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Gesichter der Einsamkeit und Isolation in Coronazeit

22. September 2020

Als Gefängnisseelsorger im Jugendmaßnahmenzentrum im schweizerischen Utikon begleite ich junge Menschen, die während der Covid-19-Pandemie ihre Strafe verbüßen. Was zuvor selbstverständliche Möglichkeiten waren, um Kontakt mit der Außenwelt zu pflegen (Besuche von Familie und Freunden, Urlaubstage), ist seit mehreren Wochen aufgrund von Kontaktverboten nicht möglich. Je länger die Pandemie dauert, desto mehr sind die seelischen und psychischen Auswirkungen der Isolation zu beobachten.

Bei vielen jungen Straftätern löst diese Isolation Wut, Frustration, Sehnsucht oder Traurigkeit aus. In diesem Artikel gebe ich anhand eines Fallbeispiels einen Einblick in die Herausforderungen, denen sich Inhaftierte zurzeit stellen müssen und zeige auf, wie diese Menschen in der Seelsorge unterstützt werden können. Dabei konzentriere ich mich besonders auf das transaktions-analytisch beratende Seelsorgegespräch mit dem Inhaftierten.

In diesem ersten Schritt des Gesprächs war es wichtig, dem Klienten Raum und Zeit zu geben, ihm zuzuhören und ihn aussprechen zu lassen, was ihn beschäftigte. Diese Phase ermöglichte einen fruchtbaren Dialog, da sie eine empathische Grundhaltung der Seelsorgeperson erkennen lässt und Raum für Beobachtung und Eruierung der Themen gibt, die den Insassen belasteten. Ich erarbeitete mir gedanklich die nächsten Schritte, wobei ich mich insbesondere auf meine Möglichkeiten der Unterstützung, seine Bedürfnisse und Ressourcen und Ansatzpunkte an seinem eigenen Glauben fokussierte. In der Reflexion kam mir das Bild eines Tunnels in den Sinn. Wenn man mit dem Auto in einen Tunnel fährt, muss man sich konzentrieren, insbesondere, wenn er nur mit einer Spur ausgestattet ist. Dieses Bild schien mir symbolisch für eine existenzielle Not. Ich teilte diesen Gedanken mit dem Klienten und merkte, dass dieses Bild, mit dem er sich in gewisser Weise identifizieren konnte, seine Aufmerksamkeit weckte. Er antwortete an das Bild anknüpfend mit einigen Überlegungen und Bemerkungen. Ich ging einen Schritt weiter, indem ich das Bild weiter entfaltete und ihm Fragen dazu stellte:

♦  Im Tunnel ist die Sicht begrenzt. Was sieht er und was sieht er nicht, wenn es um seinen Weg geht? 

♦  In wie weit ist er in der Lage, die Situation zu akzeptieren und trotz Schwierigkeiten weiter „durch den Tunnel zu fahren“?

♦  Welche Bedeutung hat sein Glaube, sein Gottvertrauen in dieser schwierigen Lebensphase?

♦  Der Tunnelweg hat seinen Anfang und sein Ende. Man fährt aufmerksam, um sein Ziel zu erreichen. Was sind seine Ziele?

♦  Gibt es etwas Positives, Schönes in der Gegenwart, an dem er sich freuen kann, um seine Kräfte/Ressourcen zu sammeln und zu stärken?

Ich stellte bewusst mehrere Fragen, um seine Selbstreflexion zu aktivieren und um ihn darin zu unterstützen, sich auf visuelle Weise selbst besser zu verstehen und sein Selbstgefühl verbessern zu können. Ich beobachtete einen Erfolg in diesem Anliegen, denn er erzählte mir, dass er seine Ausbildung abschließen möchte und wie er in der Zukunft seine Freiheit gestalten wolle. Aktuell sei sein größtes Bedürfnis aber, endlich seine Familie zu sehen und sich von der derzeitigen Monotonie und Isolation zu befreien. In der Verwendung des Begriffs Monotonie sah ich deutlich einen Mangel an Beziehung und Lebendigkeit. Er wolle endlich raus in den Urlaub, um aus dieser Monotonie auszubrechen. Das Warten mache ihn müde, er habe genug davon und er sei frustriert.

