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Gesundheitsversorgung und -förderung in Gefängnissen

1. Oktober 2025

Inhaftierte sind eine gesundheitlich vulnerable Gruppe: Hohe Krankheitslasten, fehlende Selbstbestimmung und isoliert in der Gesundheitsversorgung nach dem „Äquivalenzprinzip“. Erkrankte in Haft sollen nicht schlechter gestellt sein. Im Heft impu!se der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e.V. werden unterschiedliche Gesundheitsaspekte in Haft vorgestellt. Der Themenschwerpunkt beleuchtet die Problemlagen und lässt Betroffene zu Wort kommen.

Foto: Astrid Bauer-Wunderle

Menschen fallen mit Haftantritt als Erste aus dem Kranken- und Rentenversicherungssystem raus und können Versorgungspfade nicht mehr selbst wählen, sondern sind darauf angewiesen, was vor Ort machbar ist. Aber nicht nur für die Inhaftierten ist das Gefängnis eine massive gesundheitliche Belastung, sondern auch für die dort arbeitenden Menschen sowie für die An- und Zugehörigen von Inhaftierten. „Healthy Prisons“ wären ein schönes Ziel und doch sind die Aktivitäten in Deutschland in diese Richtung sehr überschaubar. Die knapp 44.000 Menschen, die aktuell inhaftiert sind, davon 94 Prozent Männer, sind eben keine sehr große Bevölkerungsgruppe, aber eine mit riesigen Herausforderungen für Gesundheitsförderung und -versorgung.

Wie ist Gesundheitsversorgung in Haft geregelt?

Bereits vor der Inhaftierung befinden sich viele Personen in einer schlechten sozialen und gesundheitlichen Situation. Diese ist häufig durch Armut, prekäre Lebensverhältnisse und mangelnden Zugang zu medizinischer Versorgung gekennzeichnet, aber auch durch Suchterkrankungen und psychische Auffälligkeiten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Inhaftierte im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung vermehrt an chronischen, psychischen oder Suchterkrankungen leiden. Die Gesundheitsversorgung wird während einer Inhaftierung von den Justizverwaltungen der Bundesländer über die sogenannte Heilfürsorge übernommen. In den Anstalten haben die inhaftierten Personen Zugang zu ärztlicher Versorgung. Eine freie Ärzt:Innenwahl besteht aber nicht. Fachärztliche Behandlungen können entweder durch interne oder externe Fachkräfte in der JVA oder in öffentlichen Krankenhäusern durchgeführt werden. Der Transport erfolgt unter Bewachung und oft gefesselt. In einigen Bundesländern gibt es auch Justizvollzugskrankenhäuser mit einem größeren Behandlungsspektrum.

Laut den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer sollen die Leistungen der Heilfürsorge denen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Dazu zählen Ansprüche auf Vorsorgeuntersuchungen und Präventionsmaßnahmen. Bei Frauen wird dies durch gynäkologische Untersuchungen ergänzt und während einer Schwangerschaft besteht der Anspruch auf ärztliche Behandlung und Hebammenhilfe.  Besondere Versorgungsbedarfe im Justizvollzug Da viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, sind Infektionskrankheiten wie Hepatitis, HIV und AIDS im Strafvollzug ein ernstes Thema. Übertragungswege sind unter anderem gemeinsamer Drogenkonsum mit nicht sterilen Spritzen oder ungeschützter Geschlechtsverkehr. Medizinische Dienste oder externe Beratungsstellen informieren daher über Schutzmaßnahmen.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Suchtbehandlung. Bei 44 Prozent der Inhaftierten wird eine Drogen- oder Alkoholproblematik festgestellt. Obwohl der Konsum in Haft verboten ist, sind Drogen in der Regel verfügbar. Dies kann zu Konflikten führen, beispielsweise durch Abhängigkeiten untereinander oder Beschaffungsdruck, und auch zu Disziplinarmaßnahmen durch die Anstalt. Daher gibt es in vielen Anstalten Angebote externer TrägerInnen der Suchthilfe sowie die Möglichkeit einer Substitutionsbehandlung mit Methadon. Die Regelungen hierzu unterscheiden sich allerdings je nach Bundesland. Auch die psychische Gesundheit spielt eine zentrale Rolle. Studien zeigen, dass mehr
als die Hälfte der Inhaftierten an einer psychischen Störung leidet. Ein Teil dieser Probleme bestand bereits vor der Inhaftierung. Die Bedingungen im Gefängnis – Enge, Isolation und fehlende Privatsphäre – verschärfen die Situation zusätzlich. Seit vielen Jahren stellen ExpertInnengremien fest, dass die psychologische und psychiatrische Versorgung überwiegend unzureichend ist. Aus diesem Grund wird ein deutlicher Ausbau des Angebots gefordert. Besonderes Augenmerk ist auf das erhöhte Suizidrisiko im Vollzug zu richten, welches in den ersten Monaten der Inhaftierung als am höchsten eingeschätzt wird.

Mögliche Perspektiven

Der Strafvollzug ist vor allem auf junge Männer ausgerichtet. Kleinere Gruppen werden benachteiligt. So haben Frauen häufig schlechteren Zugang zu Fachärzt:innen und psychiatrischer Behandlung. Für pflegebedürftige (ältere) Menschen gibt es keine eigenständige Regelung im Sinne der Pflegeversicherung. Diese Personen sind daher oft auf die Unterstützung anderer Gefangener angewiesen, beispielsweise bei der Körperpflege. Eine weitere Schwierigkeit stellt die zunehmende kulturelle und sprachliche Vielfalt in den Anstalten dar. In Berlin sind beispielsweise über 80 Nationalitäten vertreten. Sprachbarrieren erschweren die Kommunikation bei der Vermittlung von Regeln und der Formulierung von Rechten. Besonders problematisch sind sie jedoch bei der medizinischen Versorgung. Seit ihrer Entstehung sind Gefängnisse Anstalten des Mangels. In Zeiten knapper Kassen ist es jedoch besonders schwierig, Leistungen für die Arbeit mit TäterInnen sicherzustellen. Besonders dramatisch ist der Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich, was die ohnehin anspruchsvolle Arbeit zusätzlich
erschwert. Vor diesem Hintergrund werden verschiedene Lösungen diskutiert.

Eine Möglichkeit ist der Ausbau der Telemedizin, der in vielen Anstalten bereits angelaufen ist. Eine grundlegendere strukturelle Reform zielt auf den Vorschlag ab, die getrennten Systeme zusammenzulegen. So könnte die Verantwortung für die Gefängnismedizin in die Hände der kommunalen Gesundheitsversorgung übergeben werden, wie es auch der Europarat in der seiner zweiten Empfehlung im Jahr 2006 (Rec(2006)2) vorschlägt, um den Strafvollzug aus seiner Sonderstellung herauszuholen. Zudem könnten medizinische Fachkräfte flexibler eingesetzt werden – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gefängnisse. Ein durchgängiges Versicherungssystem würde außerdem Probleme beim Ein- und Austritt vermeiden. Inhaftierte Personen haben ein Recht auf angemessene Gesundheitsversorgung. Dieses Recht darf auch in Zeiten knapper Haushaltsmittel nicht infrage gestellt werden. Für die Zukunft sind diesbezüglich deutliche Verbesserungen seitens der Justiz erforderlich. Die Politik und die Öffentlichkeit müssen dafür sensibilisiert werden. Zum Heft: impu!se

Christina Müller-Ehlers, Frank Wilde BAGS

 

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