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Freiheit und Knastkirche: Ausgang mit einem Gefangenen

23. Juli 2024

Das gab es seit Jahren nicht mehr: Ein begleiteter Ausgang mit einem Inhaftierten des Jugendvollzuges. Der Grund war die Beantragung seines Personalausweises bei der Bürgerberatung der Stadt. Der Gefangene ist gelockert, das heißt, er darf in Begleitung des Gefängnisseelsorgers die Justizvollzugsanstalt für drei Stunden verlassen. Der Inhaftierte mit Namen Mike* will dabei noch einige Einkäufe erledigen.

Der vorgeschriebene Ausgangsschein ist nicht sofort auffindbar. Der Gefangene muss unterschreiben, dass er pünktlich wieder zurückkehrt und keinen Alkohol oder Drogen konsumiert. Dann taucht das Dokument doch noch in der Ablage auf. Etwas Bargeld nimmt der inhaftierte junge Erwachsene von seinem Eigengeld für einzelne Einkäufe mit. „Wir haben nicht alle Tage einen Ausgang“, entschuldigt sich der verantwortliche Mitarbeiter der Außenpforte.“ Die letzte Tür muss dem jugendlichen Gefangenen aufgemacht werden. Stolz mit Privatkleidung steht Mike da und zieht seine Sonnenbrille auf. „Endlich andere Luft hier draußen“, sagt der 22-Jährige.

Wohin wird die Lebens-Reise gehen? Der Gefangene lässt sich an dieser Hausbilderwand während seines Ausganges fotografieren. “Als Erinnerung an die Zeit hier”, sagt er.

Entlaßvorbereitung nach langer Zeit in Haft

Von den etwa 250 Inhaftierten sind nur zwei gelockert. “Ansonsten werden begleitete Ausführungen mit zwei uniformierten Bediensteten in Hand- und Fußfesseln zu einem Facharzt oder einem Optiker in Einzel- oder Notfällen gemacht”, erzählt ein Bediensteter. “Das alles muss von der Vollzugskonferenz und der Anstaltsleitung genehmigt werden”, fügt er hinzu. In den Corona-Jahren gab es keine Ausgänge oder “Urlaube” für Gefangene aus dem geschlossenen Vollzug. Dass der Gefängnisseelsorger alleine mit dem Gefangenen “draußen” ist, ist absolute Ausnahme geworden. In der Entlaßvorbereitung sollen Gefangene angemessen im sogenannten Übergangsmanagement auf ein Leben nach der Haft vorbereitet werden. Der 22-jährige Mike* ist mit 14 Jahren bereits in Baden-Württemberg aufgrund kleinerer Delikte inhaftiert worden. Jahre später zieht er mit seiner Familie nach Nordrhein-Westfalen. Eine zweijährige Auslandsmaßnahme der Jugendhilfe in Bulgarien schließt sich an. Zurück mit 17 Jahren wird Mike zu 5 ½ Jahren wegen Todschlags und Brandstiftung verurteilt. Die Haft verbringt er in verschiedenen Jugendgefängnissen.

Wohneinrichtung für Haftentlassene

Jetzt beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt in einer Wohneinrichtung für Haftentlassene. “Darum hat er sich sehr bemüht”, sagt der Leiter der Einrichtung. “Immer wieder hat sich der Inhaftierte über die Sozialarbeit telefonisch erkundigt, ob denn alles in Ordnung geht”, resümiert der Sozialpädagoge. Mit dem Gefängnisseelsorger durfte er die Einrichtung an einem Tag ohne Bedienstete besuchen. So bekam der junge Erwachsene einen ersten Eindruck und sprach mit den dortigen Bewohnern. Einer der Bewohner spricht sehr offen mit ihm über seinen Drogenkonsum in der Vergangenheit. Der Konsum sei in der Einrichtung auch nach der Legalisierung von Cannabis generell verboten, “aber jeder muss seine eigene Erfahrung machen” sagt er.

An “kurzer Zündschnur” arbeiten

Mike freut sich riesig auf seine Entlassung. Dann sei er ein freier Mann, sagt er. Doch das stimmt nur bedingt. Noch hat er die Auflagen der Führungsaufsicht seitens der Vollstreckungsleitung des Amtsgerichtes nicht eröffnet bekommen. Die Führungsaufsicht erhält man nach über zwei Jahren Haft. Die Auflagen können Drogen-Screenings bis hin zur wöchentlichen Meldung beim Polizeirevier sein. Mike wird der Bewährungshilfe unterstellt. Im neuen Zuhause will er sich seinem Schuldenberg stellen sowie etwas gegen seine “kurze Zündschnur” bei seinen Aggressionen tun. Eine erste Bewährungsprobe in dieser Hinsicht erfährt Mike beim dritten begleiteten Ausgang mit dem Gefängnisseelsorger, als er im Bürgerbüro erfährt, dass sein neuer Personalausweis bereits Wochen vorher durch die JVA abgeholt wurde. Er wurde diesbezüglich nicht informiert. “Resozialisierung” beinhaltet einige Hürden. Die Terminvergabe bei der Bürgerberatung erfolgt nur online. Man will doch, dass der Inhaftierte selbstständig lernt, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern. Doch die Gefangenen haben in Haft keinen Internetzugang, gibt der Gefängnisseelsorger zu bedenken.

Hilfe(n) in der Nachsorge

Am Freitag wird Mike entlassen. Die Einrichtung wird ihn abholen. Der kurz vor der Entlassung stehende Inhaftierte bittet schon einmal um den Transport-“Sprinter”, weil er so viel Gepäck hat. Dafür reicht allerdings ein PKW aus. Mike hat nicht viele Kartons an Eigentum. Sein Überbrückungsgeld in Höhe von etwa 2200 Euro bekommt er bar an der JVA-Zahlstelle ausgezahlt. “600 Euro werde ich für mich nehmen und den Rest auf das Konto der Einrichtung einzahlen. Ich brauche erst einmal neue Kleidung”, meint er freudestrahlend. Zuvor kauft er sich bei seinem Ausgang erst einmal ordentlich Tabak am City-Kiosk ein. Abends nach der Ankunft in der Einrichtung will er seine Familie überraschen, die eine Zugstunde entfernt wohnt. Ob das eine gute Idee ist? Doch das kümmert Mike als freier Mann nicht. Er hofft sehr, dass er weitere Hilfe in der Nachsorge erhalten wird. Seine fast gesamte Jugendzeit hat Mike hinter Gittern verbracht. “Hoffentlich wird er nicht versuchen alles nachzuholen, was er vermeintlich verpasst hat”, sagt der Sozialarbeiter. “Ich werde die Gefängnisseelsorger anrufen, wie es mit mir weitergeht”, verspricht Mike. “Die Knastkirche bleibt auf jeden Fall in guter Erinnerung“, stellt er fest, als er außen entlang der Mauer, am Kirchengebäude vorbei, hoffentlich ein letztes Mal in die JVA „einfährt“.

Michael King

*Name geändert

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