Ich kehrte zurück zum Bild des Tunnels und wiederholte die Frage, was er brauche, um den Tunnel zu durchqueren. Er lese gern, aber er habe Probleme mit der Konzentration. Ich schlug ihm vor, zunächst bewusst nur über eine bestimmte Zeitspanne und tendenziell eher weniger zu lesen, dabei aber besonders konzentriert zu sein. Wenn ihn ein Wort oder ein Satz berühre oder besonders interessiere, könne er unterbrechen und sich fragen, was diese Worte bei ihm auslösen. Er erklärte mir darauf, das Thema Familie liege ihm am Herzen. Er habe einen guten Draht zu seiner Mutter, seinem Vater und seiner Schwester. Ich verbalisierte sein Bedürfnis nach familiärem Kontakt und berührte den sensiblen Punkt des Verlustes seiner wichtigsten Kontakte während der Corona-Pandemie. Er schien sich zwar bewusst zu sein, dass ihn die Abwesenheit seiner Liebsten schmerzte und es das Leben hinter Gittern noch schwerer machte, aber er schien nicht zu sehen, welche psychischen, emotionalen und seelischen Reaktionen dieser Verlust bei ihm auslöste.

Er hörte zu, als ich ihm meine Beobachtungen schilderte und sein Schweigen ließ mich vermuten, dass meine Wahrnehmung stimmte. Das Gespräch dauerte über eine Stunde. Ich schlug ihm vor, trotz der Corona- und seiner ganz eigenen Krise sein tägliches Gebet weiterzuführen und signalisierte ihm meine Bereitschaft, gemeinsam mit ihm zu beten. Er war einverstanden und ich betete für ihn, wobei ich Worte der Kraft und des Vertrauens suchte, die ihm helfen sollten, seine schwierige Lage auszuhalten. Das Gebet war ein guter Abschluss des Gesprächs und ein heilender, beruhigender Faktor. Das Gebet ist m. E. ein wesentliches Element im gesamten seelsorglichen Prozess, denn es hat eine positive Wirkung auf Klienten, es vermag Trost zu geben und die Beziehung zwischen Klient und Seelsorgeperson zu verstärken.


Begegnung

Das beschriebene Gespräch zeigt exemplarisch, dass in der Corona-Krise das Bedürfnis nach Seelsorge stärker als sonst ist. Strukturgebende Verhaltensmuster wie das regelmäßige Aufräumen und Säubern der Zelle werden vernachlässigt, weil es keinen positiven Beweggrund gibt, was die Entschuldigung des Klienten für seine Unordnung vermuten lässt. Ich hatte den Eindruck, dass ihm das Seelsorgegespräch in dieser Krise einen gewissen Halt und Ablenkung gab und er sich von der Begegnung erhoffte, Lösungsansätze und Ressourcen gemeinsam zu eruieren. Seelsorgliche Begegnung öffnet Raum für Austausch, was in einem geschlossenen System wie dem Gefängnis sehr wertvoll ist, da monotone Abläufe das Leben dort bestimmen. Zusätzliche Isolation während der Corona-Pandemie – im Gespräch verbildlicht durch das Tunnel-Symbol – verstärkt das Gefühl von Monotonie und hinterlässt seelische Spuren. In diesem Zustand öffnet Begegnung eine Tür für neues Erleben und neue Erkenntnisse.

Beziehung

Beziehungen erfüllen verschiedene Aufgaben. Durch meine Erfahrung als Gefängnisseelsorger weiß ich, dass gerade junge Menschen des Austauschs und Dialogs bedürfen, um mitzuteilen, was sie schmerzt, was sie beschäftigt und um nach Zukunftsperspektiven zu fragen. Besonders jungen Strafftätern, die in ihrer Entwicklungsphase existenziell erschüttert wurden, kann Beziehung helfen, ihre Welt aus anderen Perspektiven zu sehen. In Seelsorgegesprächen mit Gefangenen nehme ich wahr, dass Konfrontationen oft heilsam sein können, da sie Selbstreflexion ermöglichen und ein neues Verständnis der eigenen Person fördern können. Diese heilsame Wirkung der Gefängnisseelsorge ist nur möglich, weil die Seelsorgeperson unter Schweigepflicht steht. Der Klient kann sich ohne Angst vor Stigmatisierung öffnen und das bietet ein starkes Fundament für eine funktionierende Beziehung zwischen ihm und der oder dem Seelsorgenden.

