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Den Nagel auf den Kopf treffen. Es scheint gottverlassen

5. April 2021

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Diese Worte sind bekannt. Sie stehen in der Markus Passion. Nach über einem Jahr Leben in der Pandemie, mit unzählig entstandenen Existenznöten von Menschen in unserem Land und weltweit, nach zigtausend Toten, gibt es noch kein Ende, keine Besserung, keine „Auferstehung“ in Sicht. Liegt es da nicht nahe, sich den Worten des Herrn am Kreuz anzuschließen? „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Die ehemalige Kirche „Heilig Kreuz“ im Schlachthof in Ludwigshafen. Das Kreuz mit Christus thront über dem Bauschutt. Foto: Dieter Müller

Die Zerstörung von Gottes guter Schöpfung schreitet weiter voran, der Klimawandel zeigt sich unaufhaltsam und unsere Bemühungen, dagegen zu steuern ist viel zu zaghaft. Unsere Erde – ein hoffnungsloser Fall? „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Zehn Jahre, nachdem zum ersten Mal das Thema „sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen und durch kirchliche Mitarbeiter“ in großem Umfang bekannt wurden, sind die Ungerechtigkeiten nicht aufgearbeitet, sind die Opfer immer noch nicht angemessen entschädigt und – was viel wichtiger wäre – in ihrem Leid gewürdigt worden. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Die Rolle der Frau in der Kirche, der Umgang mit Macht und Machtmissbrauch, die Begegnung mit Menschen, die sich für so genannte alternative Lebensentwürfe entschieden haben – das sind offene Baustellen unserer Kirche. Und dann sind einige in unserer Kirche immer noch der Meinung, den Menschen bis ins Schlafzimmer hinein sagen zu müssen, was sie zu tun und zu lassen haben und welche Formen von sexueller Identität gesegnet werden dürfen und welche Sünde sind. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Kirche liegt in Trümmern

Noch immer gibt es SeelsorgerInnen und Priester, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben, die an einem Kirchenbild und einem Seelsorgeverständnis festhalten, mit dem die meisten Menschen unserer Gesellschaft schon lange nichts mehr anfangen können. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Unsere Kirche liegt in Trümmern, so scheint es. Passend dazu ein Bild von der ehemaligen Kirche „Heilig Kreuz“ im Schlachthof in Ludwigshafen. Es Symbolbild für das, wie sich Kirche aktuell darstellt. Gefühlsmäßig ist das vielleicht wie in der Situation vor 2000 Jahren: Nach dem Karfreitag sind die Freunde und Freundinnen Jesu am Ende. Entmutigt. Hoffnungslos. Perspektivlos. Alles scheint gottverlassen. Die Karfreitage in unserem Leben, in unserer Kirche in Deutschland, nehmen zu. Die Missbrauchsfälle, Stimmen aus Rom, die fassungslos machen, steigende Kirchenaustritte, ein ungewisser synodaler Weg, der Zusammenbruch unserer Kirchenfinanzen und der Druck zum Sparen, um nur die größten Kreuze zu nennen.

Christus thront noch

Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich wie die Jünger angesichts solcher Unbegreiflichkeiten mit hängendem Kopf durchs Leben tappe. Dass ich zumindest diesen Teil meines Lebens einschließen möchte so wie sich die Jünger einschließen nach dem Tod Jesu. In diesem Ruf Jesu „mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ klingen nicht nur Verzweiflung und Leiden an, sondern auch eine Hoffnung. Die Hoffnung Jesu, dass Gott ihn auch dann hört, wenn er sich von ihm verlassen fühlt. Mehr noch: die Hoffnung, dass er ihn auch dann nicht alleine lässt, wenn seine Nähe nicht spürbar und erfahrbar ist. Darum ist dieses Bild Frohe Botschaft und damit Evangelium. Über allem thront Christus, der Gekreuzigte. Auch und gerade in unserem Leiden ist er uns nahe. Er weiß, was Schmerz und Leid ist. Er geht mit uns durch die dunkelsten Täler unseres Lebens. Er lässt niemanden fallen.

Die frohe Botschaft lautet: Das Leid, der Tod, der Schmerz, die Zerstörung, sie sind nicht das Ende. Uns ist Leben in Fülle verheißen. Das relativiert nicht den Leidensweg, erspart uns keinen Schmerz. Vor der Auferstehung kommt der Tod – da kommen wir nicht drum rum. Es ist nicht mehr als eine Hoffnung. Die Zeitung „Rheinpfalz“ berichtet, dass das Kreuz erhalten werden und einen neuen Platz finden soll. Es fällt uns an den Karfreitagen unseres Lebens schwer zu glauben, dass der Satz auch umgekehrt gilt: nach dem Tod kommt die Auferstehung. Das hoffen, darauf vertrauen wir.

Predigt zum Karfreitag 2021 von Manfred Heitz | JVA Frankenthal

 

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