der Jugendstrafanstalt (JSA) im sächsischen Regis-Breitingen bei Leipzig wird künstlerisch gearbeitet. Mit dabei die Gefängnisseelsorgerin Esperanza Spierling. Sie ist seit September 2021 dort tätig. Sie hat Kunst studiert und sattelte in den pastoralen Beruf um. Ihre Kenntnisse nutzt sie, um mit den jugendlichen Inhaftierten Rosenkränzen aus Perlen zu gestalten. Bei ihrer Beauftragung zum pastoralen Dienst erzählt sie aus ihrem Leben. Und warum sie in den Knast geht…
Kunst und Glaube
Esperanza Spierling ist als Säugling getauft worden. Das war in ihrer spanischen Heimat so üblich. Die folgenden 38 Jahre ihres Lebens hat sie keinen katholischen Gottesdienst mehr miterlebt. Ihr Vater, ein Deutscher, war in jungen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Ihre spanische Mutter war kirchen-distanziert. Sie hatte mitbekommen, wie die eigenen Eltern als geschieden wieder Verheiratete ausgegrenzt wurden. Esperanza und ihre Schwester sollten einmal ihren eigenen Glaubensweg suchen, wünschten sich die Eltern. Beruflich führte der Weg die junge Frau nach der Schule zur modernen Kunst. Sie studierte in Mainz, Hamburg und Leipzig Kunst und Fotografie und hatte als Künstlerin Erfolg.
Vor über 10 Jahren wurde sie von einer überraschenden religiösen Erkenntnis ergriffen, die ihr Leben tiefgreifend veränderte. Bereits ein Jahr zuvor hatte ihr „Damaskuserlebnis“ seine Schatten vorausgeworfen. Der krebskranke Mann einer gläubigen Freundin war gestorben. Auf der Zugfahrt zur Beerdigung dachte Esperanza Spierling darüber nach, was sie der Freundin in dieser schweren Situation sagen könnte. Die Fröhlichkeit, mit der sie am Bahnhof empfangen wurde, irritierte sie. „Ich kann jetzt nicht traurig sein“, erklärte die Freundin, „es geht meinem Mann doch endlich gut. Er ist im Himmel.“
Mit Spickzettel in die Liturgie
„Obwohl ,Himmel‘ damals für mich kein passendes Konzept war, hatte ich in diesem Moment keinen Zweifel, dass er dort sein musste“, erinnert sich die Gemeindereferentin und Gefängnisseelsorgerin. Im Jahr darauf versetzte sie ein unsicherer ärztlicher Befund in große Aufregung. Unvermittelt fasste sie einen Entschluss: „Wenn alles in Ordnung sein sollte, zünde ich in der Thomaskirche eine Kerze an!“ Als sie dort ankam, probten die Thomaner zufällig gerade das Weihnachtsoratorium. Während sie in der Kirche saß und die Musik genoss, wuchs in ihr eine starke innere Gewissheit: „Gott weiß schon längst, was du ihm sagen willst. Er war schon immer bei dir und wird immer bei dir sein.“ Als sie die Kirche wieder verließ, war ihr, als schwebte sie über dem Boden. Die Gewissheit, dass Gott wirklich ist, war überwältigend stark. Da auch ihr Misstrauen stark war, das Ganze könnte eine Einbildung sein, wartete sie ein weiteres Jahr, bis sie sich zugestand, dem nachzugehen. „Ich hätte eine geistliche Begleitung gebraucht“, sagt sie im Rückblick, „aber ich wusste ja gar nicht, dass es so etwas gibt.“
Sie begann, sonntags in die Messe zu gehen, mit einem Spickzettel in der Hand, um sich in der völlig fremden Liturgie halbwegs zurecht zu finden. Es wunderte sie, dass niemand sie jemals ansprach, wo doch offensichtlich war, wie fremd sie war. Als sie eines Tages den Gottesdienst der Leipziger Basisgemeinde St. Hedwig besuchte, war das ganz anders: „Pater Gräve begrüßte mich schon am Eingang persönlich, am Ausgang lud mich jemand zum Bibelkreis ein.“ Zu dieser Basisgemeinde gehört sie noch heute. Ihre beiden Kinder – heute 13 und 15 Jahre – sind mit ihr gemeinsam wie selbstverständlich in den Glauben hineingewachsen.