Im beschriebenen Beispiel und auch in vielen anderen Gesprächen spielt die Beziehung noch eine andere Rolle: Sie ermöglicht dem Klienten, Wertschätzung als Mensch zu erfahren, der nicht nur aus Defiziten besteht, die durch seine Straftat deutlich wurden, sondern auch aus anderen Persönlichkeitsmerkmalen, Gaben und Fähigkeiten. Das wurde insbesondere dadurch deutlich, dass Tom im Laufe des Gesprächs von seinen Zukunftswünschen sprach und sich traute, über seine inneren Bedürfnisse zu sprechen. Dazu zählte m.E. besonders das nicht zu befriedigende Bedürfnis nach Berührung, das er zwar nicht verbalisierte, aber das in dem mehrfach geäußerten Wunsch, seine Familie endlich wieder auch persönlich zu sehen, spürbar wurde. Die Beschränkungen von Kontakt und das Gebot körperlicher Distanz gelten im Gefängnissystem oder durch besondere Maßnahmen auch in normalen Zeiten, doch durch die Pandemie wurden Kontaktbeschränkungen weiter verschärft, sodass sonst selbstverständliche Berührungen wie ein Händeschütteln, die Umarmung von den Eltern, der Kuss der Freundin im Besuchsraum etc. nicht mehr möglich waren.

Auch Aktivitäten, bei denen ein Sicherheitsabstand von zwei Metern nicht gewährleistet werden konnte, beispielsweise gemeinsames Spielen in einer Gruppe, blieben verboten. Müller, Oerlinghausen, Kiebgis betonten in ihrem Buch „Berührung. Warum wir sie brauchen und wie sie uns heilt“ (2018), dass „Berührung […] zu den Grundbedürfnissen des Menschen [gehört]. Ein Mangel daran kann nachweislich krank machen. […] Die Haut ist das Organ, an dem unser Selbstbewusstsein, unsere Identität hängt und das über eine eigene Intelligenz verfügt. […] [Berührungen sind] Teil unseres biologisch-seelischen Urprogramms. Sie sind unverzichtbar für den Erhalt unserer Gesundheit und mobilisieren als Lebenselixier unsere Selbstheilungskräfte.“ Mit den Kontaktbeschränkungen der Corona-Pandemie kann diese Quelle von Lebenskraft nicht ausgeschöpft werden.

Zuhören

Um die Bedeutung des Zuhörens zu verdeutlichen, lohnt es, einen Blick in die chinesische Sprache zu werfen. Dort besteht das Wort „Zuhören“ aus vier einzelnen Schriftzeichen, nämlich je einem für Augen, Ohren, Herz und König. Jemandem zuzuhören bedeutet also nicht nur, das Gesagte mit den Ohren wahrzunehmen, sondern den Menschen gleichzeitig auch zu beobachten („Augen“), empathisch zu sein (“Herz”) und ihm ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen („König“). Dieses Bedürfnis wird oft unterschätzt und bei Tom spürte ich die Sehnsucht, von jemandem gehört zu werden, sehr deutlich daran, dass er zu Beginn unseres Gesprächs unruhig war, als habe sich viel in ihm angestaut, das ausgesprochen werden will. Das bestätigte sich auch dadurch, dass er den Raum, den ich ihm am Anfang des Gesprächs ließ, nutzte, um seine Gedanken, Sorgen und Sehnsüchte zu artikulieren. Ich konnte in dieser Phase des Zuhörens Beobachtungen machen, die halfen, an den richtigen Stellen in die Tiefe zu gehen und beispielsweise das Tunnel-Bild anzubringen.

