Die Kreuzigungsgruppe in der fränkischen Rhön. Der Ausblick von diesem Punkt auf 928 m Höhe über die Rhön ist beeindruckend. Hier befinden sich das Kloster und der Sender Kreuzberg.
Dass ein Polizist zum Bankräuber wird, habe ich schon erlebt, auch dass ein Rechtsanwalt wegen Betruges einsitzt und ein Staatsanwaltssohn Einbrüche begeht. Umgedreht ist die Sache seltener, dass ein Straffälliger zu hohen beruflichen Ehren kommt. Das gibt es aber. Der hier beschriebene Fall liegt schon ein paar Jahre zurück. Nach dem apokryphen Nikodemus-Evangelium hat man dem reuigen Räuber am Kreuz einen Namen gegeben: Dismas. Dismas (auch Dysmas, Dimas oder seit dem Mittelalter Dumachus; † um 30 in Jerusalem) ist in der christlichen Tradition der Name des mit Jesus gekreuzigten „rechten“ („guten“) Verbrechers oder Schächers, der nach dem Lukasevangelium am Kreuz Reue zeigte, wofür ihm Jesus das Paradies versprach.
Nicht nur die Soldaten treiben ihren Spott mit dem Gekreuzigten als hilflosem König. Das gaffende Volk auf dem Hügel vor der Stadt tut es auch. Und selbst die Mitgekreuzigten spotten, so als wollten sie noch einmal beweisen, dass sie doch auf der richtigen Seite stehen. Die Zeugen, auf die sich Matthäus und Markus berufen, waren vielleicht die entfernt stehenden Frauen. Von Weitem und bei auflaufbedingtem Lärm sieht es so aus, als ob beide Mitgekreuzigten lästerten: „Ebenso beschimpften ihn die beiden Räuber.“ (Mt 27,44) Lukas aber kennt einen Zeugen, der ganz nahe dabeigestanden haben muss. Nur im lukanischen Sondergut ist der Dialog aufbewahrt, den man mit Recht als den ersten Heiligsprechungsprozess der Geschichte bezeichnen kann. Dem reuigen und bittenden rechten Räuber sagt Jesus: Amen, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein (Lk 23,43). Spätere Evangelienschreibung hat ihm sogar einen Namen gegeben. Nach dem apokryphen Nikodemus-Evangelium heißt er Dismas.
Räuber als Miterlöster?
Kapellen und Kirchen sind nach ihm benannt. Über die italienische Stadt Gallipoli ist er Schutzpatron. Nach alter Ortsüberlieferung soll er aus dem 15 km westlich von Jerusalem gelegenen Dorf Latrun stammen, das zur Kreuzfahrerzeit nach ihm, dem bonus latro, dem guten Banditen, den Namen bekommen hat. Das Lukasevangelium nennt nicht die irdische, aber die ewige Heimat, die Jesus ihm verspricht, Christi Reich, das Paradies mit ihm.
Über Jahrhunderte haben Prediger und Künstler über diesen Dismas nachgedacht, haben den innigen Dialog vor der Todesstunde beider meditiert, haben Fromme und weniger Fromme nicht nur Christus, sondern auch Dismas verehrt. In der Grabeskirche zu Jerusalem trifft man auf den Felsen der Kreuzigung. Pilger denken hier an die Stunde der Erlösung. Vielleicht denken die wenigsten an die beiden an gleichem Ort Mitgekreuzigten. Sind sie auch Miterlöste?
Patron der Sterbenden
Von dem einen, dem linken, können wir es nur erhoffen. Von dem anderen dem rechten, wissen wir es ganz sicher. Auf vielen mittelalterlichen Kreuzigungsszenen ist der Paradies-Satz aus dem Munde Jesu in Richtung des zugewandten Dismas geschrieben. Das gewaltige Herrenwort macht solchen, die ein Leben lang ungläubig waren, und solchen, die gravierend gegen Gottes Gebote verstoßen haben, Hoffnung. Die letzte Hinwendung zu Jesus und die letzte Reue zählen genauso viel wie lebenslange Gläubigkeit. Das provoziert. Es passt aber genau zu dem ärgerlichen Gleichnis Jesu von den Arbeitern der ersten und der letzten Stunde, die alle den gleichen Lohn bekommen.
Der große heilige Prediger Chrysostomus sagt, Dismas habe vom Kreuz her den Himmel erstürmt. Ihm hätte die ausdrucksstarke feuervergoldete frühbarrocke Bronzefigur von Georg Petel gefallen. 1626 formt der mit 32 Jahren in den Epidemien des Dreißigjährigen Krieges früh verstorbene Weilheimer Bildhauer, den man bald den deutschen Michelangelo nennt, eine Kreuzigungsgruppe. Der muskulöse gute Schächer, The good Thief, windet sich voller Energie am Kreuz. Seine Kräfte wendet der Gehängte jedoch nicht auf, um sich vom Folterholz zu befreien, sondern nur für Eines. Mit aller Macht will er Kontakt aufnehmen zu Christus neben sich, will er sprechen mit dem in der Mitte Hingerichteten. Diese letzte Stunde wird der Höhepunkt seines Lebens. Wo man später die Geschichte Jesu erzählt, spricht man auch von Dismas. Und macht ihn bald zum Patron aller Sterbenden, zum Fürbitter für einen guten Tod.
Räuber als Rechtsanwalt
Zum Patron der Gefangenen wird er auch. Ein alter Gefängnispfarrer lässt es sich nicht nehmen, im Hochgebet bei der Fürsprache der Heiligen, der Maria, des Petrus, auch immer den heiligen Dismas zu nennen. In der Frömmigkeitsgeschichte spielt Dismas eine nicht geringe Rolle. Der eben erwähnte Prediger Chrysostomus nennt ihn an anderer Stelle den Advokaten Christi, den Rechtsanwalt Jesu. Warum? Weil er inmitten des Spottens der Leute als einziger wie ein guter Rechtsanwalt den Mund laut aufmacht und sagt: Dieser hat nichts Unrechtes getan! (Lk23,42) Der Räuber rechts von Jesus wird zu seinem Rechtsanwalt.
Vom großen Astronom Kopernikus ist bekannt, dass er gerne ein Gebet gesprochen hat und wie Dismas behandelt zu werden wünscht: „Nicht Gnade nach St. Pauli Art, Vergebung nicht, wie Petrus ward. Erbarmen, wie´s der Schächer fand, erbitt´ ich, Herr, von deiner Hand.“ Auch im Hymnus „Dies irae“, der bis 1970 in jedem Totenreqiem gesungen wurde, wird an Dismas erinnert: „Hast vergeben einst Marien, hast dem Schächer dann verziehen, hast auch Hoffnung mir verliehen…“. In der orthodoxen Messe, der Göttliche Liturgie, sagt vor der Kommunionausteilung der Priester dreimal „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“. Er identifiziert sich und stellvertretend die Gemeinde bis heute mit der flehentlichen Bitte des heiligen Dismas.
Alfons Zimmer | JVAen Bochum