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Heiligtum an einem „unheiligen Ort“ der JVA Aachen

14. Juni 2023

„Überall da, wo Krisen sind, wo es um Leben und Tod geht, ist Seelsorge wichtig, um die Menschen aufzufangen und zu begleiten“, sagt Norbert Schall-Grootjans, Pastoralreferent und katholischer Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt Aachen. Das ist bei der Heiligtumsfahrt an den außergewöhnlichen Ort des Gefängnisses zum Tragen gekommen. Das Enthauptungstuch Johannes des Täufers wurde in die JVA Aachen zum Transport verlegt.

Eines der vier Aachener Heiligtümer, das Enthauptungstuch Johannes des Täufers, wurde in die JVA transportiert. Dort wurde das Tuch mit Impulsen von Inhaftierten und Bediensteten in „Berührung“ gebracht. Eine Gruppe von Bediensteten hat das Heiligtum im Aachener Dom mit dem Justizbully abgeholt und am Abend wieder zurück gebracht. Anstelle des Tuches im Aachener Dom ist die Knast-Schutzmantelmadonna im Tausch an die Stelle des Heilgtums gestellt worden. „Das war eine Erfahrung für alle, die mitgemacht haben, die ich nicht erwartet und für möglich gehalten habe“, sagt Schall-Grootjans. Mehr als 100 Inhaftierte hatten sich im Vorfeld gemeldet, die gruppenweise an geistlichen Impulsen teilnehmen und die Textilreliquie in Augenschein nehmen wollten. Norbert Schall-Grootjans wird zu dieser besonderen Aktion befragt:

Wie kam es zu dieser Aktion?

Es war eine Idee von Dompropst Rolf-Peter Cremer, die ich zunächst kaum glauben konnte. Es war ein Stück weit unvorstellbar, ein Heiligtum an einem „unheiligen Ort“ wie der Justizvollzugsanstalt zu zeigen. Das Angebot hat aber sofort eine Wirkung entfaltet. Innerhalb des Teams haben wir plötzlich ganz andere Gespräche geführt. Sowohl mit den Bediensteten als auch mit den Inhaftierten. Was ist mir heilig? Wofür steht das Heiligtum? Was macht das mit mir? Wir sind gedanklich gepilgert, beziehungsweise haben uns innerlich auf den Weg gemacht. Für die Inhaftierten ist das wichtig, da sie im Gehen und Handeln sehr eingeschränkt sind.

Warum wurde ausgerechnet das Enthauptungstuch gezeigt?

Das hat etwas mit der „Knasterfahrung“ zu tun. Die Inhaftierten kennen das Gefühl, wie Johannes eingesperrt zu sein, sich hilflos und ausgeliefert zu fühlen. Deshalb stand für uns schnell fest, dass sie zu diesem Heiligtum am wahrscheinlichsten eine inhaltliche Verbindung aufbauen können.

Ist das Bedürfnis nach Seelsorge im Gefängnis größer als draußen?

Überall da, wo Krisen sind, wo es um Leben und Tod geht, ist Seelsorge wichtig, um die Menschen aufzufangen und zu begleiten. Das gilt auch für unsere Inhaftierten. Sie wollen angeschaut und wahrgenommen werden, sie möchten Gehör finden. Insofern war es wirklich eine tolle Sache, dass die Heiligtumsfahrt sie in diesem Jahr in den Blick genommen hat. Die Resonanz darauf hat das eindrucksvoll gezeigt.

Andreas Steindl | Bistum Aachen

Hintergrund

Vier Heiligtümer werden im Dom zu Aachen gezeigt: Das Kleid Mariens, die einzige der Textilreliquien, die noch entfaltet werden kann, die Windeln Jesu, das Lendentuch Jesu und das Enthauptungstuch von Johannes dem Täufer. Karl der Große brachte die Stoffstücke um 799 nach Aachen, angeblich aus Jerusalem. Ob sie echt sind? Dafür gibt es keinen Beleg. Es kommt aber darauf gar nicht  an. Hauptsache man findet etwas für sein eigenes Leben.

Das Enthauptungstuch sprich Gefangene an. Da kann man sich wiederfinden. „Gott sei Dank wird man heutzutage nicht mehr enthauptet“, sagt ein Inhaftierter. „Aber man fühlt der Gefangenschaft nach und das was damit alles zusammenhängt“, fügt er hinzu. Menschen brauchen Identifikationsmöglichkeiten. Sie dürfen nicht als Allheilmittel und als alleiniger Hoffnungsträger missbraucht werden, aber als Spiegelbild können sie irgendwie Unterstützung sein. Und im Austausch die Knast-Madonna in den heiligen Aachener Dom zu bringen spricht für sich. 

 

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