Spiritualität

Spiritualität ist Lebendigkeit, die aus Glauben wächst und die für alle Lebensbereiche und Teile des Menschen fruchtbar gemacht werden kann. Sie äußert sich in körperlicher Lebendigkeit, aber auch in Lebendigkeit des Denkens, der Gefühle, des Engagements in der Gesellschaft und sie befähigt Menschen zu tiefgreifender religiöser und göttlicher Erkenntnis. Anselm Grün sprach in seinem Buch „Der Himmel beginnt in dir“ (1999) von der Spiritualität von unten, die ihren Ursprung bei den Wüstenvätern habe. „Die Spiritualität von unten zeigt uns, dass wir über die genaue Selbstbeobachtung und die ehrliche Selbsterkenntnis zu Gott kommen. Was Gott von uns will, das erkennen wir nicht in den hohen Idealen, die wir uns machen. […] Die Spiritualität von unten meint, dass ich […] meine Berufung nur entdecken kann, wenn ich den Mut habe, in meine Realität hinabzusteigen, mich mit meinen Leidenschaften, mit meinen Trieben, mit meinen Bedürfnissen und Wünschen, zu beschäftigen und der Weg zu Gott führt über meine Schwächen, über meine Ohnmacht. In meiner Ohnmacht erkenne ich, […] was er aus mir formen kann, wenn er mich ganz mit seiner Gnade erfüllt.“ Das Bild vom Tunnel, das ich im Gespräch genutzt habe, eröffnete auch eine spirituelle Ebene, die ebenfalls aus eigenen Realitäten heraus wächst.

Toms Ohnmacht, die Beziehungsgrenzen, die er aufgrund des Virus erlitten hat und die unerfüllten Bedürfnisse brachten ihn in seelische und psychische Not, symbolisiert durch den langen und schmalen Tunnel. Dafür gibt es leider keine schnelle Behandlung und kein Medikament. Wenn sich aber der Mut finden lässt, in die eigenen Realitäten hinabzusteigen, sie als solche zu spüren und auch Schmerz wahrzunehmen, so können sie zu Gott hinaufführen. Ich habe ihm vorgeschlagen, für ihn zu beten und bei Gott seine Not abzulegen, um ihm einerseits diesen spirituellen Weg zu eröffnen und da ich andererseits – wie bereits erwähnt – die Erfahrung gemacht habe, dass das Gebet für viele Klienten ein befreiender und vertrauensbildender Schritt sein kann.

Rituale

In seinem Buch „Geborgenheit finden – Rituale feiern“ erarbeitet Anselm Grün, dass Rituale für Menschen eine konkrete Hilfe darstellen können, „Leben selbst in die Hand zu nehmen und ein Gespür dafür zu entwickeln, dass sie selber leben, statt gelebt zu werden. Rituale helfen ihnen dabei, Geschmack an ihrer Identität zu bekommen.“ Gerade deswegen spielen Rituale im Gefängnis eine wichtige Rolle. Sie bringen Ordnung und Struktur in das innere und äußere Leben von Gefangenen und geben ihnen so die Möglichkeit, in dieser Ordnung einen Platz und Sinn zu finden, sodass sie ihr eigenes Leben als wertvoll ansehen können. Wie heilsam Rituale sein können, erlebe ich als Seelsorger immer wieder, denn ich beobachte, wie sie die Kraft entfalten, das Leben von Menschen zu formen und positive Veränderung zu bringen. Besonders bei jungen und in einer Depression oder Krise steckenden Menschen stelle ich oft fest, dass sie mit Hilfe von Ritualen ihren Alltag strukturieren lernen und dadurch einen Ausweg finden.

Im Gespräch mit Tom erkannte ich, dass ihm ein wichtiges Ritual, das Lesen, mit der Corona-Zeit abhandengekommen war. Ich bestärkte ihn darin, sein Ritual wiederaufzunehmen und wieder mit dem Lesen zu beginnen mit der Intention, dass er so seine innere Haltung aufrichten und vielleicht sogar einen Weg aus seiner persönlichen Krise finden kann. Möglicherweise begegnet er auf diesem Weg auch Worten und Texten, die ihm Kraft, Hoffnung, einen wichtigen Impuls oder eine besondere Idee geben.