Ins Gefängnis gehen, wohin Jesus ging
Ihre Kunst veränderte sich in Folge ihrer Erfahrung, und in ihr wuchs das Bedürfnis, mit Menschen zu arbeiten anstatt allein für sich im Atelier. Sie begann, in Erfurt Theologie zu studieren und wurde im Bistum Dresden-Meißen für die Ausbildung als Gemeindereferentin aufgenommen. Ihre berufspraktischen Erfahrungen machte sie in den pastoralen Verantwortungsgemeinschaften im Leipziger Süden und Norden. Ihrer Berufung am nächsten hat sie sich während ihrer Praktika im Gefängnis gefühlt. „Mir schien, dort bin ich bei den Menschen, zu denen auch Jesus immer gegangen ist. Und ich habe gemerkt, wie wichtig es für viele ist, mit jemandem zu sprechen, ohne dass es anschließend darüber Vermerke in ihrer Akte gibt.“ Diesen Weg möchte sie nach ihrer Sendung neben einer halben Stelle in der Pfarrei Philipp Neri im Leipziger Westen hat sie durch zusätzliche Praktika und einer Spezialausbildung weiter verfolgt. Auch wenn sie ihren Platz nun mitten in der Kirche hat, fühlt sie sich den Außenstehenden innerlich ganz nahe. Die Kunst hat sie zwar aufgegeben, weil sie das Gefühl hatte, sich ihr nur „ganz oder gar nicht“ widmen zu können. Dass der Umgang mit Bildern zu ihrem Wesen gehört, bleibt aber auch in ihrer seelsorglichen Arbeit spürbar. Zum Abschluss ihrer Ausbildung regte sie zum Beispiel in der Pfarrei St. Georg Kreuzwegandachten an, bei denen die Teilnehmer sich mit Kamera und geistlichen Impulsen durch ihr Stadtviertel bewegen. In der JSA Regis-Breitingen bringt Spierling ihre Kenntnisse im Projekt von Perlen-Rosenkränzen mit dem Titel #HinterGitterPerlen ein.
Dorothee Wanzek | Tag des Herrn
2 Rückmeldungen
Toll gemacht, Esperanza! Du bist eine Perle;-) Die HinterGiterPerlen / Rosenkränze haben eine eigene, kleine Geschichte, daran darf man sich beim Beten erinnern. Man darf zum Rosenkranz greifen, auch einfach den Rosenkranz festhalten, ohne ein Wort zu beten, und das hilft in schwierigen Momenten, in den Zeiten der Trockenheit oder Trauer! Perle für Perle, Schritt für Schritt durch Maria zu Jesus! Viel Erfolg weiterhin.
“Ein Rosenkranz ist eine Zähl- oder Gebetskette, die für das Rosenkranzgebet verwendet wird. Dieses Gebet kann Kraft für den Alltag geben und in Krankheit, Trauer und Leid trösten. Die Rosenkranz-Perlenkette ist ein Hilfsmittel beim Beten. Die Betenden lassen die Kette durch die Finger gleiten. Dies erinnert an die Gebetsketten und -schnüre anderer Religionen…” So lautet der Text, mit dem ich für meinen Workshop „Rosenkranzknüpfen” werbe. Die Idee, mit Inhaftierten Rosenkränze zu knüpfen, hatte ich mir während meines Praktikums in der Jugendanstalt Raßnitz bei meinem Kollegen und Mentor abgeguckt. Über dieses Rosenkranzknüpfen ergeben sich interessante, in die Tiefe führende Gespräche über Spiritualität und den Glauben an Gott. Den Workshop „Rosenkranzknüpfen“ biete ich seit zwei Jahren an. Im sächsischen Regis-Breitingen ist das Angebot beliebt.
