Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet (Joh 1, 1–18).
So klingt die Weihnachtsbotschaft im Evangelium des Johannes. Es nimmt uns als Hörende dieser Botschaft hinein in eine geheimnisvolle Erfahrung. Da ist das Wort, „logos“ in der griechischen Übersetzung, was auch Weisheit bedeutet und Sinn. Es ist das Wort Gottes, in allem Anfang gesprochen mit dem „Es werde“ über dem Tohuwabohu und von da aus wirksam durch die gesamte Schöpfung. Dieses Wort kennt kein „hätte, wäre, wenn“, als Wort Gottes ist es zugleich ausgesprochen und verwirklicht, es gilt bedingungslos.
Die Juden nennen es die „Schechina“, die Einwohnung Gottes im Menschlichen. Gott selbst hat, wörtlich übersetzt, „unter uns gezeltet“. Damit ist keine Camping-Romantik gemeint, vielmehr ist es die biblische Erfahrung der Nomaden und der durch die Wüste ziehenden Israeliten auf dem Weg hinaus aus der Knechtschaft. Die Schechina geschieht immer wieder auf den langen und mühseligen Wegen der Menschen, denn das Wort „ist Fleisch geworden“. Gott lässt sich ein in die Enge, die Bedingtheit, das Leid, das Scheitern, in die Trauer, die Ausweglosigkeit. So will es zum Klingen kommen in all den Zelten, aufgestellt auf unseren Wegen, wo Not ist: da sind die Zelte flüchtender Menschen und die in den Kriegsgebieten wie im Gazastreifen, Zelte nach einem Erdbeben für die, die ihr Zuhause verloren haben und Zelte, die von den Rettungskräften aufgebaut werden, um Verletzte zu versorgen wie am Magdeburger Weihnachtsmarkt.
Du, Mensch…
Solche vorübergehend aufgebaute Zelte zum Schutz und zur Versorgung der Menschen sind das Bild, das die Bibel im Johannesevangelium nutzt: im geteilten Mitgefühl, in helfender Fürsorge und im gewährten Schutz verwirklicht sich Gottes Wort, es wird Fleisch. Das Evangelium berichtet, dass Gott sich einließ in dieses kleine Kind Jesus der Maria und des Josef, auf der Flucht geboren, ausgesetzt der Verfolgung – und schon nach 33 Jahren am Kreuz auf Golgotha hingerichtet.
Mit ihm, dem Menschensohn Jesus von Nazareth, wurde offenbar, dass mitten in einer Welt voller Gewalt Gottes Wort zeltet: es wird menschlich erfahrbar, in Hingabe und Gewaltlosigkeit ausgesetzt und verletzlich. Vor ihm und nach ihm leben bis heute Menschen mutig diese Wirklichkeit. Im Wort Gottes gibt es keine Grenzen, ob Juden, Christen, Muslime, Hinduisten oder anders suchende Menschen – wo immer und wer auch immer sich einlässt in diese Wirklichkeit, lebt und wirkt aus Verbundenheit und deshalb in großer Kraft. Und weil es das Wort Gottes ist, brauchen wir selbst nicht viele Worte machen, denn das entscheidende Wort ist in der Weihnacht von Gott selbst her schon gesprochen und wirksam: „Ich liebe dich, du Mensch!“ Dies mag uns Trost sein in unserer Sprachlosigkeit angesichts des Wahnsinns in unserer Welt.
Auf dem Weg sein
Im Psalm 139, einem sehr persönlichen Gebet, heißt es (übertragen von Arnold Stadler): „Und sage ich: Nacht soll über mich kommen, Nacht statt Licht, wird die Nacht keine Nacht sein, die Nacht wird taghell sein für dich, Gott, die Finsternis wird leuchten. Denn ich bin im Innersten ganz deine Schöpfung, du hast mich gemacht im Bauch meiner Mutter. Ich danke dir, dass du so etwas Merkwürdiges geformt hast wie mich! Ich weiß, dass es wunderbar ist, was du tust. Als ich da im Dunkeln entstand, war nichts an mir dir verborgen… Und nun: durchleuchte mich noch einmal und stoß auf mein Herz: sieh mich an und urteile, was du von mir hälst! Bin ich nicht auf deinem Weg? Hilf mir, auf deinem Weg zu sein!“
Christoph Kunz | Titelbild: Misereor-Hungertuch 2025/2026 „Liebe sei Tat“ von Konstanze Trommer