Imagination

Als ich im Gespräch mit Tom auf das Bild des Tunnels zu sprechen kam, markierte dies einen Wendepunkt in unserer Unterhaltung. Ich beobachtete, wie Tom durch dieses Bild Zugang zu seinen eigenen Gedanken, Empfindungen und Wünschen fand. Durch die Vorstellung eines Tunnels schien er besser verstehen zu können, wie sehr ihn die Isolation belastete, wie sehr er seine Familie vermisste, aber auch, dass er am Ende des Tunnels Lichtblicke, wie den Abschluss seiner Ausbildung, sehen konnte und darauf hinarbeiten wollte. Mit diesem Effekt von Imagination hat sich auch Verena Kast in ihrem Buch „Imagination. Zugänge zu inneren Ressourcen finden“ (2012) beschäftigt. Imagination definiert sie dort als „Tätigkeit unserer Vorstellungskraft, unserer Einbildungskraft, von Phantasie, von Tagträumen.“

Wenn ich in meiner seelsorglichen Arbeit mit sprachlichen Bildern arbeite, dann kann durch die Nutzung von Vorstellungskraft und Phantasie eine ganz neue Dynamik und Kraft entfaltet werden. Nicht ohne Grund gibt es das Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Ein Bild kann eine geistige Anregung sein, eine Verbildlichung der eigenen Möglichkeiten und es kann einen ganz neuen Zugang zum eigenen Lebensentwurfs legen. Zudem lässt sich in einer gedanklichen Bildebene eine individuelle Freiheit spürbar machen. Kast stellte außerdem heraus, dass man „Vorstellungen […] nicht nur für sich selbst [hat], wir teilen sie mit anderen: Werden sie miteinander geteilt, bewirken sie Nähe, sie verstärken die emotionale und soziale Bindung.“ Nutzt man Bilder im Seelsorgegespräch, so eröffnet man zwischen Seelsorgeperson und Klient eine gemeinsame, tiefe Ebene, die die Beziehung zwischen beiden nachhaltig stärken kann. Besonders während eines Isolationserlebnisses ist menschliche Beziehung essentiell – das zeigt u.a. Toms Bedürfnis nach Nähe und Berührung.

Worte beschränken manchmal, anstatt zu befreien, wenn man über die eigene seelische Welt sprechen will, sie aber nicht zu verbalisieren weiß. Bilder hingegen nehmen die Situation gedanklich vor, sehen mögliche Folgen voraus, eröffnen praktische Lösungen und implizieren unbewusste Vorgänge. „In unseren Bildern ist immer auch unser momentanes Verständnis von uns selbst und der Welt, das Verständnis unserer gegenwärtigen Beziehungsmöglichkeiten abgebildet. Sich selbst zu verstehen hat aber immer schon einen therapeutischen Aspekt.“ Kasts Sicht auf Imagination sehe ich in meinem Gespräch mit Tom bestätigt, denn als Tom sein Seelenleben anhand des Tunnelbildes verbalisieren konnte, ermöglichte es Zugang zu seinen eigenen Ressourcen und ich stellte auch eine veränderte Selbstwahrnehmung bei ihm fest.

Fazit

Toms Fall zeigt, dass die derzeitigen Kontaktbeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie tiefe Spuren bei Gefangenen hinterlassen. Isolation und gesellschaftliche Abgrenzung werden verstärkt und wesentliche psychische Stützen wie familiärer Kontakt und menschliche Nähe fallen weg. Gerade in dieser Zeit spielt Seelsorge eine wichtige Rolle, denn durch sie haben Gefangene die Möglichkeit ihre Sorgen und Nöte zu artikulieren und einen Weg durch die Krise zu finden. Auch wenn Tom noch einen langen Weg vor sich hat, schien das Seelsorgegespräch kraftgebend für ihn zu sein. In diesen Zeiten darf Seelsorge nicht primär als Risikofaktor angesehen werden, sondern sie muss als notwendige Stütze verstanden werden, die Gefangene in dieser schwierigen Phase der totalen Isolation begleitet.

Quelle: Seelsorge & Strafvollzug, Heft 4, Seite 73 – 81, Juni 2020. Herzlichen Dank an die Redaktion für die Zusammenarbeit.

 

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