Aus der “Perlen-Bar” Rosenkranz gestalten
Es mag überraschen, aber im Gefängnis ist ein Rosenkranz ein angesehener und begehrter Gegenstand. Obwohl die Mehrheit nicht mit dem christlichen Glauben aufgewachsen ist. Besonders wird dies in den neuen Bundesländern spürbar. Oft wird der Rosenkranz als eine Art Schmuck betrachtet. Vielleicht ist er so etwas wie ein Talisman. Inhaftierte berichten, dass sie den Rosenkranz zu ihrer Verhandlung mitgenommen und dass dieser ihnen Kraft gegeben habe. Einige Inhaftierte erfahren über die Gebetskette einen Zugang zur Spiritualität. Wer in der JSA Regis einen Rosenkranz knüpfen möchte, wird von mir von seinem Haftraum abgeholt. Wir gehen in mein Büro, es gibt einen Kaffee und Kekse. Die Inhaftierten können aus der „Perlen-Bar“ die Perlen für ihren Rosenkranz ganz individuell auswählen. Beim Rosenkranzknüpfen spürt man eine entspannende Atmosphäre. Das Einfädeln der Perlen begünstigt eine meditative Ruhe, die den Inhaftierten guttut. Ich biete an, im Anschluss an das Knüpfen zu erklären, wie man mit dem Rosenkranz betet. Das Angebot nehmen die Inhaftierten an. Dabei erkläre ich die klassische Version und wie man den Rosenkranz individueller zum beten nutzen kann.
Ein Foto-Projekt
Nachdem ich den Workshop etwa ein halbes Jahr lang mit verschiedenen Inhaftierten durchgeführt hatte, wurde mir bewusst, wie individuell und schön jeder Rosenkranz war, der in meinem Büro entstand. Manche Inhaftierte waren durchgängig begeistert von „ihrem“ Rosenkranz. So kam die Idee, die Rosenkränze zu fotografieren. Da jeder Rosenkranz ein Unikat ist und zu einem ganz bestimmten Inhaftierten gehört, machte ich ein Foto von dem Inhaftierten, wie er seinen Rosenkranz hält. Außerdem bat ich die Inhaftieren um eine Antwort auf folgende Frage: „Was hilft dir, im Gefängnis zu leben bzw. zu überleben?“ Von der Gefängnisleitung, mit der die Zusammenarbeit sehr gut ist, bekam ich die Erlaubnis für die Aufnahmen für das Fotoprojekt, das ich #HinterGitterPerlen nannte.
Sehnsucht nach “Mehr”
Wichtig ist mir bei dem Fotoprojekt, bei Wahrung der Anonymität, die Individualität eines jeden Inhaftierten zum Ausdruck zu bringen. Diese wird in den Rosenkränzen deutlich. Sie zeigt sich in der Art und Weise, wie jeder Inhaftierte seinen Rosenkranz in den Händen hält. Jeder hat seine ganz eigene Art. Inhaftierte fragen mich, wie sie den Rosenkranz halten sollen. Ich sage: „So wie es für Sie passend ist. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Es muss sich nur für SIE richtig anfühlen.“ Für manche ist die Familie wichtig oder der Kontakt nach „draußen“. Einigen hilft der Glaube. Bei Inhaftierten spüre ich eine Sehnsucht nach einen „mehr“, nach dauerhafter Geborgenheit, nach Liebe, nach einem tragenden Grund. Bei manchen wird die Sehnsucht unter dem Schein des Stark-sein-müssens verdeckt. Sie ist trotzdem da. Und diese Sehnsucht ins Bewusstsein zu heben, und in Worte zu fassen – das ist eins der Ziele meiner Seelsorge.