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Leben mit Demenz. Auch in Lebensälteren-Abteilungen

30. April 2022

Mit einem ökumenischen Fernsehgottesdienst haben die evangelische und katholische Kirche in der Leipziger Nikolaikirche die bundesweite ökumenische Aktion „Woche für das Leben“ eröffnet. Unter dem Titel „Mittendrin. Leben mit Demenz“ macht diese auf die Situationen von Menschen mit Demenz aufmerksam und will einen Umgang mit der Krankheit fördern, der Ängste abbaut. In Justizvollzugsanstalten gibt es immer mehr sogenannte „Lebensälteren-Abteilungen“, in denen Inhaftierte leben (müssen). Demenz ist im Vollzug ein Thema geworden.

Die Woche für das Leben 2022 stellt Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt. Sie holt Menschen in die Mitte der Gesellschaft, die sich scheinbar immer mehr in eine eigene Welt zurückziehen; die sich nicht mehr mit einer leistungsstarken Selbstsicherheit durchs Leben bewegen; deren Erinnerungsvermögen schwindet und deren Persönlichkeit sich zunehmend verändert. Wenn wir der Demenz begegnen, stoßen wir schnell darauf, dass die sonst so selbstverständlichen Logiken unserer Welt nicht mehr tragen.

Teilhabe am Leben

Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Franz-Josef Bode  aus Osnabrück, betont in seiner thematischen Einführung, dass sich für an Demenz Erkrankte vieles ändert: „Es geht nicht mehr um immer mehr – immer besser, schneller und größer zu sein als andere. Eigenschaften, die viele einem gelingenden, würdevollen Leben zuschreiben, sind immer weniger greifbar.“ Da könne es entlasten und trösten zu wissen, dass die Würde des Menschen nicht von seiner Gesundheit, seiner Geisteskraft oder seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung abhänge, sondern unverlierbar sei. „Gott ist der Garant der Würde des Menschen. Seine Eigenschaften – vor allem sein unerschöpflicher Beziehungswille und seine Liebe – zeigen auf, worin der Mensch die Kraft seines Lebens finden kann: in der mitfühlenden Begegnung, in der Gemeinschaft, im Gegenüber zu Gott“, so Bischof Bode. Mit Blick auf die Gesellschaft forderte er: „Menschen mit Demenz haben einen Platz in unserer Mitte. Sie sind wertvolle Glieder unserer Gemeinschaft und sie sollen – mit ihren Angehörigen – am gesellschaftlichen Leben teilhaben dürfen.“ In diesem Anliegen unterstützen die Kirchen auch die „Nationale Demenzstrategie“ der Bundesregierung, in der sich seit 2020 viele Akteure engagieren.

Menschen mit Demenz sind Unikate

Wie in den vergangenen Jahren war die Eröffnung der Woche für das Leben von einer thematischen Podiumsdiskussion geprägt, die live vom MDR gestreamt wurde. In der von Andrea Ballschuh moderierten Diskussion sprach sich Franz Müntefering, ehemaliger Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisation (BAGSO), für eine Stärkung der Arbeit mit an Demenz erkrankten Menschen vor Ort aus: „Lokale Allianzen für Menschen mit Demenz sollten eine verbindliche Aufgabe für jede Kommune sein. Die praktische Durchführung kann bei Vereinen und Organisationen liegen, die beraten, unterstützen und sensibilisieren.“ Zudem betonte Müntefering: „Menschen mit Demenz sind keine Fälle. Sie sind Unikate, wie Menschen ohne Demenz auch.“

Dr. Verena Wetzstein, Studienleiterin der Katholischen Akademie Freiburg, verwies auf die biblisch begründete Würde eines jeden Menschen: „In der zentralen biblischen Botschaft, dass jeder Mensch Geschöpf Gottes und sein Ebenbild ist (Gen 1,26), gründet das christliche Verständnis vom Menschen: In der Beziehung zu Gott und nicht etwa im Vorhandensein oder in der Abwesenheit von Eigenschaften liegt seine Würde begründet.“ An diesem Leitsatz müsse sich unser Handeln messen: „und zwar mit allen Menschen, den gesunden und kranken, den jungen und alten wie auch den Menschen mit Demenz“.

Demenz im Vollzug

Der Umgang mit Demenz und Inhaftierung ist schwierig. Immer mehr sind ältere Menschen in den Justizvollzugsanstalten in sogenannten Lebensälteren-Abteilungen untergebracht. Dr. Elisabeth Quendler von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Justizvollzugskrankenhaus Berlin schildert dies an einem Beispiel:  Im Justizvollzug trat Herr X. wegen Sachbeschädigung, Fahren ohne Fahrerlaubnis und zuletzt auch mehrerer Körperverletzungen an Radfahrern mehrmals strafrechtlich in Erscheinung. Schon im Jahr 2002 wurden ihm „krankheitsbedingte Defizite“, „charakterliche Auffälligkeiten“ und „nicht unerhebliche Anpassungsprobleme“ an die neue Lebenssituation attestiert; Zusätzlich wurde auch von „leichter kognitiver Demenz“ gesprochen. Innerhalb des Justizvollzugs zeigte sich „unverständliches und unangenehmes Verhalten“, aufgrund dessen Herr X. besonderen Schutzes vor Mitgefangenen bedurfte.

Wegen zunehmender Schwierigkeiten im geschlossenen Justizvollzug und zur Prüfung der weiteren Haftfähigkeit wurde Herr X. in die Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Justizvollzugsanstalten verlegt. Im Laufe seines stationären Aufenthalts auf der psychiatrischen Station zeigten sich immer klarere Symptome einer Alzheimer-Demenz. Zweifach, im Abstand von sieben Monaten, wurden Anträge auf Haftentlassung wegen Haftunfähigkeit gem. § 455 StPO gestellt, die jedoch von der Staatsanwaltschaft abgelehnt wurden. Es stellt sich die berechtigte Frage, welchen Zweck die Unterbringung eines Alzheimer-Demenz-Patienten mit fortgeschrittenem kognitivem Abbau im Regelstrafvollzug erfüllt.

 

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